Neuer Gotthard-Eisenbahntunnel: Lkw oder Zug?
Der Schienenausbau führt nicht zu weniger Schwerlastverkehr, sagen die Grünen in der Schweiz. Entscheidend seien andere Faktoren.
1991 organisierten sie die erste Volksinitiative ihre Parteigeschichte: gegen die von der Schweizer Regierung damals als „ökologisches Jahrhundertprojekt“ gepriesene „Neue Eisenbahn-Alpentransversale (NEAT)“. Deren wichtigster Bestandteil ist der Gotthard-Basistunnel, hinzu kommen weitere Tunnel und Schienenausbauprojekte, die alle zu einer Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene beitragen sollten.
Die Grünen befürchteten jedoch mehr Verkehr und eine Zersiedelung. Die Volksinitiative scheiterte 1992 zwar. Doch 1994 setzten die Grünen zusammen mit Umweltorganisationen aus den besonders vom Lastwagenverkehr betroffenen Regionen entlang der Gotthard-Autobahn die „Alpenschutzinitiative“ durch. Sie schrieb als verbindliches Ziel in die Verfassung, die Zahl der Lastwagen bis 2004 auf maximal 650.000 pro Jahr zu begrenzen.
Unter dem Eindruck dieses Erfolgs wandelte sich die Position der Grünen zur NEAT von der strikten Ablehnung zur kritischen Zustimmung. Doch trotz mehrerer Gesetze zur Umsetzung der Alpenschutzinitiative wurde ihr Ziel bis 2004 nicht erreicht und inzwischen auf 2018 verschoben.
Die Macht der Lkw-Lobby
Auch das wird ohne entschiedene Maßnahmen – zum Beispiel eine deutlich höhere Abgabe für Lastwagen als bisher – nicht gelingen. Im letzten Jahr überquerten 1,25 Millionen Lastwagen die Schweizer Alpen – fast das Doppelte der in der Alpenschutzinitiative festgelegten Obergrenze.
Grüne und Umweltschützer sehen zudem mit großer Besorgnis, dass die sehr einflussreiche Auto- und Lkw-Lobby im Schweizer Parlament derzeit versucht, den Bau und die dauerhafte Nutzung eines zweiten Gotthard-Straßentunnels durchzusetzen.
Eine Studie des Berner Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE) weist nach, dass der Bau von Eisenbahnkapazitäten allein, also ohne gleichzeitige Einschränkung der Straßenkapazitäten oder eine deutliche Erhöhung ihrer Nutzungskosten, keinen relevanten Verlagerungseffekt von der Straße auf die Schiene bewirken wird. Es werde in erster Linie Neuverkehr auf der Schiene erzeugt. Zudem drohe eine Verstärkung des Pendlerverkehrs und der Zersiedelung.
„Der Bahnverkehr bringt der Umwelt nur etwas, wenn er mit dem Abbau des Straßenverkehrs und mit strenger Raumplanung verbunden ist“, unterstreicht Jo Lang, einer der führenden Köpfe der Schweizer Grünen. Beide Bedingungen sieht er derzeit nicht erfüllt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance