Neues Album von Fat White Family: Dumm und brillant
Die Londoner Chaosband Fat White Family hat getan, was ihr keiner zugetraut hätte: ein kluges Meta-Album aufgenommen.
Das erste Konzert der Londoner Gruppe Fat White Family in Berlin, im Keller eines alten Moabiter Güterbahnhofs im Sommer 2013, war in merkwürdiger Koinzidenz auch das Debüt der Indierocker Isolation Berlin. Die wirkten damals, als Vorgruppe, wie eine hoffnungsvolle Schülerband. Fat White Family hingegen waren Rockstars. Und zwar in der Machart eines Iggy Pop. Der Klang zischte und kochte bedrohlich auf, manchmal spritzte es giftig.
Es war nicht eigentlich Punk, eher die dem Punk vorausgehende sexy Bedrohlichkeit von Velvet Underground, ein bisschen Sado, ein bisschen Sartre, vor allem dreckig. Sänger Lias Kaci Saoudi hat sich eine Tonsur ins lange Haar geschnitten, blank blitzte der Schädel: „Nur für die Ladys.“
Diese Mischung aus dumm, provokant und brillant ist bis heute geblieben. Mit ihrem neuen Album „Serfs Up!“ lassen Fat White Family aber die rumpelnden Anfänge hinter sich und finden zu einer Form von wuchernder Meta-Siebziger-Konzeptmusik, in der Afrika Bambaataa, die Beach Boys und Mark E. Smith nebeneinander ihre tanzbaren Dystopien durchwandern.
Arge Männermusik
Das ist schon alles arge Männermusik, aber immerhin nicht für chlorgebleichte Heten: „Bobby’s boyfriend is a prostitute“, wiederholt die Band im Finale von „Serfs Up!“ stoisch, „And so is mine.“ Ein anderer Track ist nach dem Kastrationsangstklassiker „Vagina Dentata“ benannt. Insecure Men, unsichere Männer, hieß vielsagend das Solo-Projekt von Family-Mitbegründer Saul Adamczewski.
Das Debütalbum der Band, ebenfalls veröffentlicht 2013, „Champagne Holocaust“, war aufreizend hässlich, schoss ein wenig ziellos in alle Richtungen der Geschmacklosigkeit und fand seinen konsistentesten Moment in einer Aufzählung von Verschwörungstheorien zum Mord am mutmaßlichen Kennedy-Mörder Lee Harvey Oswald.
Über die Zirkel der britischen Rock-Avantgarde hinaus erlangte die Bande aber ihren Ruf durch Skandale. Dass die Tunichtgute den Tod Maggie Thatchers auf einem Hausdach feierten, mit einem selbst gemalten „Die Hex ist tot'“ Plakat, brachte sie auf die Titelseiten der Boulevardpresse.
Rassismus parodieren
Auch die Linke ließ sich oft aus der Ruhe bringen. Da sind nicht bloß die Nazi-Referenzen – die gehören, mal mehr, mal weniger reflektiert eben zur Punk-Geschichte dazu. 2017 entbrannte ein Streit um die Frage, ob ein rassistischer Ausdruck für als arabisch gelesene Menschen Rassismus ist, wenn ihn ein Brite mit algerischem Elternteil verwendet.
„Ich musste jeden Tag mit rassistischer Gewalt umgehen, als ich aufgewachsen bin, und ich werde die widerlichen Rassisten, die dieses Land regieren, zu meinem Vergnügen auf die niederste instinktive Art parodieren, die mir möglich ist“, antwortete Saoudi damals auf die Vorwürfe, souverän in all caps. Der betreffende Ausdruck ist so etwas wie ein Markenzeichen der Gruppe geworden, er erklingt auch in der mit Diskostreichern aufgehübschten, homoerotisch dunklen Hymne „Feet“, die das aktuelle Album eröffnet.
Und doch liegt der Schluss nahe, dass die Zeiten, als Fat White Family zu den letzten Meistern des Pop-Skandals gehörten, vorüber sind. Ihr Engagement für die antisemitische BDS-Bewegung gehört bei britischen Acts leider mittlerweile zum Standard, ein Song über die Melancholie von Kim Jong Un trägt pubertärere Züge. Ansonsten ist „Serfs Up!“ eher Zeugnis allmählicher Reife.
Fat White Family: „Serfs Up!“ (Domino/GoodToGo).
Live: 31. Mai, Strasbourg, La Laiterie, 2. Juni, Hamburg, Molotowmusikclub, 3.Juni. Berlin, BiNuu.
2016 stieg Adamczewski vorübergehend aus, seine Heroin-Abhängigkeit hinderte ihn am künstlerischen Schaffen. Trotz des Erfolgs des zweiten Albums standen alle Mitglieder auf die ein oder andere Weise vor dem Ruin – die ausgestellte Räudigkeit war doch nur zu einem gewissen Grad Attitüde.
Unwahrscheinliche Wiederauferstehung
Die selbstgewählte Erzählung zum neuen Album ist nun die einer unwahrscheinlichen Wiederauferstehung. Es zeigt eine Sensibilität für Klang, für Melodien, für Popsongs, die der Gruppe bisher nicht zugetraut wurde, und es zeigt die Ambitionen der Fat White Family, mehr zu sein als eine anachronistische Rockband. Nicht jeder Song geht unter die Haut, nicht jeder Industrial-Beat macht Gänsehaut vor Kälte, nicht jede Pointe trifft ins Schwarze. Aber man wird sich an „Serfs Up!“ erinnern: als Meilenstein auf dem Weg einer der provokantesten Rockbands ihrer Generation dahin, auch zu einer ihrer besten zu werden. Oder eben an dieses eine vielversprechende Album, bevor die Chose dann doch zerbrochen ist.
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