Neues Album von Rapper OG Keemo: Zwischen Hochhaus und Niedertracht
Gangsta mit Attitude und Geschmack: Der Mainzer OG Keemo setzt sich dem Album „Mann beißt Hund“ hörbar vom Deutschrap-Mittelmaß ab.
Ein Surren, die Haustür öffnet sich automatisch, hallende Schritte sind in einem Flur zu hören. Mit dem Aufzug geht es in den 9. Stock eines Hochhauses. „An der Wand flimmert hektisch ’ne Zahlenkette und warnt mich / Ein letztes Mal vor’m Start / So als hätt’ ich ’ne Wahl.“ OG Keemo rappt von einer Fahrt im Aufzug ins oberste Stockwerk und weiter bis aufs Dach.
Erst von einer simplen Geigenmelodie untermalt, entwickelt sich der Beat allmählich zum Antrieb, untermalt mit einem durchgehenden tiefen Bass. „Vögel“ heißt der Track, und bald ist klar, wovon sein Songtext handelt: Hoch hinauf geht es, aber gleichzeitig tief zurück in die Vergangenheit eines jungen Mannes: Er gerät hinein in eine schicksalhafte Spirale aus Adrenalin und Abgestumpftheit, Gewalt und Geldmachen, Rassismus und Rache.
Zu hören ist „Vögel“ auf dem Album „Mann beißt Hund“: Es ist das neue Werk von Rapper OG Keemo, entstanden zusammen mit dem Produzenten Funkvater Frank. Und die sonore Musik der beiden ist klassischer HipHop. Für echte Fans, aber auch für alle, denen die Welt aus Beats und Reimen bislang verschlossen geblieben ist. Wer mit Rap und HipHop-Kultur auf Deutsch gar nichts anfangen kann, sollte zwei Songs von OG Keemo hören: Mit jedem Takt und jedem Vers wird klar, wie viel Können und Arbeit, aber auch wie viel Verzweiflung in Musik stecken kann.
Aus der Papageiensiedlung
„Ich komm aus Ecken, die du kennst, weil diese P* drüber rappen“, lautet eine Zeile in „Vögel“. Es geht um die Peripherie, in diesem Fall um den Mainzer Stadtteil Lerchenberg. Hier ist Keemo, der bürgerlich Karim Joel Martin heißt und 27 Jahre alt ist, aufgewachsen. Die Papageiensiedlung besteht aus Hochhäusern, die an Felder grenzen. Über diese Randbezirke gibt es in Deutschland viel zu erzählen.
OG Keemo: „Mann beißt Hund“ (Chimperator/Groove Attack)
Mühelos schildert Keemo seine Geschichten auf dem Album und wirkt dabei sehr glaubwürdig. „Den Song höre ich mir selbst nicht gerne an“, sagt Keemo im Gespräch mit der taz. „ ‚Vögel‘ skippe ich jedes Mal“, sagt auch sein Kollege Franky, der bürgerlich Dominic Salvatore D’Amato heißt und genau wie Keemo 27 Jahre alt ist.
In dem Songtext geht es um einen arglosen Mitschüler, der auf eine Party eingeladen wird, einzig, um ihn dort auszurauben. „Er hatte nur ein altes Handy deshalb gaben wir’s zurück / Taten dann, als wollten wir ihn spaßeshalber kurz erschrecken / Die Woche drauf hat er die Schule dann gewechselt / Ich dacht’, der Junge wär’ halt soft / Wieso liegt das an uns.“ Keemo erzählt weiter, dass er es besser hätte wissen müssen. „Ich war doch damals der, den die Kids nach der Sechsten pickten / Ich weiß wie’s is’, sich verstecken zu müssen / Weil du dich vor den dreckigen Blicken schämst / Wenn sie dich mit ner leeren Kiste / Wartend vor der Theke der Tafel / bei dir ums Eck erwischen.“
Beruht auf wahren Begebenheiten
Alle Storys seien so oder so ähnlich passiert, behauptet Keemo. Neben eigenen Erlebnissen fließen auch Begebenheiten von Weggefährten in seine Schilderungen auf dem Album ein. Deren Geschichten hat er zwei fiktiven Charakteren zugeschrieben, genannt Malik und Yasha. Wenn die Storys auf Menschen zugeschnitten seien, sind sie besser nachvollziehbar, sagt Keemo.
