Soloalbum des Kraftklub-Sängers: Braun ist keine nice Farbe
Der Chemnitzer Sänger Felix Kummer veröffentlicht sein düsteres Solowerk „Kiox“. Er orientiert sich an Lana Del Rey – und ist trotzdem nicht depri.
Er macht HipHop wieder weich, er macht Rap wieder traurig. Das ist die Ansage beim ersten Lied auf dem Debütalbum von Felix Kummer. Der Sänger der Band Kraftklub aus der sächsischen Stadt Chemnitz hat sich für eine Weile – er nennt es so eine Art Babyzeit – von seiner Band verabschiedet, um eigene Songs zu komponieren; Songs, die zu persönlich waren, als dass er sie seiner Band zumuten wollte.
Denn „Kiox“ ist ein düsteres Album geworden, ein Album voller „Befindlichkeitsscheiße“ (O-Ton Kummer), ein Einblick in die private Gedankenwelt des Künstlers, der genauso alt ist wie die Wiedervereinigung. „Manche haben mich nach dem Hören gefragt, ob bei mir alles in Ordnung ist“, erzählt Felix Kummer.
Er lacht viel während des Interviews, ein gut gelaunter, smarter Typ. Kein Wunder, dass sich Nahestehende Sorgen machen, wenn er singt: „Vielleicht hätten wir Glück / Das Glück, dass man uns einfach vergisst / Die Welt würde sich weiter drehen / Stück für Stück / Immer weiter drehen / Nur halt ohne dich und mich / Die Anderen wären traurig / Wir würden vermisst / Aber scheiß auf die Anderen, wenn dafür alles bleibt, wie es ist“.
Dass „Kiox“ dystopisch, traurig und düster klingt, liegt auch daran, dass sich seine Entstehung über einen Zeitraum von fünf Jahren erstreckt hat. „Ich bin eigentlich gar kein pessimistischer Mensch“, sagt Kummer. „Aber es sind eher die schwierigen Momente, in denen ich zum Stift greife.“ Momente, die man nicht auf Instagram postet.
Felix Kummer: „Kiox“ (Kummer & Eklat Tonträger)
live: 28. 11. München, Freiheiz; 29. 11. Köln, Gloria; 30. 11. Frankfurt a. M., Batschkapp; 1. 12. Ludwigsburg, Scala: 4. 12., Dresden, Tante Ju; 7. 12. Hamburg, Grünspan; 8. 12. Leipzig, Conne Island; 11. 12. Berlin, Kesselhaus; viele Konzerte ausverkauft, Fortsetzung 2020
In seinen Liedern geht es um Liebe und Freundschaft, ums Älterwerden und um psychische Probleme. Aber es ist eben nicht nur Befindlichkeitsscheiße – und das macht die Musik des Albums so interessant.
Dass das Private auch politisch ist, darauf machen Kummer und Kraftklub seit Anfang an aufmerksam. Ihr #wirsindmehr-Konzert nach der rechten Randale in Chemnitz 2018 war vor allem ein Zeichen dafür, dass man nicht allein ist in seiner Ratlosigkeit, seinem Frust, nicht allein in dieser Stadt. Chemnitz – auf Kummers Geburtsurkunde heißt es noch Karl-Marx-Stadt – ist auch auf seinem Soloalbum ein Thema.
Das fängt schon beim Titel an: „Kiox“ hieß einst der Plattenladen seines Vaters, des bildenden Künstlers und Musikers Jan Kummer, in dem der kleine Felix nachmittags zwischen Kaffeeduft, Zigarettenrauch und Plattenregalen herumrannte. Nun hat er kürzlich als Reminiszenz drei Tage lang selbst in der Chemnitzer Innenstadt nahe dem Bahnhof einen Plattenladen eröffnet, um dort, und zwar nur dort, sein Album, und zwar nur sein Album, zu verkaufen.
