piwik no script img

Neuer Roman „The German Girl“Ein Jahrzehnt auf Speed

Ulrike Sterblich erzählt von deutsch-amerikanischen Amphetamin-Freundschaften. Und liefert eine eigens kuratierte Playlist zu ihrem Roman.

Sterblichs Protagonistin sucht ihr Glück als (Bein-)Model in New York Foto: Ernst Haas/getty images

Immer wieder liegen da diese Bartstoppeln im Waschbecken. In ihrem New Yorker Apartment, bei der Rückkehr in ihre Heimatstadt Berlin, wo sie im feinen Hotel Kempinski am Ku’damm residiert, sogar im mexikanischen Acapulco bei einem Shooting für Nylonstrumpfhosen: Überall entdeckt das German Girl Mona Friedrich dieselben rotbraunen Haarspitzen im Bad.

Als wäre noch jemand in ihren vier Wänden oder hätte zumindest heimlich Zugang dazu. Oder sieht sie vielleicht doch Gespenster, ein Gedanke, der angesichts ihres beträchtlichen Konsums von mit Methamphetamin versetzten „Vitamin“-Spritzen und Diätpillen nicht völlig abwegig wäre?

Die Spur der Stoppeln zieht sich als kleine Nebenspannungskurve durch Ulrike Sterblichs Roman über das New York der sechziger Jahre, bevor sie gegen Ende ihre überraschende Auflösung findet.

Aber auch der größere Erzählbogen bricht mit den Erwartungen: Die Geschichte von Mona, die das Nachkriegswestberlin hinter sich gelassen hat und, befeuert von einer verflossenen Liaison mit einem GI, ihr Glück als (Bein-)Model in New York sucht, könnte sehr leicht auch ein Absturzdrama werden. Denn das gut recherchierte historische Setting, das Sterblich um Mona rekonstruiert, legt einen Schwerpunkt auf eine ziemlich verrückte deutsch-amerikanische Connection.

Das Who’s who der US-Prominenz ließ sich fit spritzen

Die in den dreißiger Jahren aus Nazideutschland emigrierten Ärzte Max Jacobson und Robert Freymann unterhielten in den sechziger Jahren florierende Praxen an der Upper East Side mit Patientenkarteien, die sich wie das Who’s who der US-Prominenz dieser Jahre lesen: Politiker wie John F. Kennedy, Hollywoodstars wie Marilyn Monroe, Billy Wilder und Liz Taylor, Schriftsteller wie Tennesse Williams, Truman Capote, Henry Miller und Musiker wie Eddie Fisher ließen sich von den deutschen Ärzten fit spritzen.

Dass es sich bei den Injektionen um mehr als nur Vitamine handelte, war wohl auch den meisten Pa­ti­en­t*in­nen klar. Die sogenannte „Leistungsdroge“ Amphetamin, auch Speed genannt, kam in den USA erst Anfang der siebziger Jahre auf den Betäubungsmittelindex; als Bestandteil etwa von Appetitzüglern, die die Stones als „Mother’s Little Helper“ besangen, war sie in den Sechzigern legal.

Das Buch

Ulrike Sterblich: „The German Girl“. Rowohlt Verlag, Hamburg 2021, 384 Seiten, 20 Euro

Ironie der Geschichte: In den dreißiger Jahren hatten die Deutschen nicht nur als erste Methamphetamin unter dem Namen Pervitin im großen Stil produziert und vertrieben, sie setzten es auch gezielt in der Wehrmacht ein, bis klar wurde, dass selbst im Krieg die Nachteile der Entzugserscheinungen die Vorteile der kurzfristigen Leistungssteigerung überwogen. Hitler selbst erhielt jedoch bis zuletzt von seinem Leibarzt Theo Morell ganz ähnliche „Vitamin“-Spritzen wie die New Yorker Boheme gut 20 Jahre später von den „Dr. Feelgoods“.

