Neues Album von Rapperin Little Simz: Leerstellen und Harfenklänge

„Sometimes I Might Be Introvert“ heißt das Album der britischen Rapperin Little Simz, die Jugendlichen aus Londons Problembezirken eine Stimme gibt.

Little Simz im Dunkeln, ihr Mund leuchtet mit fluoreszierendem Licht

Immer wieder erleuchtet: Little Simz aus London Foto: Nwaka Okparaeke

„My ego won’t fully allow me to say that I miss you / A woman who hasn’t confronted all her daddy issues / Never thought my parent would give me my first heartbreak“ – wenn Little Simz diese, an ihren Vater gerichteten Zeilen rappt, stoppt der Flow von „I Love You I Hate You“ und plötzlich mischt sich Zorn in ihre Stimme. Der legt sich wieder, als sie im Chorus zu dem Männerstimmen-Sample „I love you, I hate you“ immer wieder die Worte „Sometimes“ und „Always“ singt.

Die britische Rapperin mit nigerianischen Wurzeln, die bei einer alleinerziehenden Mutter aufgewachsen ist, braucht keinen Nachdruck, sie drückt ihren Frust über den abwesenden Vater trocken aus. Die Brisanz, die der Song aus diesem turbulenten Familienalltag vermittelt, wird nicht voyeuristisch ausgeschlachtet.

Der Song liefert zwar Einblicke in Little Simz’ Privatsphäre, er transportiert durchaus bittere Gefühle, die einen abwesenden Vater beklagen, aber die Künstlerin stellt mit diesem Song klar, dass sie unbedingt gewillt ist, diese Leerstelle mit Sinn auszufüllen. Musikalisch drückt sie das mit zarten Harfenklängen aus, die sich von der Anspannung von düster aufwirbelnden Basssounds allmählich lösen.

Kometenhafte Karriere

Es ist sicher kein Zufall, dass sich aus dem Titel von Little Simz neuem Album „Sometimes I Might Be Introvert“ das Akronym Simbi bilden lässt. So wird Simbiatu Ajikawo, wie sie bürgerlich heißt, auch genannt. Die 27-jährige Londonerin hat eine rasante Karriere hingelegt: 2010 kam ihr erstes Mixtape raus, seither vergeht kaum ein Jahr ohne neue Veröffentlichung. 2015 veröffentlichte Little Simz mit „A Curious Tale of Trials + Persons“ ihr Debütalbum. Ihr Erfolg hat auch damit zu tun, dass sie Themen wie Sexismus, Rassismus und Jugendgewalt in Londoner Problembezirken mithilfe von eigenen Erfahrungen glaubwürdig schildert.

Little Simz: „Sometimes I Might Be Introvert“

(Age 101/AWAL / Rough Trade)

„I Love You I Hate You“ ist aus diesem Grund der wichtigste Song des neuen Albums. Musikalisch hat sich die Künstlerin nicht nur mit ihm weiterentwickelt. Ihr Langzeit-Produzent Inflo bläst dieses Herzstück mit einem Orchesterarrangement zu einem sinfonischen Popsong auf, der auch einen James-Bond-Soundtrack schmücken würde.

Das Nebeneinander von eigenwilliger Erzählweise und filmischer Intensität steckte schon in ihrer Frauenpower-Hymne „Venom“ (2019), nun setzt sie noch einen drauf. Widmete sie ihre zuletzt erschienene EP „Drop 6“ dem Thema Vereinsamung in der Pandemie mit Verve, kreiert sie mit ihrem im zweiten Lockdown in London und Berlin entstandenen neuen, vierten Album Zeitloses und landet musikalisch jenseits der Genregrenzen von HipHop. Als Vorbilder dienen Little Simz Jazzsängerinnen wie Nina Simone und Etta James. Die 19 Songs von „Sometimes I Might Be Introvert“ klingen mal wie Jazz, dann wieder wie Grime, auch Neo-Soul- und Funk-Anleihen tauchen auf.

Stilistische Vielfalt

Little Simz’ stilistische Vielfalt hat ihre Wurzeln in der Kindheit. Mit neun begann die Sängerin und Schauspielerin zu rappen. Sie ist zusammen mit zwei älteren Schwestern und Pflegekindern aufgewachsen. So kam sie von Kindesbeinen mit Musik aus aller Welt in Berührung. Mit nur 20 Jahren gründete sie ihr eigenes Label. Und als sie 19 war, veröffentlichte US-HipHop-Star Jay-Z ein Mixtape von ihr, Überflieger Kendrick Lamar pries damals ihr Können.

Allen Lobeshymnen zum Trotz muss Little Simz weiter um Anerkennung in der HipHop-Szene kämpfen. Ihr Wille, sich mit Rasanz und gepfefferten Freestyleeinlagen zu messen, bleibt ungebrochen. Wortwitz und Flow blitzen vor allem bei „Point and Kill“ auf, einem Track, der zusammen mit ihrem Londoner Kollegen Obongjayar entstanden ist. Wie Little Simz in Singsang-Reimketten über den galoppierenden Afrobeat fegt, klingt unnachahmlich! „Rolling Stone“ gänzt wiederum mit einem trickreichen Beat-Wechsel. Melodische Synthie-Bässe wandeln sich überraschend zu einem Sample ihres Tracks „101 FM“ (2019), der mit schleifenden 808-Drums und knackigen Drums unterlegt ist.

Externe Erzählstimme

Wer ihre Sprachgewalt am Mikrofon infrage stellt, dem antwortet sie kampfeslustig auf „Speed“ mit symbolischen Bremsgeräuschen als Taktgeber: „I make Winners out of any loss.“ Es ist der Einsatz verschiedener Stimmen und die Art, wie Little Simz dadurch Geschichten zum Leben erweckt, was sie deutlich von der Konkurrenz unterscheidet. So spricht die britische Schauspielerin Emma Corrin, die für die Rolle der Diana in der Serie „The Crown“ bekannt ist, ab dem Auftaktsong „Introvert“ eine Erzählerstimme, die die Zusammenhänge zwischen den Songs auf dem Album veranschaulicht.

Denn Little Simz’ Musik deutet das oft nur an. Dazu sind bei den Sätzen: Alone but not lonely / Your truth unveils with time / As you embark on a journey of what it takes to be a woman“, Assoziationen mit Diana unvermeidbar, die in das Storytelling von Little Simz übergehen. Und ihre Erzählungen speisen sich aus starker Weiblichkeit. Ob nun ihre Ode an Frauen, die wegen ihrer Hautfarbe marginalisiert werden („Woman“) oder ihr Protest gegen die Annahme, sich äußern zu müssen, wenn es öffentliche Diskurse um Schwarze Menschen gibt („Introvert“). Little Simz wird bleiben, das zeigt diese starke Rückmeldung.

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