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Neues Album der Chemnitzer Band BlondSchnörkellose Klatsche

Das zweite Album des sächsischen Poptrios Blond liefert der männerzentrierten Musikindustrie tolle Ohrwürmer. Die knackigen Beats braucht man dringend.

Mischen den hiesigen Pop richtig auf: Chemnitzer Trio Blond Foto: Anja Jurleit

Nehmen wir mal an, jemand komponiere einen griffigen Popsong, dessen Text von einem Thema handelt, das wirklich viele Menschen verstehen. Irgendwas, das starke Emotionen bündelt, weil es die Hälfte der Menschheit persönlich betrifft. Ein Erfolgsgarant? Kommt drauf an. „Abseitig“, „schräg“ – so lauteten Urteile zum Debüt­album „Martini Sprite“ des Chemnitzer Trios Blond aus dem Jahr 2020. Welch bizarre Angelegenheit wurde da verhandelt?

Blond „Perlen“

Blond: „Perlen“ (Odyssey Music Network/Betonklunker/Fuga)

Blond schrieben einen Songtext über Menstruation. In „Es könnte grad nicht schöner sein“ singen Nina und Lotta Kummer, musikalisch unterstützt von Johann Bonitz, darüber, wie es ist, eine erquickliche Stimmung durch die Regelblutung vermiest zu bekommen.

Auch wenn die halbe Weltbevölkerung mit dieser Botschaft etwas anfangen kann, Teile der deutschen Musikpresse wussten nicht damit umzugehen. Irgendwie feministisch kam ihnen das vor, und „kritisch“ – klar, weil: Frauen und ihre Körper, schwieriges Thema.

Status: sonderbar

Blond genießen seitdem einen sonderbaren Status in der hiesigen Musiklandschaft. Einig war man sich, dass es so eine Band „dringend braucht“. Trotzdem mussten sich die drei als „kleine Schwestern von Kraftklub“ titulieren lassen, weil Nina und Lotta aus derselben Familie stammen wie ein gewisser Felix Kummer, der solo und mit seiner Band bereits zum Pop-Etablissement gehört. Auf Festivalplakaten rangierte der Bandname Blond allenfalls beim Kleingedruckten.

„Es regnet Männer“ heißt folgerichtig die an einen Hit der US-Discoqueens Weather Girls angelehnte Bestandsaufnahme von Blond auf ihrem neuen Album „Perlen“. Nicht klagend, sondern eher im Modus zynisch-gefeierter Resignation erzählt die Band hier über einem knackigen Beat und einem düsteren Gitarrenriff von dem, was ihnen in den vergangenen Jahren widerfahren ist – und das auch vielen anderen Musikerinnen bekannt sein dürfte.

Seit Langem weisen Organisationen wie der Verein „Music S Women*“ und die Initiative „Cock am Ring“ darauf hin, dass Frauen auf den größten deutschen Musikfestivals bestenfalls im einstelligen Prozentbereich auf den Bühnen vertreten sind. Beteuert wurde seitdem viel, geändert hat sich: nichts! „Das Line-up wird länger / Mehr Platz für noch mehr Männer“, subsumieren Blond bündig und folgerichtig.

Feiner Humor

Mit ähnlich feinsinnigem Humor sind auf „Perlen“ auch Songs verfasst, die keine Geschichten aus der männerübersättigten Musikindustrie erzählen. „Du und ich“ funktioniert als geschickte Erwiderung auf sexuelle Belästigung: „Du und ich bis in den Tod“, ist hier nicht als schwärmerische Zeile, sondern als Drohung zu verstehen, stimmlich knapp an der Schräge, am Irrsinn vorbeischrammend.

Auch hier verzichtet die sächsische Band auf jede Wehmut und Anklage. Blond schütteln über einer postpunkigen Bassline Mitsingzeilen für die Indiedisco aus den Ärmeln und schaffen es dabei trotzdem, jedem Song auf „Perlen“ eine Dimension zu geben, die weit über rein persönliche Geschichten hinausgeht.

In der Indiehymne „Toxic“ schwört die Band etwa, sich nie wieder auf manipulative Typen einzulassen, und garniert den Song mit dokumentarischen Beschreibungen parasitärer Würmer, die Verhalten und Gedanken ihrer Opfer beeinflussen, bis sie ihren eigenen Tod herbeiführen. Hier wird zwar nicht mit der flachen Hand ausgeteilt, aber dennoch sitzt die Klatsche amtlich.

Gehirnklempner als Posterboy

Allein der Psychotherapeut bleibt jemand, über den sich die Sän­ge­r*in­nen aufrichtig freuen, weil er als einer der wenigen männlichen Charaktere ihren Alltag nicht nur anstrengender und schlechter macht („Mein Boy“).

Die zwölf Songs auf „Perlen“ verzichten konsequent auf Schnörkel und Posing, lieber stellt die Band lyrische Cleverness in etlichen Ohrwurm­refrains in den Vordergrund. Tatsächlich wirkt die Musik damit wie eine sauber aufgereihte Kette glattpolierter Schmuckstücke, die alle für sich stehen können und dabei nie je irgendeine rockistische Überhöhung brauchen.

Mit „Du musst dich nicht schämen“ reicht die Band zum Schluss noch einmal scharfzüngig all jenen die Hand, die ihre Musik sehr gut finden würden, wenn sie nur über den Schatten ihrer Männlichkeit springen könnten: „Wanderausflug zum Vatertag / Du bist nicht mitgekomm’ / Du fühlst dich krank / Hast du gesagt, dabei hast du Tickets für Blond.“

Nach 34 Minuten hat diese Band einmal zielsicher, saftig und bei bester Laune in alle Richtungen ausgeteilt, ohne jemals in die Defensive auszuweichen. Dass es so etwas lange nicht – und in der Form vielleicht noch nie – gab, das darf jetzt auch bei manchem Booker, Manager oder Journalisten ankommen. Vielleicht wären das aber auch: „Perlen“ vor die Säue.

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