Neues Album von Rammstein: Lindemann renkt den Kiefer aus
Männlichkeitskult aus Ostberlin: Rammstein mit neuem Album „Zeit“ und Songs, deren Strukturen klingen wie an der Baumarkt-Säge zugeschnitten.
Das Keyboardmotiv meldet erhöhte Alarmbereitschaft, devot mörsern Metalgitarren los. Es dauert keine 30 Sekunden, schon wird bei „Armee der Tristen“, Auftaktsong des neuen Rammstein-Albums „Zeit“, im Gleichschritt marschiert. Es bleibt unklar, wer die Mobilmachung anordnet. Gesucht werden „Hoffnungslose“, die sich „einreihen“ sollen, um „zusammen traurig zu sein“.
Die neue deutsche Härte von Rammstein inszeniert Gefühle als militärische Rangabzeichen. „Komm mit / Komm mit“, heißt es richtungslos im Refrain, der ohne gerolltes R auskommt. Der inzwischen auch unter die Autoren gegangene Sänger Till Lindemann erfüllt ansonsten seinen Lautmalerjob. Ohne je die sabbernde Drastik eines Charlie Chaplin in „Der Große Diktator“ zu erreichen, renkt Lindemann seinen Kiefer aus und dehnt das R in die endlose Weite bis hinten zum Rachenzäpfchen.
Wenn Rammstein, das Nu-Metal-Sextett aus dem Osten der deutschen Hauptstadt, wie jetzt, ein neues Album veröffentlicht, schmeißt die Musikindustrie die große Konfettikanone an. Sofort sind die Tickets für Konzerte in Stadien rund um die Welt ausverkauft, in Göteborg im Juli sogar dreimal hintereinander.
Angestrengte Attitüde
Das Pyromanenspektakel mit Segway auf der Bühne zieht noch. Die Reime der elf neuen Songs klingen derweil etwas angestrengt: Obwohl die Band weiterhin den Advocatus Diaboli spielen möchte, in ihrer Fuck-you-Attitüde wirkt die Songpoesie lieblos zugeschnitten, wie an der Säge im Baumarkt. „Geh ich vorrr derrr Nacht zurrr Rrruh“.
Rammstein: „Zeit“ (Universal)
Besonders schwer aushaltbar ist aber der Klassiktouch der Musik, zum Intro carl-orffene Chöre, oder ätherische, im Synthie-Nebel wabernde Frauenstimmen. Und dann kommt wieder so ein provozierender Refrain: „Alle haben Angst vorrrm schwarrrrzen Mann“ („Schwarz“), der Grenzen nicht nur austestet. Beim zu sechst gegrölten Incel-Liedchen, – aus Jugendschutzgründen „OK“ abgekürzt –, heißt es zigmal wiederholt: „ohne Kondom“.
Und es regiert Kitsch. Sie seien „im Fluss der Zeit“, lamentieren Rammstein im Titelsong, diese kenne „kein Erbarmen“: „Zeit, bleib bitte stehen“. Auf dem Coverfoto schreiten die sechs Musiker die Außentreppe eines Silos nach unten. Könnte auch ein Phallus sein. Oder eine ballistische Atomraketenrampe. Wenn man die Band daraus wegretuschiert, wäre es eine Fotografie von Bernd und Hilla Becher.
Es herrscht immer Nacht
Die forcierte ostgermanophile Hässlichkeit bei Rammstein ist nie ohne Überwältigungsästhetik zu haben, setzt frech auf Männlichkeit, auch wenn sie aus Gründen der Tarnung mal gebrochen wird. Bei Rammsteins unterm Sofa herrscht Nacht. Alles Licht wird in Dunkelheit getaucht, am Ende wartet der Tod. Kaum Abwechslung auch in der Songstruktur: Intro, Strophe – Refrain – Strophe, Schluss. Einzige Ausnahme: Der Song „Dicke Titten“ kommt mit Blaskapelle, da freut sich der Schützenverein. Der Text handelt von einem notgeilen alten Sack, der sich nichts sehnlicher wünscht als eine Frau mit großen Brüsten.
Klebt hierzulande ein Rammstein-Aufkleber auf einem Auto, schaut man sich die Insassen genauer an. Im Ausland dagegen werden die Texte der Band nicht verstanden, man feiert ihre „expressionistische Schauerromantik“. Wie Kuckucksuhren und Jägermeister ist sie ein Exportschlager.
US-Autorin Amanda Petrusich bejubelte einst Lindemanns „teutonischen Bariton“ im Magazin The New Yorker. In den USA werden Rammstein nach wie vor von Prominenten als Garant für Free Speech hochgehalten, weil sie 1999 von der Polizei wegen „Pädophilie-Verherrlichung“ festgenommen wurden. Free Speech ist aber längst Steckenpferd der US-Rechten. Nach dem Sturm aufs Kapitol ist Schluss mit feuerspeiendem Maskulinismus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen