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Neues Album von Devendra BanhartStimme wie eine missbrauchte Ziege

Der US-Singer-Songwriter Devendra Banhart über Songideen zu Unzeiten, Punkrock als ultimative Form von Courage und die Angst, als Purist zu gelten.

Fühlt sich jetzt schon alt: Devendra Banhart Bild: Anna Kras/promo
Julian Weber
Julian Weber
Interview von Julian Weber und Julian Weber

taz: Herr Banhart, letztes Mal, als ich Sie per Telefon interviewte, sprachen Sie über die Renaissance in Rumänien, Scheiße von einbeinigen Tauben und die ganzheitliche Zahnpasta von Dr. Hauschka.

Devendra Banhart: Ich erinnere mich gut, unser Gespräch mochte ich, nein, ich bewunderte es sehr. Das Interview fand in gelöster, beinahe göttlicher Atmosphäre statt. Um ehrlich zu sein, womöglich habe ich das Telefon jemand anderes gereicht, der statt meiner geredet hat. War nett, mit Ihnen gesprochen zu haben!

Danke! Ich möchte Ihnen das Kompliment zurückgeben. Ich finde, auf Ihrem neuen Album „Mala“ klingt Ihre Stimme wie die einer meckernden Ziege.

Oh ja! Das hätten Sie ruhig noch ausführlicher beschreiben können, lieber Freund. Meine Stimme klingt ja nicht nach irgendeiner Ziege, sondern nach einer Bergziege, die gerade auf einer Alm missbraucht wird und um Hilfe schreit. Inzwischen habe ich mich mit meiner Stimme abgefunden.

Ich fühle mich auch nicht wie ein Sänger, obwohl mir das Singen liegt. Fakt ist, meine Lieblingssänger sind in der Lage, etwas zu kommunizieren, das nachhallt. Sie entwickeln etwas Größeres als nur den reinen Gesang. Manche dieser SängerInnen können auch laut werden, nehmen wir Diamanda Galas oder Patti Waters. Ganz oben steht Chet Baker, den liebe ich sehr.

Ihre Stimme ist in den 14 Songs auf „Mala“ eingebettet in sparsame Arrangements. Ein oder zwei Gitarren, Synthesizer, Drums und Bass. Die Geschwindigkeit der Songs ist träge, die Atmosphäre fast aufreizend gelassen. Das weckt sofort Erinnerungen an die pastorale Stimmung von Folkmusik.

Im Interview: 

Devendra Banhart

Der Musiker: geboren 1981 in Houston, Texas, und benannt nach dem indischen Lieblingsguru seiner Eltern. Aufgewachsen in Caracas, Venezuela. Nach der Rückkehr in die USA begann der Zwölfjährige Skateboarder-Songs zu schreiben. 1998 zog er nach San Francisco und nahm ein Kunststudium auf. Inzwischen zahlreiche Ausstellungen mit seinen Gemälden.

Die Musik: 2002 erschien Banharts Debütalbum "Oh me Oh my … the way the day goes by the sun is setting dogs are dreaming love songs of the Christmas spirit." Seither sind fünf weitere Alben erschienen. Seine Musik wurde "Freak Folk" getauft, eine Bezeichnung, die er selbst verabscheut.

Das Album: "Mala" erscheint am 15. März bei Nonsuch/Warner. Die 14 Songs klingen entspannt und verschroben. Melodien bekannter Reggae- und Pophits werden mitreißend gewildert und zu Banharts Signatur verarbeitet.

Der einzige Song, auf den Ihre Interpretation zutrifft, ist das Instrumental „The Ballad of Keenan Milton“. Finden Sie wirklich, dass die anderen Songs nach einem lahmen Nachmittag auf der Veranda in einem Dorf klingen?

Die Songs klingen aufreizend lässig, hatte ich gesagt.

Das würde mir nie in den Sinn kommen. Wirklich? Soll mir recht sein. Cool. Großartig. Neulich hat jemand zu mir gesagt, die Zeichnung auf dem Albumcover sieht aus wie eine Seekuh.

Ich meinte, auf Ihrer Zeichnung eine Tasse zu erkennen.

Genau, die Zeichnung ist figurativ. Nicht abstrakt. Natürlich habe ich der Interpretation Tür und Tor geöffnet. Es ist ein Tasse, belassen wir es dabei. Aber in Wahrheit möchte ich nicht sagen, was genau sie darstellt, denn sie schaut trotzdem aus wie ein Vogel Strauß in der Menopause. Oder wie zehn Rollerblades in einer Auster. Egal, wenn mein Album aufreizend lässig klingt, dann nur deshalb, weil ich alt und faul bin.

Jetzt möchte ich erst recht auf die pastorale Anmutung in Ihrer Musik zu sprechen kommen. Mit Folkmusik assoziiert man allgemein das flache Land, den weiten Raum. Ihre Version von Folk erzählt aber etwas ganz anderes.

Finden Sie wirklich, dass „Mala“ ein Folkalbum ist?

Auf perverse Art ja.

Die wahre Folkmusik von heute ist HipHop. Sie interpretieren also ein Album als Folk, das mit E-Gitarren, Drums, Synthesizern und Bass eingespielt ist.

Seit wann dürfen Folkies keine elektrischen Instrumente mehr benutzen?

Gut. Wenn Sie entscheiden, dass der A-cappella-Gute-Nacht-Song Ihrer Oma Punkrock ist, dann lasse ich „Mala“ auch als Folkalbum durchgehen. Aber eins möchte ich klarstellen, wenn Folk so viel bedeutet wie akustische Instrumente und Volkslieder, dann bin ich raus. Und meine große Angst ist, als Purist gebrandmarkt zu werden. Meine Musik reflektiert nichts davon. Aber zurück zu Punk. Es ist keine Ästhetik, kein Musikstil. Punk bedeutet in Wahrheit Courage. Wenn man sagt, dies oder jenes ist Punk, dann bedeutet es, etwas ist furchtlos. Sie wissen ja, von was ich spreche.

