Neues Buch „Israel – eine Utopie“: Traum von der „Republik Haifa“
Der Philosoph Omri Boehm schlägt in seinem Buch „Israel – eine Utopie“ eine binationale Lösung für den Nahostkonflikt vor. Wie realistisch ist sie?
Palästina [darf] weder ein jüdischer noch ein arabischer Staat sein, sondern [muss] ein „binationaler“ Staat sein, in dem Juden und Araber die gleichen bürgerlichen, politischen und nationalen Rechte genießen.“
Nein, dieses Zitat entstammt nicht der gerade erschienenen Streitschrift von Omri Boehm über die Zukunft Israels. Es findet sich im Memorandum der jüdischen Friedensbewegung Brit Schalom vom Januar 1930. Deren wenige Mitglieder waren damals, während der britischen Mandatszeit, bestrebt, einen Ausgleich der Interessen zwischen Palästinensern (die damals noch nicht so hießen) und den jüdischen Einwohnern des Landes zu finden.
Die Bewegung von größtenteils aus Europa stammenden Intellektuellen scheiterte kläglich. Auf arabischer Seite fand sie kaum Fürsprecher, denn dort beharrte man darauf, dass ganz Palästina ein arabisches Land bleiben müsse. Die arabischen Aufstände in den 1930er Jahren waren Ausdruck dieser Haltung. Aber auch jüdischerseits blieb Brit Schalom isoliert.
90 Jahre später unternimmt Omri Boehm den (wievielten?) Versuch, an diese Bewegung anzuknüpfen. Der Philosoph verlangt in seinem Buch „Israel – eine Utopie“ nichts weniger als die Ablösung des 1948 gegründeten jüdischen Staates durch einen jüdisch-palästinensischen Bundesstaat mit gleichen Rechten für alle Einwohner. Und nicht nur das: Er behauptet, damit zu den wahren Wurzeln des Zionismus zurückzukehren und einem Vermächtnis der Gründerväter und -mütter zu folgen. Was ist da dran?
Omri Boehm: „Israel – eine Utopie“. Aus dem Englischen von Michael Adrian. Propyläen Verlag, Berlin 2020, 246 Seiten, 20 Euro
Boehm erinnert zu Recht daran, dass es Theodor Herzl und seinen Mitstreitern zu Beginn des 20. Jahrhunderts keineswegs darum ging, einen jüdischen Staat zu schaffen. Mit dem damals gleichwohl propagierten „Judenstaat“ erhoffte sich Herzl die Begründung eines autonomen Gebiets auf dem Boden Palästinas.
Deshalb – wie Boehm – Herzl das Streben nach einer „binationalen Republik“ nachzusagen, ist zumindest mutig. Vor allem aber verkennt der Autor, dass diese Ursprünge des Zionismus eben nicht erst infolge des Holocaust zur Makulatur wurden, sondern schon deutlich früher an Einfluss verloren.
Anschluss an den Zionismus
Den führenden Zionisten ging es vor allem um die Bildung einer jüdischen Majorität in Palästina, dank deren sie sich erhofften, die Geschicke des Landes zur ihren Gunsten beeinflussen zu können. Sie waren damals, in den 1920er und 1930er Jahren, viel zu realistisch, um deshalb gleich einen eigenen Staat zu fordern.
Dieser Streit mag akademisch klingen, er berührt aber den Kern von Boehms Buch. Denn der Autor sucht mit seiner Schrift ja gerade den Anschluss an den Zionismus, offenbar auch in der Hoffnung, dadurch Mitstreiter in Israel gewinnen zu können.
Ein taktisches Vorgehen kann man ihm dabei allerdings nun wirklich nicht vorwerfen. Boehm denunziert so ziemlich alle linken und liberalen Kräfte im Lande, von Amos Oz bis zu David Grossman, denen er vorwirft, zu lange an der Zweistaatenlösung eines Israels und eines Palästinas festgehalten zu haben. Der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem wirft er Paktieren mit Rechtsradikalen und unwissenschaftliche Veröffentlichungen vor, der Liste „Blau-Weiß“ um Benny Gantz „Militarismus und Populismus“.
Dennoch hat Boehm da einen Punkt. Tatsächlich ist die jüdische Besiedlung des Westjordanlands inzwischen so umfassend, dass diese kaum mehr reversibel erscheint. Folgerichtig erklärt der Autor die vermeintliche Lösung durch die Begründung zweier Staaten für politisch tot. Und er wirft, nicht zu Unrecht, den Verfechtern dieser Lösung vor, keine realistische Perspektive mehr anbieten zu können, was wiederum zum Niedergang der linken und liberalen Kräfte in Israel geführt habe, während die Rechte durch ihren zur Schau gestellten Nationalismus zur Hochform auflief.
Begegnung mit einer großen Leere
Schaut man sich nach Alternativen zur Zweistaatenlösung um, dann gleicht dies einer Begegnung mit einer großen Leere. Nur auf der rechten Seite ist das Angebot groß, von der Annexion des Westjordanlands bis hin zur Vertreibung seiner arabischen Einwohner. Boehm bietet mit seiner „Republik Haifa“ genannten Lösung eine scheinbare Alternative an.
Er macht es sich dabei nicht einfach. Das Postulat eines liberalen jüdischen Staats erklärt er zu einer „Illusion“, weil dieses Konstrukt zwangsläufig zur Diskriminierung der nichtjüdischen Einwohner führen müsse. Deshalb sei die Errichtung einer binationalen Republik „notwendig“: „für Israelis, für Palästinenser und für das Weltjudentum“. Darunter geht’s nicht.
Was Boehm bei dieser Vorstellung verkennt respektive auslässt: Zu einer Friedenslösung gehören mindestens zwei Partner. Die Palästinenser aber bleiben in seinem Werk schattenhafte Gestalten, die sich höchstens einmal zur Wehr gesetzt haben, aber nicht als handelnde Subjekte auftauchen. Schon Brit Schalom scheiterte in den 1930er Jahren an der ablehnenden Haltung der arabischen Seite.
Wenig Friedenssehnsucht auf beiden Seiten
Es lässt sich nicht behaupten, dass die palästinensische Führung (von der es inzwischen zwei gibt, eine im Westjordanland, eine im Gazastreifen) immer von Friedenssehnsucht geprägt gewesen sei, im Innern wie im Äußeren. Im Gegenteil: Sie hat bewiesen, wie man noch die realistischsten Bemühungen torpedieren kann.
Nicht viel besser schaut es derzeit freilich auf israelischer Seite aus, und das weiß auch Boehm. Er spricht daher bei der Vorstellung seiner „Republik Haifa“ von einem „utopischen Traum“ – und endet wenige Sätze weiter doch bei Theodor Herzls Ausspruch: „Wenn ihr wollt, ist es kein Märchen.“
Da allerdings gibt es einen Unterschied: Herzl stieß bei seinen Vorstellungen auf ein Bedürfnis vieler unterdrückter Juden weltweit, den Diskriminierungen zu entfliehen. Deshalb wurde er zum Begründer einer erfolgreichen Bewegung. Boehms Vorstellungen dagegen dürften in Israel ähnlich viele Anhänger finden wie Jerusalem verschneite Tage kennt.
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