Neues Album von Kai Degenhardt: Altbacken, aber schön
Ein bisschen aus der Zeit gefallen, aber irgendwie okay: Der Liedermacher Kai Degenhardt hat ein neues Album, „Auf anderen Routen“, veröffentlicht.
„Natürlich mache ich politische Lieder – was auch sonst.“ Das sagt Kai Degenhardt, der seine Musik selbst zum „Singer-Songwriter-Genre, das hierzulande unter ‚Liedermacherei‘ läuft“, zählt. Damit übernimmt er die Rolle seines sehr berühmten Vaters, des Sängers und Autors Franz Josef Degenhardt. Dieser verstarb im Alter von 80 Jahren 2011.
Sein 1964 geborener Sohn hat den linken Star rund zwanzig Jahre auf seinen Tourneen begleitet und auf den letzten Alben des Vaters auch für einen neuen Sound gesorgt – es gab nun schnelle Beats und unkonventionelle Arrangements, zudem steht außer Zweifel, dass der Sprössling ein weitaus besserer Gitarrist ist als sein Vater.
Sah man die beiden live, so zog sich Kai ganz hinter Franz Josef zurück, der Ältere sang und dozierte, machte lächelnd sein unverwechselbares „Deidadadeideidei“, während der Sohn die Band gab.
Auf anderen Routen
Kai Degenhardt ist Multiinstrumentalist, spielt Gitarre, Bass, Klavier und steuert computergenerierte Sounds zu. Nun hat er sein sechstes Album veröffentlicht, „Auf anderen Routen“ heißt es, und Kai Degenhardt hat die Aufnahmen mit einer Band eingespielt. Das hat seinem Sound gutgetan, es macht ihn satter – wiewohl das nicht heißen soll, dass Degenhardt nicht auch allein gut produziert. Kai Degenhardts Stimme ähnelt nun durchaus der seines alten Herrn, allerdings singt er nicht so spitz – und singt sowieso nicht wirklich, zumeist erzählt er eher kleine Geschichten zur Musikbegleitung.
„Güterzüge rattern, quietschend / Kommt die letzte Straßenbahn zum Stehen / Hermann knipst das Licht aus, denkt / Verdammt, das muss doch auch noch anders gehen / Und weiß es längst: / Denn ohne Streik wird gar nichts gehen“. Das sind die letzten Verse des Songs „Nachtlied vom Streik“. Degenhardt bedient die klassischen Bilder des politischen Liedes, „Den Gewehrlauf im Genick / Wurde ich wortlos überstellt“ („Die Überfahrt“). Der ausgewiesene Antifaschist singt über das nukleare Desaster, Völkerrecht, Joblosigkeit, über korrupte Finanziers und kleine Kellner. Er singt genauso von verlorenen Lieben, von Bachbirken und Mauerseglern.
Kai Degenhardt: „Auf anderen Routen“ (Plattenbau/Broken Silence)
Es wird geraubt und gedemütigt, man ist allein und ratlos, doch es gibt Hoffnung: „Da war Dein Lachen / Und es wurde Gesang.“ Oder: „Wenn ich zurück bin, sagt sie, / braten wir Äpfel im Kamin.“ Nichts gegen Bratäpfel. Aber braucht es das noch? Wen will Kai Degenhardt aufrütteln? Sicher, seine Songs sind altbacken, genauso sicher sind sie aber auch recht schön. Die Texte sind manchmal etwas verquer, doch auch nicht zu metaphernlastig, und das lyrische Werk der allseits beliebten Punkband Feine Sahne Fischfilet glänzt ja, für sich allein genommen, auch nicht gerade.
Kann man machen
Nein, niemanden wird Kai Degenhardt mit diesem Album aufrütteln, er bestätigt, was seine Hörerinnen und Hörer wissen, manchmal ganz melancholisch, ganz hoffnungslos: „Es ist ja auch schon viel zu spät, um umzudrehen / Wenn alles auseinanderfällt, bleibt vieles, bloß die Zeit nicht stehen.“ („Die endlos lange Straße“).
Degenhardts Musik ist ein bisschen aus der Zeit gefallen. Und alle Versuche, sie noch an die Gegenwart zu koppeln, mithilfe der Politik, verfangen nicht wirklich. Klischees blitzen auf und auch ein bisschen von der klassischen linken Selbstgerechtigkeit – das lyrische Ich der Songs hat die Welt verstanden, nur der Rest halt noch nicht, schade. Allerdings: Altbacken ist Rock ’n’ Roll nun auch schon seit 30 Jahren, Punk ist unangenehm untot, und wer seine Existenzberechtigung einzig und allein aus der Körperpolitik des House zieht, sollte das bitte auch hinterfragen.
Wie gesagt, „Auf anderen Routen“ ist ein schönes Album geworden, ein leises Ding, und selbstverständlich ist das Werk zur „CD des Monats der Liederbestenliste“ gewählt worden. Ja, kann man machen.
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