Im Roman konstatiert der Pathologe Dr. Baden nach dem Tod von Jacobsons Patient Mark Shaw, einem Fotografen, der eng mit Kennedy befreundet war, dass der Tote an akutem und chronischem Amphetaminmissbrauch starb. Er beginnt, den Arzt und seine Behandlungsmethoden auszukundschaften. Später steigen Journalisten der New York Times mit in die Recherchen ein. Parallel zur Mondlandung erscheinen die ersten Vorwürfe auf der Titelseite, doch die Approbation verliert Jacobson erst 1975.

Autorin Ulrike Sterblich als „Supatopcheckerbunny“

Auch die fiktive Mona gerät in dieser Zeit auf Empfehlung eines ihrer glamourösen Künstler- und Partyfreund*innen, des schönen Obdachlosen Adam, in die überfüllten Wartezimmer der Meth-Doktoren, die in Sterblichs Schilderungen eher an die Wiesen Woodstocks als an medizinische Räumlichkeiten erinnern.

Die Falle der Abhängigkeit könnte leicht zuschnappen, wenn sich Monas On-off-Beziehung zum kunstliebenden Unternehmersohn Sidney nicht im Laufe des Romans in eine doch sehr solide Liebe verwandeln würde.

Ulrike Sterblich, die in der Berliner Literatenszene der späten Neunziger bei den „Höflichen Paparazzi“ schrieb und später als „Supatopcheckerbunny“ eigene Lesungs- und Buchformate entwickelte, erzählt ihren ersten Roman in einem angenehm flüssigen Ton zwischen Sachlichkeit und Anschaulichkeit.

Stets aus freundlich zugewandter Distanz blickt sie dabei auf ihre vielen Figuren und speist in genau der richtigen Dosis kleine bildhafte Exzentrizitäten ein, wie etwa Schuhe, die aussahen „wie von einem geistesgestörten Schuster zusammengenähtes Herbstlaub“.

Mit Kakadu Winnetou und Spotify-Playlist

Details zählen, sei es Monas zugeflogener Kakadu Winnetou, das geheimnisvolle Parfüm „Berlin“, das ihr die Türe zu den richtigen Leuten öffnet, oder die Songs von Aretha Franklin bis Pat Suzuki (die Ex-Frau von Mark Shaw), die Sidney in seiner Radioshow spielt und die die Autorin in einer Playlist auf Spotify hinterlegt hat.

Auch dass Monas Geschichte eben kein Aufguss eines anderen deutschen Models der Sechziger – Nico – wird, sondern dessen bürgerlichere Variante erzählt, unterstreicht die Stilsicherheit, mit der Sterblich ihren Stoff sanft gegen den Strich bürstet. Allerdings doch um den Preis, dass keine der Figuren und ihre Konflikte, noch nicht einmal die zwischen Autonomiewunsch und Gefährdung schwankende Mona einen so richtig in den Schwitzkasten nimmt. Aber vielleicht ist es ja besser, beim Besuch in diesem heißen Speed-Jahrzehnt einen halbwegs coolen Kopf zu behalten.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Speed ist aber nicht methamphetamin

  • Sätze wie..

    Die Opfer der Ökonomieblase ließen sich hier schon Mittags in überteuerten Caffes von Servicekräften erniedrigen...

    Ich habe in der Tiermittelfabrik gearbeitet, am Pansenband..(Favorit!)

    Ich stand da grad beim Schnabeltier und hab jemanden erklärt das das...

    The Bunny Years, Part 1a



    www.youtube.com/watch?v=-MXq0p1aGbo

    Also, wenn ick nich total daneben liege-Supi-!

    • @Ringelnatz1:

      Liggers…n halbes Jahr reicht bei Ossis ooch - wa.



      Normal Schonn.

      • @Lowandorder:

        Da kann ich nur antworten:

        Sascha Lobo hängt da auch mit drinn.

        Der tiroler Jounalist Gert Nüchtern begegnete in einem, ergreifenden Moment zum erstenmal seinen, leiblichen Eltern.



        Erfolg is halt was reeles, das muß man halt mitnehmen...



        www.youtube.com/watch?v=2Yd67Nt1soI