Neues Feature von Microsoft Teams: Arbeitnehmer ohne Eigenschaften
Künstliche Intelligenz kann in Videokonferenzen jetzt die Wohnung schön machen – damit bloß nichts auf die eigene Persönlichkeit hinweist. Gut so?
Wer im Umgang mit Videotelefonie-Software halbwegs auf Zack war, hatte im Frühjahr 2020 eine richtig gute Zeit. Von heute auf morgen bekamen damals nämlich auch diejenigen eine Chance, zum Büroclown aufzusteigen, die sich mit Humor am Arbeitsplatz bisher eher schwertaten. Vorausgesetzt, sie hatten als Allererste begriffen, wie man in der Online-Konferenz den eigenen Hintergrund verändert, um sich so an den Karibikstrand, auf eine Eisscholle oder die Umlaufbahn des Uranus zu befördern.
Als der Kollege aus der Personalbuchhaltung ausnahmsweise im Oval Office saß und die Vorstandschefin in einem Lama-Gehege, da hatten wir trotz Lockdown-Trübsal alle kurz mal was zu lachen. Die Zeiten waren düster, die Gag-Hürden niedrig. Man nahm, was man kriegen konnte.
Aber wie das immer so ist: Erst kommt der Spaß, dann kommen die Studien. Nach der Pandemie, als die Wissenschaft sich wieder den wirklich wichtigen Dingen zuwenden konnte, fanden Forschende heraus, dass Menschen mit künstlichem Videocall-Hintergrund als eher inkompetent wahrgenommen würden. Sehr kompetent hingegen erschienen Personen, die vor einem Bücherregal oder Topfpflanzen saßen. Wichtig dabei: Das Bücherregal hatte geordnet zu sein, die Pflanzen gut genährt. Spiegelte der Hintergrund auch nur ansatzweise eine Art Alltagsrealität wider – war also der Brockhaus umgekippt oder die Monstera bräunlich – hatte das einen ähnlichen Effekt wie beispielsweise eine Lavalandschaft.
Je mehr Hinweise auf den individuellen Einrichtungsstil oder das Leben abseits der Arbeit, desto ungünstiger also für das Ansehen. Eine Gesellschaftsspielesammlung? Da wagt es offenbar jemand, sich zu vergnügen! Ein Klimt-Kunstdruck? Interessanter Geschmack. Auch die Funktion, die den Hintergrund verschwimmen lässt, schnitt in den Studien nicht besonders gut ab. Ein bisschen was sollte man offenbar schon preisgeben, ansonsten fragt sich das Gegenüber, was man zu verbergen hat. Rotweinflecken an der Tapete? Wellenförmige Ikea-Spiegel von 2005? Oder Raubkunst?
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Für Menschen, die vor lauter unterbezahlter Lohnarbeit weder Zeit noch Geld haben, ihre Wohnung fürs Meeting gefälliger zu gestalten und so die Karrierechancen zu erhöhen, hat Microsoft Teams jetzt die optimale Lösung gefunden. Ab Anfang 2024 soll es möglich sein, den Hintergrund mithilfe einer KI aufzuräumen und mit an die Jahreszeit angepassten Dekoelementen zu verschönern. Zwar wird so aus der schäbigen Kommode noch kein USM-Haller-Ensemble – aus Vorher-Nachher-Bildern lässt sich aber erkennen, dass Kinderzeichnungen, eine unsortierte Plattensammlung und gerahmte Urlaubsfotos künftig dem Minimalismus weichen könnten. Wer will schon dran erinnert werden, dass da außerhalb des Jobs noch ein Leben ist. Es beginnt die Wandlung zum Arbeitnehmer ohne Eigenschaften.
Gesichter und Wohnung im Dienst der Akquise
Auch toll: Zur Weihnachtszeit lässt sich die Aloe vera im Hintergrund in eine hübsche kleine Tanne verwandeln und die Backsteinwand in eine stimmungsvolle Holzvertäfelung. Da fängt man an zu träumen, wie virtuelle Akquise künftig aussehen könnte.
Die potenzielle Großkundin jagt gern? Schnell noch eine Schrotflinte an die Wand projizieren. Ein anderer ist passionierter Schnorchler? Teams zaubert Ihnen ein Aquarium hinter den Schreibtisch. Das hilft beim Gesprächseinstieg, das garantiert Sympathien, da braucht man niemanden zu nerven mit seinen wahren Leidenschaften. Und füttern muss man die Fische auch nicht.
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