Neuer Film von Anna Muylaert: Camping in São Paulo
Anna Muylaert ist für packende Sozialdramen bekannt. „A melhor mãe do mundo“ handelt von einer Müllsammlerin, die ihre Kinder beschützen muss.
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Zäh fließt der Verkehr der Megametropole São Paulo durch ein verschlungenes Labyrinth von Schnellstraßen. Von oben zoomt die Kamera auf ein im Strom der Autos irritierendes Element. Seitlich der mehrspurigen Fahrbahn zieht eine Frau kräftig einen hoch aufgetürmten Handkarren hinter sich her.
„A melhor mãe do mundo“ (Die beste Mutter der Welt), der jüngste Spielfilm der brasilianischen Regisseurin Anna Muylaert, erzählt von Gal, die als Müllsammlerin in São Paulo mit informeller Arbeit ihr Leben bestreitet. Täglich liefert sie den vollbeladenen Karren zu einer Sammel- und Sortierstelle unter der Autobahn, wo sie für das Gewicht ihrer Lieferung jedes Mal bezahlt wird. Danach duscht sie und holt ihre beiden Kinder von der Schule ab.
Die afrobrasilianische Mutter scheint in ihrem Leben einiges auszuhalten. Doch nun sitzt sie mit geschwollener Schläfe sichtlich benommen auf dem Polizeirevier. Gal will Anzeige gegen ihren gewalttätigen Lebenspartner Leandro erstatten, aber erhält dort von der weißen Beamtin keine wirkliche Unterstützung.
In ihrer Verzweiflung beschließt die Mutter, mit den Kindern die gemeinsame Wohnung zu verlassen, um den Gewaltexplosionen des alkoholkranken Partners zu entkommen. Die dramatische Flucht verkauft sie dem kleinen Bé und seiner etwas älteren Schwester Rihanna als großes Abenteuer.
Der Film läuft in der Sektion Berlinale Special.
17. 2., 19 Uhr, Cubix 9
22. 2., 12 Uhr, AdK
23. 2., 17.45 Uhr, HdBF
Vielschichtiges Gesellschaftsporträt
In ihrer ersten Nacht auf der Straße parkt Gal den Handkarren unauffällig unter den Bäumen einer Verkehrsinsel. Für die Kinder verwandelt sie den Schlafplatz mit einer Plane in ein gemütliches Zelt. Ein Feuerwerk aus dem Stadium ihres Lieblingsfußballvereins Corinthians erleuchtet ihnen den Himmel.
Anna Muylaert war zuletzt 2016 mit dem Spielfilm „Mãe só há uma“ (Don´t call me Son) Gast der Berlinale. Ein Jahr zuvor erhielt sie für das Sozialdrama „Que horas Elan volta?“ (The Second Mother) den Publikumspreis im Panorama. In einer männlich dominierten Gesellschaft rückt die Regisseurin und Drehbuchautorin weibliche Perspektiven in den Mittelpunkt und inszeniert häusliche, familiäre Situationen vielfach als Ausgangspunkt für ein vielschichtiges und kontrastreiches Porträt der brasilianischen Gesellschaft.
Der Schutzpatron der Armen
Mit ihrem Ausbruch aus der missbräuchlichen Beziehung droht der Protagonistin in „A melhor mãe do mundo“ ökonomisch der unmittelbare Absturz in die Obdachlosigkeit. In dieser riskanten Situation macht sich die Mutter auf den Weg zum Haus ihrer Cousine, zu Fuß quer durch die Megacity bis nach Itaquera. Eindrucksvoll lenkt Gal den sperrigen Karren mit Rihanna und Bé obenauf bis in den Westen São Paulos.
Doch der ersehnte Aufenthalt bei der Familie wird für sie nur zu einer trügerischen Verschnaufpause. Zu selbstverständlich werden auch dort häusliche Gewalt und soziale Abhängigkeit als eine alltägliche Realität akzeptiert. In dieser für Gal scheinbar aussichtslosen Situation erscheint ihnen in Gestalt eines Müllkutschers São Jorge, der Schutzpatron der Armen mit weißem Pferd, und setzt ihr Abenteuer fort.
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