Neues Album von "Broadcast": Sie hören Stimmen

Völlig aus der Zeit gefallen: Das britische Duo Broadcast veröffentlicht zusammen mit dem Designer und Sampletüftler The Focus Group eine anregende Klangcollage.

Bunt und farbenfroh. Bild: Peter Heilmann - Lizenz: CC-BY

Einst wollte Grace Slick Richard Nixon LSD verabreichen. Doch ihr Plan flog auf, und die Sängerin der US-amerikanischen Psychedelicband Jefferson Airplane, die 1969 gemeinsam mit ihrer Kommilitonin, Nixons Tochter Tricia, zum Teetrinken ins Weiße Haus geladen war, wurde von Sicherheitsleuten des US-Präsidenten an ihrem Vorhaben gehindert. Wer weiß, was sonst aus der Welt geworden wäre.

Den Begriff "Psychedelic" hat allerdings ein Brite geprägt: Aldous Huxley, Autor von "Schöne neue Welt", war schon in den Fünfzigerjahren nach Kalifornien gezogen, um dort zusammen mit dem Psychiater Humphrey Osmond zu erforschen, welche Wirkung Meskalin im menschlichen Hirn hervorruft. Dies hat er mit dem Wort "psychedelisch" definiert. Nach Huxleys Essay "The Doors of Perception" (1954), in dem es um die Ausweitung der Wahrnehmung nach innen geht - Pforten aufreißen, neue Eindrücke hereinlassen und annehmen -, hatten sich die Jefferson-Airplane-Kollegen The Doors benannt.

Trish Keenan kommt aus Birmingham, Nordengland, und hat ebenfalls bereits durch einige Pforten der Wahrnehmung gelugt. Der weibliche Teil des Duos Broadcast, dessen neues Album eine Kollaboration mit dem Künstler und Labelgründer The Focus Group alias Julian House ist, beschreibt ihr musikalisches Schaffen als inspiriert von Träumen und Erinnerungen, denn diese haben ebenfalls keinen Anfang und kein Ende. 21 Teile, Stücke im wahrsten Sinne des Wortes, hat ihr neues Werk "Broadcast & The Focus Group investigate Witch Cults of the Radio Age". Songbasierend sind davon nur sechs, der Rest sind Soundpartikel, vorbeihuschende, auditive Eindrücke, Stimmungen in Geräusche gepresst, verwoben in eine dichte und höchst anregende psychedelische Klangcollage.

Wie ein Hammer-Horror-Traummix solle die Musik klingen, während Broadcast selbst darin die Rolle der auf der mitternächlichen Drogenparty im Schloss auftretenden Band übernähmen, charakterisierte es Keenan in einem Interview mit einem britischen Musikmagazin. Sie nennt Einflüsse wie den Horrorfilm "The Witches" von 1966.

Produziert von der britischen "Hammer Film", findet eine junge Frau mit Voodooerfahrungen heraus, dass in einer englischen Kleinstadt Menschen einem Hexenritual geopfert werden sollen. Keenans anderer Lieblingsfilm ist der extrem gruselige, ebenfalls um das Thema Hexenkult und Menschenopfer kreisende, 1973 entstandene "The Wicker Man". Doch wer seine Einflüsse so genau verortet, ist zu sophisticated, um billig schocken zu wollen. Keenan und ihr Bandpartner James Cargill sind auch keine Retrotypen, die auf den Trash- und Camp-Faktor alter Horrorthemen schielen.

Ihre Auseinandersetzung mit dem Format der Klangcollage, das bewusste Aufweichen von Songstrukturen und das Ausprobieren und Erfinden von neuen Geräuschen scheint einem exakten Plan zu folgen, obwohl die Musik - im besten psychedelischen Sinne - auf Improvisation und fixen Ideen basiert.

Die 21 Teile des Albums zerfließen auf "Broadcast investigate Witch Cults of the Radio Age" träumerisch perfekt ineinander, sodass man den großen Rahmen dahinter intuitiv versteht. Die Soundcollage ist das, was man sieht, wenn die Augen geschlossen sind. Assoziationen, die die Musik von Broadcast erzeugt, bewegen sich magischerweise im Kontext: Im langsamen Rhythmus von "Loves long listenin" scheinen schwere dunkle Eichenmöbel verrückt zu werden, oder bewegen sie sich während einer Séance von selbst? In "Make my sleep his" wandert eine irre Ministrantin nachts durch eine Kirche und singt.

