Neuer Erlass in Schleswig-Holstein: Keine Abschiebung mehr aus Kliniken
Wenn Geflüchtete wegen einer akuten Krankheit behandelt werden, sollen sie in Schleswig-Holstein künftig nicht mehr abgeschoben werden.
Kräfte der Bundespolizei hatten Mariem F. nachts aus dem evangelischen Krankenhaus Rickling abgeholt. Die Frau wurde nach Schweden gebracht, wo die Tunesierin zuerst einen Asylantrag gestellt hatte. In ihrem Herkunftsland drohen ihr als lesbischer Frau Gefängnis oder Zwangsbehandlung. Doch Schweden lehnte ihren Antrag ab, F. war daraufhin nach Deutschland weitergereist.
Hier ordnete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) an, sie nach Schweden zurückzuschicken – so wollen es die Regeln des Dublin-Verfahrens, nach dem nur das EU-Land zuständig sein soll, in dem Geflüchtete erstmals aktenkundig werden.
Die Frau war in Rickling wegen des Verdachts auf Suizidgefahr in Behandlung. Gegen die Abschiebung aus dem Krankenhausbett hatten Geflüchtetenorganisationen scharf protestiert.
Das von der Grünen Aminata Touré geführte Integrationsministerium des Landes war nicht im Vorfeld über den Fall informiert, teilte eine Sprecherin auf taz-Anfrage mit. „Nachdem wir von der Rückführung von Mariem F. erfahren haben, haben wir rechtlich nichts zu beanstanden gehabt“, so die Sprecherin weiter. „Allerdings unterliegt Verwaltungshandeln, insbesondere Zwangsmaßnahmen, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Deshalb haben wir diesen Fall zum Anlass genommen, um unseren aktuellen Rückführungserlass zu überprüfen.“
Abschieben erst nach der Behandlung
Bereits am Donnerstag legte das Ministerium seinen überarbeiteten Erlass vor. Demnach soll ein Krankenhausaufenthalt einer ausreisepflichtigen Ausländer*in „im Regelfall ein Abschiebungs- oder Überstellungshindernis darstellen“.
Landespastor und Diakonievorstand Heiko Naß lobte die rasche Umsetzung: „Es ist richtig, kranke Menschen, die sich in einer stationären Behandlung befinden, nicht mehr abzuschieben.“ Nicht nur für die Betroffenen sei die Lage schwierig: „Die Abschiebung der Frau aus dem Psychiatrischen Krankenhaus in Rickling hat dort für große Unruhe gesorgt und sich destabilisierend auf einige Mitpatienten ausgewirkt.“ Die Neuregelung gebe auch der Belegschaft der Krankenhäuser mehr Sicherheit.
Laut dem überarbeiteten Erlass soll künftig abgewartet werden, dass die Klinik die stationäre Behandlung für beendet erklärt und die ausreisepflichte Person entlässt. Dann müsse die Reisefähigkeit ärztlich festgestellt werden“, heißt es in einer Mitteilung des Ministeriums. Auch im Fall von Mariem F. war ein Arzt beteiligt, der ihre Reisefähigkeit feststellte und sie auch im Flieger begleitete. In Schweden wurde sie in eine Abschiebehaft gebracht.
Tunesien ist in Deutschland als so genannter sicherer Herkunftsstaat anerkannt. Auf EU-Ebene gibt es eine strategische Partnerschaft mit dem Land, das Ziel ist, Geflüchtete anderer afrikanischer Staaten von der Überfahrt nach Europa zurückzuhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles
Israels Brüche der Waffenruhe
Die USA sind kein neutraler Partner