Ihr Songtitel „Hatchet Wound“ („Streitaxtwunde“) klingt für meinen Begriff ziemlich punkig.

Dann hätte ich ihn mal lieber „Pussy“ taufen sollen. Oder „Pussy, Pussy, Pussy“, das wäre richtig Punk …

Moment, wenn Sie sich nun auf Punk beziehen, frage ich mich, wo liegt die Aggression in Ihrer Musik?

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, ich finde Klaviermusik von Harold Budd viel eher Punk als die Musik der Subhumans.

Sprechen Sie von den kanadischen oder den britischen Subhumans?

Von den mongolischen Subhumans. Ich fand „Penis Envy“ von Crass war das ultimative Punk-Album. Dafür habe ich immer Prügel bezogen. An der Highschool in Kalifornien galt ich als seltsame Schwuchtel, die „Penis Envy“ mochte. Wo ist die Aggression? Es gibt einfach keine Aggression in meiner Musik! Außerdem einen Mangel an Enthusiasmus, viel Selbstmitleid und reichlich Schamgefühl.

Warum bezieht „Mala“ Außengeräusche in das Klangbild ein?

Sie meinen die Sirene eines Krankenwagens in dem Song „The Ballad of Milton Keenan“. Meine Wohnung liegt nahe an einem Krankenhaus. Und meine guten Songs entstehen immer zur unmöglichsten Zeit: Das Einzige, auf das ich mich verlassen kann. In meiner Musik spielt der Zufall eine große Rolle, die Entropie und Kollaborationen mit weiß Gott wem.

Wenn ich finde, Musik ist es wert, komponiert zu werden, habe ich gerade kein Papier und keinen Stift zur Hand. Wenn eine geniale Melodie aufgenommen werden muss, bin ich leider nicht im Aufnahmestudio. Wenn ich etwas malen möchte, fehlen mir stets Leinwand und Pinsel. So läuft’s bei mir. Für mein Debütalbum habe ich Songs auf Anrufbeantworter gespielt, die Ideen kamen mir beim Wandern durch Los Angeles, also habe ich meinen Freund Noah Georgeson angerufen und gefleht, dass er die Skizzen nicht löscht.

Stimmt es, dass Sie nach New York gezogen sind, weil Sie so fasziniert von dem Musiker Arthur Russell sind? „Mala“ beginnt mit dem Song „Golden Girls“ und der Aufforderung, „Get on the Dancefloor“.

Sie sehen hier einen Zusammenhang? Dann gibt es ihn tatsächlich. Gut, es ist schon eine Weile her, dass ich Tim Lawrence’s Buch „Hold on to your Dreams“ gelesen habe, die Lebensgeschichte von Russell. Ich mochte seine Musik schon lange bevor ich nach New York gegangen bin. Aber als ich Lawrence las, wurde mir schlagartig bewusst, dass das New York von Arthur Russell heute verschwunden ist.

Ich empfinde ihn als Genie, und das wird in dem Buch richtig klar, denn es beschreibt dieses Spinnennetz von disparaten Szenen und Russell als eine Art Harry Smith, der zwischen der schwulen Discokultur und der experimentellen Musikszene rastlos hin und her wandert, im Diner „Odessa“ rumhängt und im Tompkins Square Park.

Lawrence beschreibt, wie Russell auf der Fahrt zu einem Konzert aus dem Auto springt, um durch den Holland Tunnel nach New Jersey zu gehen. Das würde kein Normalsterblicher je machen. Also es war nicht so, dass ich Russells Musik entdeckt habe und sofort beschloss, nach New York zu gehen. Aber das Buch war ein Katalysator für mich.

Wie Russell waren Sie auch zuerst an der West Coast.

Aber anders als Russell hatte ich keinen Allen Ginsberg als Lyriklehrer. Anders als Russell habe ich mein Cello auch nicht im Schrank geübt. Mein Coming-out war mit neun Jahren und ich bin jahrelang nur Skateboard gefahren.

Ein Song auf Ihrem neuen Album ist Hildegard von Bingen gewidmet. Vor Kurzem aß ich ein Biobrot, das „Hildegard von Bingen Brot“ hieß. Es schmeckte etwas fad.

Ist Ihnen von Bingens Musik ein Begriff?

Ich weiß, dass Hildegard von Bingen eine Protofeministin aus dem Mittelalter ist.

Lassen Sie es mich mit einer Analogie erklären. Simon Diaz ist ein wunderbarer Sänger und Dramatiker aus Venezuela, wo ich mit meiner Mutter aufgewachsen bin. Er ist auch als Komiker bekannt und als Musikologe, der Alan Lomax Venezuelas. Außerdem hat er im Fernsehen eine Talkshow. Als ich jung war, war er für mich nur der Mann, der Werbung für Cornflakes macht. Erst später entdeckte ich seine Musik. Ähnlich verhält es sich mit Hildegard von Bingen. Für Sie mag von Bingen nur Biobrot sein. Aber sie war eine Heilige, eine Mystikerin und eine fantastische Komponistin.

Ich hörte zuerst, wie das Kronos Quartett einen ihrer Choräle interpretierte. Dann dachte ich: Wer ist diese Hildegard? Dann interessierten mich ihre Schriften sogar noch mehr. Die Hildegard in meinem Song flieht aus dem Kloster, zieht nach San Francisco und wird eine VJ, die „Zulu Nation“ von Africa Bambaataa auf Heavy Rotation spielt. Eine Feministin des Mittelalters, das finde ich als Ausgangspunkt eines Songs geradezu überwältigend!

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