Neuer Landtag in Brandenburg: Und keiner hat „Pfui“ gesagt
In Brandenburg trat der neue Landtag zusammen – erstmals ohne die Linkspartei und unter der Leitung eines BSW-Abgeordneten.
![Alterspräsident Reinhard Simon und Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke. Alterspräsident Reinhard Simon und Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke.](https://taz.de/picture/7304340/14/36791642-1.jpeg)
Ebenfalls raus sind die Grünen, die seit 2019 Teil der Kenia-Koalition mit SPD und CDU waren, und die Freien Wähler. Neu im Parlament ist das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das aktuell mit der SPD in Gesprächen über eine Koalition ist.
Bei der Landtagswahl im September waren die brandenburgischen Sozialdemokraten erneut und wie durchweg seit 1990 stärkste Kraft geworden, knapp vor der AfD. Dazu hatten sie alles auf ihren Landesvorsitzenden gesetzt, den seit 2013 amtierenden Ministerpräsidenten Dietmar Woidke. „Wer Woidke will, wählt SPD“, hatten sie plakatiert und es damit geschafft, der Unbeliebtheit ihrer Bundespartei entgegenzuwirken. Woidke hatte angekündigt, sich zurückzuziehen, falls die AfD die Wahl gewinnen würde.
Für die Regierungsbildung kommt bislang nur ein Bündnis der SPD mit dem BSW in Frage, das mit 46 von 88 Stimmen eine knappe Mehrheit im brandenburgischen Landtag hätte. Mit der CDU käme die SPD nur auf 44 Sitze und damit einen zu wenig. Die AfD hat mit 30 Sitzen eine Sperrminorität und kann damit etwa Verfassungsänderungen verhindern, für die eine Zweidrittelmehrheit nötig ist.
Vor diesem Hintergrund und nach den tumultigen Szenen bei der Eröffnung des Thüringer Landtags war durchaus mit Spannung erwartet worden, wie der BSW-Abgeordnete Reinhard Simon als 73-jähriger Alterspräsident die erste Sitzung des neuen Parlaments handhaben würde. Er hatte zu Wochenbeginn in einem Interview angedeutet, das BSW werde „dort, wo die AfD sinnvolle Dinge beantragt“, nicht pauschal ablehnen, sondern unter Umständen auch zustimmen.
Am Donnerstagvormittag aber erwähnte Simon, bis 2019 rund drei Jahrzehnte Intendant der uckermärkischen Landesbühnen Schwedt und mit dem Verdienstorden des Landes Brandenburg ausgezeichnet, die AfD in seiner Eröffnungsrede mit keinem Wort. Generell sagt er, „Pfui-Bekundungen“ würden für ihn nicht zum Umgang mit gegensätzlichen Meinungen gehören.
Keine Tumulte wie in Erfurt
Simon forderte, die ostdeutschen Bundesländer „nicht wie Beitrittsgebiet“ zu behandeln. Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine appellierte er an die brandenburgischen Gemeinden, Städtepartnerschaften und Kulturaustausch mit Russland wieder aufzunehmen.
Für die angestrebte Zusammenarbeit zwischen SPD und Simons Partei hatte es tags zuvor ein weiteres Treffen gegeben. BSW-Landes- und Fraktionschef Robert Crumbach zeigte sich danach „grundsätzlich zuversichtlich“. Insgesamt seien die Gespräche gut verlaufen, „auch wenn es manchmal schwierig ist“, äußerte sich Crumbach, der über 40 Jahre SPD-Mitglied war. Die SPD hält sich bislang mit Einschätzungen zurück, weil man Stillschweigen vereinbart habe.
Unterschwellig allerdings hofft die SPD darauf, dass, falls die Gespräche auf Druck von Parteigründerin Sahra Wagenknecht scheitern sollten, mindestens ein BSW-Abgeordneter zur SPD übertritt. Das würde dann ein rot-schwarzes Bündnis mit der CDU ermöglichen.
Im Plenarsaal des Parlaments blieben am Donnerstag jene tumultartigen Szenen aus, die vor drei Wochen den Thüringer Landtag in Erfurt prägten, der erst durch Anrufung des Verfassungsgerichts arbeitsfähig wurde. Dort stellt die AfD anders als in Brandenburg den Alterspräsidenten und beanspruchte zudem erfolglos als stärkste Fraktion den Posten des Parlamentspräsidenten.
In Potsdam hingegen erhielt die alte und neue Parlamentspräsidentin Ulrike Liedke von der SPD in geheimer Wahl auch mindestens 12 Stimmen von der AfD. Im zweiten Wahlgang wurde ein AfD-Abgeordneter als einer ihrer drei Stellvertreter gewählt. Einen Vizepräsidenten stellte die AfD allerdings auch schon in der vergangenen Wahlperiode.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Zwei Todesopfer nach Anschlag in München
Schwer verletzte Mutter und Kind gestorben