Der Auftaktsong des Albums führt ein in diese Alltagswelt, in die Stadt von Malik, „Sein Vater aus Marokko / seine Mum aus Mosambik“, und Yasha, „Jemand meinte mal sein Vater wär’ Alkoholiker / Der Rest der Fam’ wär’ noch in Herzegowina“. Keemos Texte handeln von Erlebnissen der Kinder von Einwanderer*innen, deren Heimat ihr Viertel ist: „Er sagte mir, dass das hier seine Stadt ist.“ Anerkennung, Selbstentfaltung, aber auch einfach nur Spaß sind mit den größten Widerständen verbunden, und so geht es darum, sich durchzusetzen. Für Keemo ist es „die erste Sonntagnacht in einer neuen Stadt“, für ihn ist alles so neu wie für die Hörenden.
Den Beat dazu hat Funkvater Frank meisterhaft um hektische Streichersamples herum konstruiert, sein Bass setzt ein wie ein kaputter Herzschlag und verstetigt sich. Keemo zieht mit Yasha und Malik um den Block, bis letzterer vor einem Auto ein Stück Draht zückt („Fuck it / Wer hat Bock auf Business“).
Fast schon ein Hörspiel
Es braucht gar nicht viel Worte, um verständlich zu machen, um was es geht. Mit den eingeschobenen Skits, der schönen HipHop-Tradition, auf Alben zwischen den Songs sketchartige Zwischenspiele hinzuzufügen, hat „Mann beißt Hund“ schon fast den Charakter von einem Hörspiel. Ein Vergleich, der Produzent Funkvater Frank aber nicht gefällt. „Für mich klingt das genauso, wie sich ein Rap-Album anhören sollte“, sagt er.
Vor seinem Plattenvertrag habe er in einem Lager Lkws beladen, dazu hörte er US-Underground-Sound, HipHop von Madlib, J-Dilla und MF Doom. Genau wie bei diesen Künstlern haben auch viele OG-Keemo-Songs gesprochene Intros oder aber das Outro reißt ab und eine neue Szene wird eingeführt. „Musik so zu produzieren, ist eine Leidenschaft von mir, das würde ich gerne noch ausbauen“, gesteht Franky.
Empfohlener externer Inhalt
Big Boy
Damit aber ist „Mann beißt Hund“ nicht so für das Streaming bei Spotify und anderen Plattformen optimiert, wie es heute der Standard vieler Neuerscheinungen ist. HipHop ist ein ultrakommerzielles, milliardenschweres Geschäft, Vorlieben und Hörgewohnheiten von Konsument*innen sind längst durchanalysiert, um sie exakt bedienen zu können. „Mann beißt Hund“ fällt aus diesen Rastern der schnellen Verwertbarkeit.
Mehr Nachhall
Wer sich Zeit nimmt und die Musik am Stück auf Kopfhörern hört, merkt, dass die Songs mehr Nachhall haben, als nur für den oberflächlichen Gebrauch. An einigen Stellen hört man den ehrenvollen Do-it-yourself-Anspruch heraus, der HipHop-Kultur zumindest anfangs geprägt hat. Franky hält im Gespräch auch stolz das Aufnahmegerät in die Kamera, mit dem er durch das Mannheimer Umland gezogen ist, um Alltagsgeräusche für die Geräuschkulisse der Songs einzufangen.
Wer OG Keemo in den Songs „Petrichor“ und „Regen“ rappen hört, taucht ein in eine typische HipHop-Biografie: 1997 geboren, ist er „der älteste junge Mann der Welt“. R&B-Sänger Sumpa liefert in „Petrichor“ mit seiner gehauchten Falsettstimme den schönen Gegenpart zur düsteren Vorahnung, die sich im Rap-Part ankündigt und im Song „Regen“ aufgeht: „Das Schlimmste ist, wahrscheinlich hatte ich eine Wahl“, rappt Keemo später in dem Song „Vögel“.
Die schicksalhafte Spirale aus Gewalt und Gegengewalt, aus hohlem Gangstagehabe bricht der Künstler am Ende mit toller Musik auf. Und das ist auch das, was OG Keemo von der Konkurrenz abhebt, so detailverliebt in der Musik, so selbstkritisch in den Texten wie er klingt momentan kein anderer Rapper in Deutschland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene