Neuer Kinofilm von Wim Wenders: Grotesk verzerrte Größe

Der Regisseur kehrt zum Spielfilm zurück. Das Melodrama „Every Thing Will Be Fine“ handelt von dem Schuldgefühl als treibende Lebenskraft.

Drängt alle anderen aus dem Bild: Schauspieler James Franco. Bild: Donata Wenders/Neue Road Movies/dpa

Der Titel scheint alles zu verraten: Wim Wenders' neuer Film „Every Thing Will Be Fine“ handelt von einem Heilungsprozess. Ein Egomane verursacht einen tragischen Unfall, bei dem ein Kind ums Leben kommt; die Verwerfungen, die das in seinem Leben auslöst, aber führen letzten Endes zu Familienglück und mehr Kreativität. Wer jetzt an Woody Allens zynische Komödie „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ denkt, liegt völlig falsch. Wim Wenders, wie könnte es auch anders sein, meint es ernst mit seinem väterlichen „Alles wird gut“. Und wie häufig bei Wenders ist der Ernst das charmanteste und authentischste Element des Films.

James Franco, auf der Berlinale wegen seiner Allgegenwart als Leinwandwitz geoutet, spielt hier Tomas, einen Schriftsteller mit der Berufsbezeichnung „erfolgreich“. Letzteres ist essentiell dafür, Tomas zum Auftakt an pittoresk abgelegenen Orten Kanadas zu zeigen, wo er an seiner nicht minder obligatorischen Schreibblockade laboriert.

Die Kamera liebt es, den Schriftsteller zu beobachten, wenn er ein herrliches Set durchläuft, wie hier einen winterlich gefrorenen See, auf dem Hunderte von Fischern mit ihren Hütten kampieren. „Every Thing Will Be Fine“ ist in 3-D gefilmt, und Wim Wenders' sorgsamer Umgang mit dem Format bei „Pina“ steigert durchaus die Neugier darauf, wie er im Spielfilm damit verfährt.

Ein fast magischer Moment

„Every Thing Will Be Fine“. Regie: Wim Wenders. Mit James Franco, Charlotte Gainsbourg u. a., Filmstart in Deutschland: 02. April 2015, 118 Min.

Zum Beispiel bei der Unfallszene: Der verlassenen Straße, auf der Tomas in winterlicher Abenddämmerung dahinfährt, verleiht die Dreidimensionalität eine überraschend berührende Subjektivität. Man weiß als Zuschauer, was passieren wird, aber ist zusammen mit Tomas ganz in der Wahrnehmung des Moments gefangen. Da gleitet ein Schlitten wie aus dem Nichts auf die Straße und Tomas bremst verzweifelt. Als er aussteigt, entdeckt er einen Jungen vor dem Auto, der entgegen aller Vorahnungen unversehrt ist. Es ist ein fast magischer Moment, weil man sich ja auch als Zuschauer wie im falschen Film fühlt. Sollte hier doch alles ganz anders kommen?

Tomas begleitet den im Schock verstummten Jungen zum nahen Zuhause, einem verwunschen wirkenden Häuschen auf der Anhöhe. Über allem liegt der Glanz des Verschont-geblieben-Seins. Doch dann öffnet die von Charlotte Gainsbourg gespielte Mutter die Tür, mustert die beiden vor ihr Stehenden mit hektisch werdendem Blick und fragt: „Und wo ist Nicholas?“

Doch so herrlich vieldeutig und suggestiv diese Szene ist, so inkonsequent und enttäuschend wirkt das, was danach kommt. Was einmal nicht an der Vorhersehbarkeit liegt, denn in der Tat schlägt die sich über elf Jahre erstreckende Handlung wieder und wieder den herkömmlichen Erwartungen Schnippchen.

Der Mann im Zentrum

Nein, Schuld- und Trauergefühle werden hier nicht erotisch aufgeladen, um Menschen noch näher zusammenzubringen als durch den Unfall bereits geschehen. Und das selbstzerstörerische Verhalten, in das Schriftsteller Tomas zwischendurch verfällt, wird auch nicht gefeiert als heroisches Leiden an sich selbst. Wenders möchte in der Tat gegen die Konventionen des Melodramas, aber doch mit dessen Stilmitteln davon erzählen, wie ein Schuldgefühl das kreative Schaffen anstacheln und zu besseren Lebensentscheidungen führen kann.

Wobei es ihm ausschließlich um den Mann im Zentrum geht: Wichtig ist nicht, ob die anderen Tomas verzeihen – dass er am Unfall im Justizsinne unschuldig ist, wird im Film früh etabliert –, sondern dass er sich selbst verzeiht.

Diese Einschränkung des Blicks auf den notwendig egoistischen Künstler hat leider zur Folge, dass besonders die Frauenfiguren zu bloßen Stichwortgeberinnen verkommen. Weder Rachel MacAdams als kapriziöse Freundin, die Tomas anfangs anstrengt, noch Marie-Josée Croze als spätere Lebensgefährtin, die auch beruflich besser passt, bekommen nennenswerten Platz zur Entfaltung.

Charlotte Gainsbourg, als Figur der trauernden Mutter eigentlich in der Rolle der großen Gegenspielerin, darf nur affektiert ausgesprochene Plattitüden beitragen. Das 3-D-Format mit seinen inhärenten Größenverzerrungen entfaltet so eine geradezu groteske Wirkung: James Franco, dessen Schauspielfähigkeiten so unwägbar sind, dass es zwischendurch so aussieht, als würde er Wenders parodieren, drängt breit und feist alle anderen aus dem Bild.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.