Neues Album der Band Tränen: Erbrochenes auf Asphalt
Die deutsche Band Tränen setzt auf Punk-Nostalgie. Ihr neues Album „Haare eines Hundes“ ist das emotionale Konterbier, das es manchmal braucht.
Trends kommen, Trends gehen. Und dann kommen sie noch mal: Hüfthosen, bunte Trainingsjacken, Dauerwelle. Nostalgie gibt es nicht nur in Aerobic-Videos, auch in der deutschsprachigen Musiklandschaft feiert mit der „Neuen Neuen Deutschen Welle“ (NNDW) gerade ein Sound, der durch 80er-Jahre-Beats, Synthesizer und minimalistische Songtexte charakterisiert ist, ein abermaliges Revival.
So mag sich auch das Debütalbum „Haare eines Hundes“ des Chemnitzer Duos Tränen für manch eine:n nach Zeitreise anfühlen. Tränen, das ist auf der einen Seite Sängerin Gwen Dolyn. Seit 2020 macht die Darmstädterin gemeinsam mit den „Toyboys“ Musik, irgendwo zwischen Grunge, Punk und NNDW. Auf ihrer EP „Komm schon“, die 2022 erschienen ist, singt sie Deutsch und Englisch. Auf der anderen Seite Steffen Israel, Gitarrist der Chemnitzer Indieband Kraftklub, die selbst für ihre Nullerjahre-Nostalgie bekannt ist.
Am Anfang stand ihre Idee, einen Klassiker des Deutschpunk zu covern. Nun gibt es elf Tracks, in denen das Duo seine verschiedenen Einflüsse vereint – und dabei einen Ohrwurm hinterlässt. Die Musik auf „Haare eines Hundes“ klingt mal laut und energisch, wie das Cover des Punksongs „Duell der Letzten“ von Chaos Z aus Stuttgart.
Zwar kommt es lange nicht so hart, roh und schroff daher wie das Original von 1985, die Liebe zum Punk ist dem Song aber immer noch anzuhören. Obwohl Tränen das Tempo rausgenommen hat, klingt der Song zackig und hämmernd, doch gleichzeitig melodisch und verträumt.
Komplizierte Beziehungen, Sehnsucht und Selbstaufgabe
Andere Songs sind ruhiger, von Gwen Dolyns Stimme bleibt kaum mehr als Sprechgesang („Kapitulation“). Am mitreißendsten klingt die Musik von Tränen aber, wenn die Beiden den Sound der Nullerjahre in neuem Gewand präsentieren: Mit verspielten Melodien, eingängigen Refrains und intimen Textzeilen. So auch im Song „Stures dummes Herz“, dessen Text vom Zwiespalt zwischen Kopf und Verstand handelt, von Gefühlschaos.
In einem Gespräch mit dem eigenen Herzen geht es um komplizierte Beziehungen, um Sehnsucht, um Selbstaufgabe. „An sich will ich doch nicht viel/ Aber alles was ich will/ Bist du und das Glück der Welt/Oder kostet das zu viel?“ Was Stoff für eine melancholische Ballade bietet, kommt bei Tränen stattdessen mit Gute-Laune-Beat und Pop-Refrain daher, der an Wir Sind Helden erinnert. Herzschmerz, zu dem man entfesselt im Stroboskop-Blitz tanzen will.
Im Text von „Mitten ins Gesicht“ wird die Geschichte weiterentwickelt. Das lyrische Ich flieht vor einer unglücklichen Beziehung. Gwen Dolyn singt darüber, wie sie nicht länger stumm bleibt, nicht mehr alles mit sich machen lässt. Was bleibt, ist nur noch Wut und Enttäuschung. Kraftvoll schlägt Gwen Dolyn ihrem Gegenüber mit ihrer Stimme mitten ins Gesicht. „Lass den Schmerz heraus/ Ich kotz ihn vor dir auf den Asphalt.“
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Tränen: „Haare eines Hundes“ (Eklat Tonträger/Warner Brothers)
Gwen Dolyns engagierte Texte geben den Songs eine feministische Perspektive. Anschaulich vermitteln diese die Befreiung aus einer gescheiterten Beziehung und wie ein Ego mit sich selbst glücklich wird. Auch die Angst vorm Älterwerden („Zu alt geboren“) ist ein Thema, das Gefühl, als Frau nachts allein nach Hause zu laufen („Schießen lernen“) und das Bannen von Dämonen („Alte Wunden“).
„Haare eines Hundes“ handelt nicht von Fusselrollen und Tierhaarallergien – Hundegeheul gibt es aber trotzdem. Der Albumtitel spielt auf die englische Redewendung „hair of the dog“ an. Im Mittelalter glaubte man, Bisswunden eines tollwütigen Hundes heilen zu können, indem man dessen Haare auf die infizierte Wunde legt. Gleiches mit Gleichem bekämpfen. Heute meint der Ausdruck, die Symptome übermäßigen Alkoholkonsums am nächsten Tag mit mehr Alkohol lindern zu wollen.
In den Songtexten von Tränen geht es um Schmerz und um das Bewältigen eigener Ängste. „Haare eines Hundes“ ist das emotionale Konterbier, das es manchmal dafür braucht.
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