Neuer britischer Außenminister: Gesicht der Schwarzen Arbeiterklasse
David Lammy ist der erste Außenminister aus der Karibik mit Sklavenvergangenheit. Die Biografie des Labour-Politikers ist eine Aufstiegsgeschichte.
Lammy ist nicht Großbritanniens erster schwarzer Außenminister, aber der erste aus der Karibik mit Sklavenvergangenheit. Seine Eltern kamen einst aus Guyana als Teil der „Windrush Generation“, die erste schwarze Einwanderergeneration direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Geboren wurde er 1972 in London. Mit zehn Jahren gewann er ein Stipendium für die Chorschule der Kathedrale von Peterborough.
Damit betrat der kleine David aus dem Armenviertel eine andere Welt, wie Harry Potter in Hogwarts: der einzige Schwarze in einem Schlafsaal für 15 Jungs, der als Einziger sein Besteck nicht korrekt zu halten wusste, wie er mal in einem Interview erzählte. Wie alle anderen bekam er vom Rektor regelmäßig Prügel, lernte als einziger Nichtweißer im Chor täglich in der prächtigen Kathedrale Singen. Viele wären daran zerbrochen. Er boxte sich durch: 1989 wurde er sogar Schulsprecher.
Die entsprechend steile Karriere folgte: Jurastudium in London und in Harvard, Anwaltsarbeit in den USA, Einzug ins britische Unterhaus für seinen heimatlichen Nordlondoner Wahlbezirk Tottenham bei einer Nachwahl 2000. Da war Lammy erst 27, der Jüngste im Parlament. Es ist eine Aufstiegsgeschichte, die bei den Konservativen häufiger auftritt als bei Labour, zuletzt mit Rishi Sunak – nun hat Lammy die Chance, daraus Außenpolitik zu machen.
Als Abgeordneter für Tottenham wurde David Lammy jetzt zum siebten Mal wiedergewählt, allerdings nur noch mit 57 Prozent der Stimmen, nach 76 Prozent vor fünf Jahren. Labours Schwäche bei diesem Wahlsieg hat auch ihn nicht verschont. Regierungserfahrung sammelte David Lammy noch unter Tony Blair, von 2005 bis 2007 war er sogar Kulturminister.
Kontroverse Positionen
Die schweren Unruhen, die Tottenham nach einem tödlichen Polizeieinsatz im Sommer 2011 erschütterten, machten Lammy erneut bekannt. Sein Buch „Out Of The Ashes: Britain After The Riots“ von 2012 beschrieb eine nihilistische schwarze Jugend, die ohne Vaterfiguren aufwächst, keine Werte vermittelt bekommt, bezahlte Arbeit verachtet und weder Chancen geboten bekommt noch Verantwortung übernimmt – Kritik, die keine Seite verschonte.
Solche Positionen sind kontrovers, und David Lammy ist vorgeworfen worden, sein Mäntelchen nach dem Wind zu hängen. Er unterstützte früher Jeremy Corbyn, mittlerweile hat er Margaret Thatcher als „visionär“ gepriesen. Er hat einst Donald Trump als Nazi bezeichnet und sagt jetzt, er könne mit ihm zusammenarbeiten. Er war ein Gegner des Brexit, heute steht er zum EU-Austritt.
„Früher war ich Hinterbänkler und konnte sagen, was ich fühlte; heute befinden wir uns an einem anderen Ort“, sagte er dazu in einem Wahlkampfinterview. Aber seine Vergangenheit verleugnet er nicht. „Man kann nicht in diesem Raum sitzen und nicht geschichtsbewusst sein“, sagte er in seinem ersten Interview im Ministerbüro. „Es gibt eine Geschichte, die hier zu Hause über die Welt erzählt werden muss.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren