Argentinien: „Wir sind zurück!“

Mit einer großen Feier vor Zehntausenden AnhängerInnen übernimmt der Mitte-links-Politiker Alberto Fernández die Präsidentschaft. Größte Herausforderungen sind die desolate Wirtschaft und die Armut

Aus Buenos Aires Jürgen Vogt

Argentinien hat einen neuen Präsidenten. Am Dienstag legte der Mitte-links-Politiker Alberto Fernández vor dem Kongress in Buenos Aires den Amtseid ab. Der 60-jährige Fernández löst den konservativen Mauricio Macri ab, gegen den er sich Ende Oktober bereits im ersten Wahlgang mit 48 Prozent der Stimmen durchgesetzt hatte. Vizepräsidentin von Fernández wird die frühere Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner.

Bei brütender Hitze startete am frühen Nachmittag ein Volksfest vor dem Präsidentenpalast. „Alberto, querido – el ­pueblo está contigo“ (Alberto, Lieber – das Volk ist mit dir) skandierte die Menge auf der aus allen Nähten platzenden Plaza de Mayo, als der neue Präsident kurz nach 20 Uhr Ortszeit auf die Bühne vor dem Präsidentenpalast trat und das Thermometer noch immer 35 Grad anzeigte. Fernández hatte bereits am Tag zuvor Volksnähe demonstriert, als er die Gitterzäune vor dem Präsidentenpalast abräumen ließ und sich die Plaza de Mayo erstmals seit 2001 wieder ohne Absperrungen präsentierte.

In seiner ersten Rede vor dem Kongress hatte Fernández zuvor eine düstere Bilanz gezogen. „Argentiniens Wirtschaft hört nicht auf zu schrumpfen. Erstmals seit 1991 hat Argentinien eine Inflationsrate über 50 Prozent. Die Arbeitslosenquote ist die höchste seit 2006. Der Wert des Dollars ist seit 2015 von 9,60 Peso auf 63 Peso gestiegen.“ Die Wirtschaft und das soziale Gefüge seien in einem Zustand extremer Schwäche.

Tatsächlich ist die Sozialbilanz von Vorgänger Macri verheerend. Der 60-Jährige selbst hatte die Senkung der Armutszahlen als die entscheidende Messlatte für den Erfolg seiner Politik ausgegeben. Nach einem kürzlich veröffentlichten Bericht des angesehenen Observatorio de la Deuda Social der Katholischen Universität ist der Anteil der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze von 29 Prozent 2015 auf 40,8 Prozent heute gestiegen.

Im kommenden Jahr beträgt der Schuldendienst 21 Milliarden US-Dollar, in den danach folgenden zwei Jahren sind es 44 Milliarden US-Dollar allein beim IWF. „Um die Schulden tilgen zu können, muss man erst wachsen“, sagte Präsident ­Alberto Fernández und kündigte eine harte Neuverhandlung der Verbindlichkeiten an.

Dafür zuständig ist seit Dienstag der neue Wirtschaftsminister Martín Guzmán. Der 37-Jährige gilt als Schüler des von Cristina Kirchner sehr geschätzten US-Ökonomen Joseph Stiglitz, ist aber den meisten Argentinier*innen bisher unbekannt gewesen.

Bekannter ist dagegen der 47-jährige Matías Kulfas. Der ehemalige Chef der halbstaatlichen Banco Nación soll als eine Art Superminister für produktive Entwicklung Wirtschaft und Konsum wieder zum Laufen bringen. Schon in den kommenden Tagen sollen Maßnahmen verkündet werden, die vor allem die Kaufkraft der ärmeren Bevölkerung stärken sollen.

Mit der Ernennung von Eli­za­beth Gómez Alcorta zur Ministerin für Frauen, Geschlecht und Vielfalt hat Fernández bereits ein Wahlversprechen eingelöst: Erstmals hat Argentinien ein Frauenministerium. Bei ihrer Vereidigung hatte die 47-jährige Gómez Alcorta ein grünes Tuch um ihr Handgelenk gewickelt – das Symbol für den Kampf um das Recht auf legalen Schwangerschaftsabbruch.