Neues Album von Drangsal: Satanische Fersen
Vieles ist anders auf dem neuen Album von Drangsal. Stärker als früher mischt der Musiker Genres und findet doch seine eigenwillige Poesie.

Es gibt eine schwer zu übersetzende englischsprachige Formulierung, die Kunst beschreibt, die selbst nicht unbedingt kommerziell erfolgreich ist, dafür aber großen künstlerischen Einfluss auf andere, erfolgreichere Werke ausübt. Im Musikbereich spricht man von einer „band’s band“ – einer Gruppe, die vor allem von Musikerkolleg:innen gehört und geschätzt wird, dem Durchschnittskonsumenten aber nicht unbedingt etwas sagen muss.
Als prägend für seinen Schaffensprozess stellte der Musiker Max Gruber, bekannt unter seinem Künstlernamen Drangsal, zur Promotion für sein neues Album auf seinem Instagram-Kanal 30 Alben vor. Er wolle dadurch „gerne ein wenig Musik teilen, die mich auf dem Weg zur Entstehung des neuen Albums begleitet hat“, schrieb er dazu.
Wenn ein Künstler wie Drangsal seine Einflüsse so offenlegt, ist es nicht selten eine zweischneidige Angelegenheit. Allzu schnell läuft man Gefahr, dass elitäre Fans und Presse nach eben jenen Einflüssen suchen, sie dann gefunden haben wollen – vielleicht sogar da, wo sie gar nicht sind –, sich plötzlich der unvermeidlichen Entlehnungen kreativer Prozesse gewahr werden und das Werk mehr als Fundus anstatt als Genussmittel verstehen. Ehe man sich’s versieht, macht man Musik mit Gebrauchsanweisung.
Nun ist Drangsal aber nicht mehr nur Max Gruber und Max Gruber nicht mehr „nur“ Drangsal. „Nach einem Zusammenbruch“, erläutert der Pressetext zum Album mit dem massiven Titel „Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen“, sei unter dem Namen Drangsal künftig ein Trio zu verstehen. Neben Gruber an Gesang und Gitarre sind Lukas Korn – Gitarrist und Produzent, unter anderem in der Band Lyschko – sowie der Komponist und Jazz-Musiker Marvin Holley Teil der Gruppe.
Gruber selbst ist inzwischen mit mehreren musikalischen Projekten in Begleitung unterwegs – etwa beim Duo Die Mausis mit Die Heiterkeit-Sängerin Stella Sommer oder in der Supergroup die Benjamins unter anderem mit der Deutschpunk-Visionärin Annette Benjamin (Sängerin von Hans-A-Plast).
Jauchzet, frohlocket
Drangsal ist also tot und zugleich – jauchzet, frohlocket – wiedergeboren, und tatsächlich klingt er gleich ganz anders: Mit „Love Will See Us Through This“ beginnt das Werk tragisch und festlich. Eine Orgel, dann Klavier, woraufhin Gruber mit seiner typischen, helldunklen Stimme einsetzt, die er nach eigenen Angaben jüngst noch nachgeschult hat.
Ein Gospelchor, ein Gitarrensolo später ist klar: Unüberhörbar vorbei sind die Zeiten der Vorgängeralben „Harieschaim“(2016) und „Zores“ (2018), die noch mit enormer Detailliebe einen präzisen 80s-Gothicwave-Sound beschworen, der wie aus der Zeit gepurzelt daherkam. Als notwendige Vorbedingung für den Ego-Death der Kunstfigur hören ließe sich noch das Album „Exit Strategy“ (2021), schließlich hieß es im titelgebenden Track noch „Manchmal wünscht ich, ich wär’ nicht da.“
„Da“ sind jetzt allerlei musikalische Mächte: Violine und Saxofon, Kirchenchoräle und Falsett, trockene Akustik und bis zum Anschlag aufgedrehte Verzerrer. 17 Tracks in knapp einer Stunde Spielzeit sind an sich ein freundlicher Mittelfinger an Tiktok, die Streaming-Industrie und ihre auf kurze Konsumption getrimmten Mechanismen.
Drangsal: „Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen“ (Virgin/Universal)
Noch wilder wird’s beim Arrangement: Von glasklaren Pop-Balladen („Die Bestie mit dem brennenden Schweif“) über spielerische Intermezzi („Hab Gnade!“) und einem Walzer („Ich hab von der Musik geträumt“) bis zur Klangflächenkatharsis („Your Fears Are Well-Founded“) folgt das Album kaum Single-Logik. Musikvideos? Nein, danke.
Mit der Sprache malen
Auch textlich gibt es auf dem nunmehr vierten Drangsal-Album mehr zu suchen als zu finden. „Mein Eid“ baut Drama auf und richtet es gegen anonym bleibende Feinde, die für „all den Hass“ büßen sollen, was jeder versteht, der es soll. Auch, wenn Gruber erneut ausschließlich auf Englisch singt, malt er mehr mit der Sprache. Auf Deutsch akzentuiert er das Konkrete mal rein, mal raus aus den Wörtern und erlaubt sich zwischen viel Düsterkeit und Ambivalenz auch Sprachwitz („Die satanischen Fersen“).
Dass es hier und da holpert und knarzt, mag der Produktion von Max Rieger geschuldet sein, der als Sänger und Gitarrist bei Die Nerven und seinem Soloprojekt All Diese Gewalt mit allen Bereichen von extremer Lautstärke durchaus zu arbeiten weiß. In jedem Song bricht mindestens eine kleine Erwartung, letztlich findet aber jedes Laut sein Leise, jeder Break seinen Takt zurück und nichts fällt daneben. Auch das einzige Feature – in „Mein Mo(nu)ment“ duettiert Gruber brillant mit der österreichischen Songwriterin Sophia Blenda – ist sauber in der dichten Collage platziert.
Emo, Indie, Jazz, Pop – Einflüsse sind auf „Aus keiner meiner Brücken die in Asche liegen ist je ein Phönix emporgestiegen“ mannigfaltig zu hören. Und dennoch wird es Drangsal erspart bleiben, mit diesem Album zur „band’s band“ zu avancieren. Die Musik ist viel zu schön dafür.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!