Die Leuten standen Schlange, Kummer signierte eifrig und schloss nach drei Tagen wieder zu. Wer sein Werk (als LP oder wahlweise auch als Kassette) nun erhalten will, muss sie im Online-Shop von Kiox kaufen, auf den üblichen Plattformen wie Amazon ist es nicht erhältlich; Kummer hatte einfach keine Lust, sein persönliches Album am Ende noch aus der Hand zu geben. Dennoch hat es „Kiox“ geschafft, direkt auf Platz 1 der – zugegeben zunehmend bedeutungslosen – deutschen Charts zu landen.
Mitleid für Ex-Nazis?
„9010“ heißt die erste Single des Albums – auch sie eine Anlehnung an die Stadt von Kummers Kindheit: 9010 war die Postleitzahl von Karl-Marx-Stadt und seiner Umbenennung in Chemnitz noch bis 1993. Im Song rappt der 30-Jährige über einen Neonazi, der ihm und seinen Kumpels immer auf die Fresse gehauen hat, der nun aber so tief abgestürzt ist, dass Kummer keinerlei Rachegefühle, sondern nur mehr Mitleid empfindet.
„Es ist aber kein Verständnis-Song im Sinne von: Wenn du ein schwieriges Leben oder Probleme in der Kindheit hattest, ist es klar, dass du Leute ins Krankenhaus schlägst“, betont Kummer. Er ärgere sich sogar ein bisschen drüber, dass er nicht mehr Genugtuung empfinde.
Sehr intensiv mit Chemnitz und mit der gesamten sächsischen Neonazi-Problematik beschäftigt sich Kummer im Song „Schiff“: „Rostbraune Flecken an den Wänden unter Deck / Und wenn man das Jahrzehnte lang so lässt/ Dann geht das später nicht mehr von alleine weg.“ Teile des Liedes sind lange vor dem vergangenen Jahr entstanden, auch damals schon aus einem ambivalenten Verhältnis gegenüber seiner Heimatstadt.
„Ich kenne niemanden, der noch nie gesagt hat, dass er wegziehen würde“, sagt Kummer. „Aber ich kenne viele, die auch wieder zurückgekommen sind.“ Denn es gebe viele Möglichkeiten dort – angefangen bei billigen Mieten und Proberäumen.
Wenn der Rap weich wird
Es ist nicht die einzige Ambivalenz auf „Kiox“. Das ganze Album ist voll davon. Wenn Kummer – unterstützt vom Berliner Varieté-Sänger Max Raabe – darüber singt, dass er Angst hat, dass nun im Alter von 30 die geilste Zeit seines Lebens vorbei ist, dann sinniert er in der dritten Strophe darüber, ob Kinder und ein Haus nicht auch schön wären.
Wenn er über Liebe rappt, dann erwähnt er auch Menschenhass. Rappt er über coole Outfits, dann über das Rich-Kids-Spiel, bei dem mit den teuren Preisen von Sneakers geprahlt wird. „Life ist super nice, da wo man die Schuhe trägt. Life ist nicht so nice, da wo man die Schuhe näht.“
Er rappt über das Rich-Kids-Spiel, bei dem mit den teuren Preisen von Sneakers geprahlt wird
Düster wirkt „Kiox“ auch wegen der melancholischen Musik. „Mir fällt es schwer, mich musikalisch zu artikulieren“, sagt Kummer. „Ich kann kein Instrument spielen, keine Noten lesen.“ Also versuchte er seinem Produzenten Blvth mit Worten zu erklären, was er wolle. „Und ich habe versucht etwas herzustellen, das so etwas auslöst, was bei mir zum Beispiel die Musik von Lana Del Rey auslöst“, sagt er. Blvth wusste sofort, welche Stimmung er meinte.
Und so hat Kummer den Rap wieder weich gemacht, wieder traurig. Und trotzdem ist alles in Ordnung mit ihm, denn es ist nie alles in Ordnung.