Neuer Juso-Vorsitzender Türmer: Mehr als eine Machtmaschine?
„Nikolaus ist Ampel aus“ – der Spruch war beim Juso-Kongress in Braunschweig zu hören. Zur Rebellion war der SPD-Nachwuchs allerdings selten bereit.
Motor oder Stachel? Die Jungsozialist:innen in der SPD streiten sich ja gern darüber, ob sie ihre Rolle eher als Antreiberin oder als Quälgeist ihrer Mutterpartei definieren. Seitdem die SPD das Kanzleramt vor zwei Jahren eroberte, sind sie, das muss man leider sagen, keines von beidem. Von den 49 Abgeordneten, die mit Juso-Etikett in den Bundestag einzogen, hört man kaum etwas. Genauso brav wie die Mutterpartei nicken sie Asylrechtsverschärfungen und lauwarme Kompromisse bei der Kindergrundsicherung ab und ballen die Fäuste lediglich in den Taschen ihrer Anzughosen.
Das könnte sich nun ändern. Beim Juso-Bundeskongress in Braunschweig lag Rebellion in der Luft, recht klare Anti-Ampel-Stimmung. Die Koalition betreibe eine in Teilen rassistische Asylpolitik, eine fehlgeleitete Finanzpolitik, die SPD setze wenig eigene Akzente, lasse sich von einer Kleinstpartei treiben, mache sich klein und ducke sich weg, so die Liste der Vorwürfe. „Nikolaus ist Ampel aus“, so eine Delegierte zwischen den Reden.
Den Frust über die eigene Lethargie und die passive Rolle ihrer Mutterpartei bekamen die angereisten Politiker:innen ab: SPD-Vorsitzende Saskia Esken, die 2019 mit massiver Unterstützung der Jusos erstmals als linke Parteivorsitzende gewählt wurde, Ex-Juso-Chef und Generalsekretär Kevin Kühnert, der die Jusos mit einer No-Groko-Kampagne als ernst zu nehmende politische Player etabliert hatte, am wenigsten noch Hubertus Heil, der als Arbeits- und Sozialminister die Prokura und die größte Schatulle hat, die Kernthemen der SPD zu bearbeiten.
Esken erntete für ihre Rede peinlich wenig Applaus, und als sie die Aussage des Kanzlers verteidigte, man müsse jetzt in großem Stile abschieben, eisiges Schweigen. „Regeln müssen schon sein, sonst verlieren die Menschen das Vertrauen in die Demokratie“, bemühte sich Esken und war sich wohl selbst bewusst, wie lahm das klang. Denn als Regierungspartei bestimmt die SPD die Regeln ja selbst mit bzw. war angetreten, sie zu ändern. Die Jusos von heute sind zu gut erzogen und diszipliniert, um die eigene Parteichefin auszubuhen, aber einige Delegierte in den vorderen Reihen hielten Esken die Spiegel-Titelseite mit modifiziertem Scholz-Zitat entgegen und skandierten: „Say it loud, say it clear, refugees are welcome here“. Und Kevin Kühnert musste sich anhören, die SPD mache heute die Politik von Seehofer und ihm selbst fehle die Energie von früher.
„Richtig Druck machen“
Kühnert war als Juso-Chef der linke Hoffnungsträger, als Generalsekretär ist er vor allem Verwalter der Partei. Das kann man schade und eine Verschwendung von Talent finden, aber das ist nun mal die Jobbeschreibung eines Generalsekretärs. Und dass die Parteilinke Esken die ihr zugedachte Rolle als Jeanne d’Arc der SPD nicht lange durchhalten würde, war schon klar, als sie gleich nach ihrer Wahl Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten vorschlug. Seitdem hat sie Scholz stets platt verteidigt, statt ihn von links zu piksen. Ob die Jusos Esken, die sich im Dezember wieder wählen lassen will, noch einmal so tatkräftig unterstützen wie 2019, ist fraglich.
Der frisch gewählte Juso-Chef Philipp Türmer will es anders angehen. Er will seiner Partei „richtig Druck machen“ und ist mit dem Versprechen gewählt worden, die Jusos wieder „lauter, linker und kritischer“ aufzustellen. Sie gewissermaßen zum brummenden Ampel-Motor zu machen. Ist das glaubwürdig? Die Jusos waren ja nie ausschließlich Bienen oder Motoren, sondern immer auch Machtmaschine und Karriereinkubator. Wer es bis zur Juso-Chef:in bringt, ist auch für eine weitere Karriere im Parteiapparat prädestiniert. Nicht alle Ex-Juso-Chefinnen sind Spitzenpolitiker:innen geworden, aber fast alle, die etwas geworden sind, waren mal bei den Jusos – ob Olaf Scholz oder Hubertus Heil, Andrea Nahles oder Gerhard Schröder.
Dass sich das Rebellische dann irgendwann abschleift, dass der Protest dem Pragmatismus weicht, liegt in der Natur der Sache. Erst recht in einer Partei wie der SPD, die sich so sehr dem Kompromiss und einer Konsenspolitik der kleinen Schritte verschrieben hat.
Der neue Juso-Vorsitzende Türmer war nun immerhin klug genug anzukündigen, nicht für den Bundestag zu kandidieren. So tappte er nicht in die gleiche Falle wie seine Vorgängerin Jessica Rosenthal, als sie Abgeordnete wurde. Türmer kann den Forderungen der Jusos nach Umverteilung, nach einer Abschaffung der Schuldenbremse und für eine menschliche Asylpolitik ohne Fraktionszwang besser Nachdruck verleihen.
Eine Antreiber:in könnte die SPD gut gebrauchen, ihr brechen die Wähler:innen weg, Schwung und Selbstvertrauen fehlen. Selbst Kühnert gab zu, die SPD brauche wieder mehr Hummeln im Hintern. Bei den Hummeln verfügen allerdings nur die Weibchen über einen Wehrstachel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW