Neues Buch von Thilo Sarrazin: Inszenierung als Tabubrecher

Seine Alarmiertheit Thilo Sarrazin, Bundesbanker, befürchtet im Majestätsplural, dass wir alle aussterben und durch Kopftuchträgerinnen ersetzt werden.

Hat weiter Angst vor kinderreichen muslimischen Familien: Thilo Sarrazin. Bild: ap

Da muss doch jeder Deutsche alarmiert sein: Bald gibt es keine echten Deutschen mehr! Der einstige Berliner Finanzsenator und jetzige Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin rechnet es genau vor: Weil pro Frau im Durchschnitt 1,4 Kinder geboren werden, "wird Deutschland in hundert Jahren nur noch 25 Millionen, in 200 Jahren nur noch 8 Millionen und in 300 Jahren noch 3 Millionen Einwohner haben". Zumindest Sarrazin bekümmert es, dass Deutschland künftig kaum mehr Bewohner als "Dänemark auf etwas größerer Fläche" hätte.

Noch schlimmer ist für ihn allerdings, dass in diesem geschrumpften Deutschland kaum noch angestammte Deutsche anzutreffen wären, weil Migrantenfamilien im Durchschnitt mehr Kinder zur Welt bringen. Schon im Jahr 2100, so hat Sarrazin ermittelt, würde nur noch maximal die Hälfte aller Einwohner von Menschen abstammen, die schon 1965 in Deutschland lebten. Dieser Befund kulminiert in dem Satz: "Die Deutschen hätten sich damit quasi abgeschafft."

Diese These ist offenbar zu schön, um sie zu verschenken, und deswegen heißt auch Sarrazins neuestes Buch "Deutschland schafft sich ab". Es ist nicht möglich, dieses Werk zu ignorieren, denn es wird von einer massiven Medienkampagne begleitet. Die Bild startete am Montag eine "große Serie", in der Sarrazin seine "knallharte Analyse" verbreiten darf. Der Spiegel füllte parallel ebenfalls fünf Seiten mit Auszügen aus dem Buch und versprach zudem, "die Debatte um die Sarrazin-Thesen in den nächsten Wochen fortzusetzen".

Diese Medienkampagne ist insofern bemerkenswert, als Sarrazins Verlag DVA allen anderen Journalisten untersagt hatte, über das Buch zu berichten, bevor es offiziell am 30. August erscheint. Ansonsten droht eine Vertragsstrafe von 50.000 Euro. Mit dieser perfiden Strategie kann der Verlag für maximale Öffentlichkeit sorgen, während er gleichzeitig Sarrazins Buch der Kritik entzieht.

Eine gründliche Rezension ist also vor dem 30. August nicht möglich. Dennoch zeigen sich in den Textpassagen von Spiegel und Bild zumindest einige Grundlinien, die auch das gesamte Buch durchziehen.

Erstens: Sarrazin inszeniert sich als Tabubrecher, der "nicht im Strom der Beschwichtiger und Verharmloser" schwimmt. Diese rhetorische Figur ist jedoch weniger originell, als Sarrazin vermutet. Auch FDP-Außenminister Guido Westerwelle fiel kürzlich damit auf, dass er seine Tirade über die angebliche "spätrömische Dekadenz" bei Hartz-IV-Empfängern damit garnierte, dass er eine "überfällige Diskussion" angestoßen habe.

Zweitens: Sarrazin neigt zum Pluralis Majestatis und schreibt gern vom "Wir". Offenbar glaubt Sarrazin wie Westerwelle, dass er die schweigende Mehrheit hinter sich hat.

Drittens: Deutlich wird eine starke Angst vor dem Fremden. "Ich möchte nicht, dass das Land meiner Enkel und Urenkel zu großen Teilen muslimisch ist, dass dort über weite Strecken Türkisch und Arabisch gesprochen wird, die Frauen ein Kopftuch tragen und der Tagesrhythmus vom Ruf der Muezzine bestimmt wird. Wenn ich das erleben will, kann ich eine Urlaubsreise ins Morgenland buchen."

Viertens: Sarrazin spricht den muslimischen Einwanderern jede Bereitschaft ab, sich zu integrieren - und variiert das Klischee von der sozialen Hängematte. Die meisten muslimischen Zuwanderer seien nur in die Bundesrepublik, um die Sozialleistungen auszunutzen. "In den USA bekämen diese Migranten keinen müden Cent. Deshalb sind sie auch nicht dort, sondern in Deutschland. Die indischen Informatiker gehen lieber in die USA. Aufgrund der üppigen Zahlungen des deutschen Sozialstaats ziehen wir eine negative Auslese von Zuwanderern an."

Fünftens: Die Muslime hierzulande vermehren sich angeblich wie die Karnickel. Diesen Satz schreibt Sarrazin nicht wörtlich, aber er legt ihn nahe. Immer wieder ist von dem "besonderen Kinderreichtum der muslimischen Migranten" die Rede, von ihrer "enormen Fruchtbarkeit". Da würde man pro Familie mindestens acht Kinder erwarten, die auf Kosten des Sozialamts durchgefüttert werden. Doch muss auch Sarrazin einräumen, dass in Migranten-Hartz-IV-Haushalten im Durchschnitt nur 2,8 Personen leben. Bei Bedarfsgemeinschaften ohne Migrationshintergrund sind es 1,8 Personen. Groß ist dieser Unterschied nicht. Aber Sarrazin reicht er, um alle muslimischen Einwanderer zu diffamieren.

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