Neuer Roman von Julia Deck: Banale Ungeheuerlichkeit
Eigenheim ist nicht Glück allein. In „Privateigentum“ dekonstruiert Julia Deck die Vorstellung vom perfekten Leben in der Pariser Vorstadt.
„Ich habe dir sofort gesagt, dass es falsch wäre, den Kater zu töten.“ Ein Beginn in medias res, mit undurchsichtigem Ich, das sich an ein mysteriöses Du wendet – sämtliche Spielregeln des Nouveau Roman ploppen auf im neuen Roman der französischen Schriftstellerin Julia Deck. Unter dem Titel „Privateigentum“ ist er in der deutschen Übersetzung von Antje Peter bei Wagenbach erschienen.
„Der schlechte Romancier konstruiert seine Figuren. Der wahre Romancier hört ihnen zu und lässt sie agieren“, notierte Nobelpreisträger André Gide, der als stilprägend für den Nouveau Roman galt, in seinem Journal.
Zu den schöpferischen Nachkommen des Nouveau Roman zählt Julia Deck, die sich bereits in ihren ersten beiden Romanen „Viviane Élisabeth Fauville“ und „Winterdreieck“ als exzellente Beobachterin der Bizarrerien der „bobos“ – der französischen Bohemien-Bourgeoise – hervorgetan hat.
In „Privateigentum“ bettet sie nun die Fantasievorstellung des Eigenheims in eine Szenerie des steten Verfalls: Ich-Erzählerin Eva Caradec, eine wohlhabende Stadtplanerin, zieht mit ihrem depressiven Ehemann Charles in ein Ökoviertel am Pariser Stadtrand, in ein Haus, in dem ihr gemeinsamer Traum von einem besseren Leben endlich Gestalt annehmen kann.
Die Hölle, das sind die Nachbarn
Dafür sorgen Solar- und Müllverwertungsanlage genauso wie Garten, Gemüsebeet und Kompost: „Ich dachte, dass wir wirklich Grund hatten, glücklich zu sein, es sprach einfach alles dafür.“
Julia Deck: „Privateigentum“. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020, 144 Seiten, 18 Euro
Doch die Hölle, das sind die Nachbarn, und die Idee des neuen Zuhauses weicht zusehends dem Gefühl des Erstickens an einem Ort, an dem Minishorts so skandalträchtig sind wie bekleckerte Blusen und Menschen mehr Gefallen am malheur altrui finden als an der Verwirklichung des eigenen Lebens.
Statt im grünen Glück finden sich die Caradecs in der Vorstadthölle wieder: Hinter dem Gediegenen lauert das Durchtriebene, sich liberal-sozial rühmende Nachbar*innen setzen die Nachbarstochter als Babysitterin ein, vergessen jedoch nicht, „ihr auch noch das Bügeln der Wäsche aufzutragen, damit sie nicht fürs Nichtstun bezahlt würde, sobald die Kinder im Bett waren“.
Stück für Stück treibt die nachbarschaftliche Gerüchteküche die Handlung voran: Spätestens mit dem Einzug der Lecoqs bröckelt die Fassade der ethisch einwandfreien Neubausiedlung und mit ihr das Vertrauen in die Erzählerin, denn Eva entpuppt sich als fragwürdige Zeugin der Vorfälle, die sich in und um ihr Heim entspinnen: „Als ich nach Hause kam, warst du schon im Bett und gabst vor zu schlafen. Ich gab vor, es zu glauben.“
Die unzuverlässige Autorin
Neu ist das Konzept der unzuverlässigen Erzählerin nicht. Spaß macht es trotzdem. Wer je in das Vergnügen einer Nachbarschaft gekommen ist, wie sie Julia Deck hier beschreibt, weiß um die Kunst, eine Intrige zu konstruieren, um scheinbar belanglose Details. Was, fragt man sich als aufmerksame*r Leser*in, sollte mich mehr interessieren: was Eva erzählt oder was sie verschweigt?
Es ist Decks Verdienst, jene Details groß zu machen, über die der*die eilige Leser*in gern hinwegsprintet: Ihr erzählerisches Augenmerk ruht auf den lächerlichen, zweitrangigen, banalen Ungeheuerlichkeiten, die sie wie nebenbei einstreut und zu denen sie ebenso leicht immer wieder zurückkehrt.
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