Eine Art "LaVey Lament" habe sie dabei im Kopf gehabt, erklärt Keenan, was den selbst ernannten Begründer des modernen Satanismus, Anton Szandor LaVey, sicher freuen wird, von wie tief unten er auch immer zuhört. Den Song "I see so I see so" komponierte Keenan nach einem Besuch im Britischen Museum in London. Während das Spinett im Hintergrund plingelt, versteht man den Hinweis auf einen "January Ritual Song" - frostige Landschaften ziehen vorbei. Tatsächlich sind Broadcast vor den Aufnahmen aufs Land gezogen, um sich intensiver mit der verwunschenen Natur auseinanderzusetzen. Und plötzlich klingt Keenan wie Grace Slick - auch das ist bestimmt beabsichtigt.

Überhaupt finden sich in der Musik von Broadcast viele versteckte Referenzen: an Pink Floyd und ihr großartiges Debütalbum "The Piper At The Gates Of Dawn", an die Verlorenheit des LogIn-Syndrom-Aspiranten Brian Wilson oder an die zart-angedröhnten Versuche von George Harrison. Sanft sind diese Erinnerungsfetzen in die Struktur der Songparts eingewebt, lassen sich nicht extrahieren, aber man hört sie deutlich. "Ich versuche, die Worte kryptisch klingen zu lassen" sagt Keenan, und das fällt ihr sichtlich leicht: "All circles vanish, raa raaa raaa raaaa", singt sie im zweiten, einem Songschema noch am ähnlichsten scheinenden Stück des Albums "The Be Colony". Und genau diese ausgesucht genussvolle Bedeutungslosigkeit erwirkt eine Leichtigkeit, die sogar Humor durchscheinen lässt.

Kann es eine erwachsene Frau wirklich ernst meinen, wenn sie in "Libra, The Mirrors Minor Self" behauptet, sie wolle so klingen wie ein Séance-Spiegel, wenn er sprechen könnte? Tatsächlich liegen alle Verstiegenheiten von Broadcast einer unbändigen und ansteckenden Lust am Experiment zugrunde. Vornehmlich in Kirchen, Wohn- und Schlafzimmern ihrer Freunde aufgenommen und in zwei Wochenendsessions mit Ideen von The Focus Group angereichert, haben Broadcast ihre Pforten der Wahrnehmung tatsächlich so weit geöffnet, wie es geht, ohne dass etwas aus den Angeln fällt.

Sie loopen echte und elektronische Stimmen, werfen Harfentöne in Sequenzer und holen sie zurück. Sie lassen Telefone klingeln, Hunde oder Menschen, die sich für Hunde halten, bellen und mischen den Sound rhythmisch unter. Sie kippen Blockflötentöne in den Hintergrund, die einem Stamm trippender Andenindianer zu entweichen scheinen. Sie schneiden Taktschnipsel vordergründig arhythmisch, aber im Gesamteindruck so perfide passend zusammen, dass plötzlich wieder ein Rave in der Luft liegt und mit elektronischer Popmusik sozialisierte Menschen wissend mitlächeln können.

Sie verwischen die Klangspuren, sodass man nicht weiß, sind sie selbst eingespielt oder sind es Samples der sogenannten Library Music - Musik, die vor allem in den 60ern und 70ern für BBC Film- und Fernsehproduktionen produziert und in Einsatzkatalogen zusammengestellt wurde, vieles davon ist zwischenzeitlich rechtefrei.

Das macht den retrofuturistischen Charme von Broadcast aus und unterscheidet sie wohltuend von Neo-Folkbands, die konventionellen Songstrukturen verhaftet bleiben. Und dass es ausgerechnet das "Radio Age" ist, in dem Broadcast Hexenkulte suchen und untersuchen wollen, ist ein weiterer liebevoller und unverblümt selbstbewusster Hinweis auf den Spirit, in dem die Musikcollage steht: In unseren digitalen Zeiten wirken Stimmenhörer, die geheime Botschaften im Rauschen bestimmter Radiofrequenzen zu verstehen glauben, fast schon steinzeitlich.

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