Neuer Chef für NDR-Elbphilharmoniker: Ein New Yorker soll es richten
Die einstige Lichtgestalt Thomas Hengelbrock ist abserviert, Alan Gilbert vom New York Philharmonic Orchestra kommt – und wird neuer Chef der NDR-Elbphilharmoniker
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HAMBURG taz | „Jetzt haben wir einen kompletten Dirigenten, der alles kann. Der ein breites Repertoire von Alt bis Neu bedient und sich explizit auch Neuer Musik widmet.“ Es klingt schön, was NDR-Orchesterchef Achim Dobschall über Alan Gilbert, den designierten Chefdirigenten des NDR-Elbphilharmonie-Orchesters, sagt: Und doch ist das Lob vergiftet, denn es bedeutet auch, dass Noch-Dirigent Thomas Hengelbrock nicht alles kann.
Dabei hatte man Hengelbrock – obwohl vor allem Alte-Musik- und Kammerorchester-erfahren – beim Amtsantritt 2011 ähnlich euphorisch gepriesen. Er sollte das NDR-Orchester auf die Elbphilharmonie-Eröffnung vorbereiten. Auf internationalen Standard sollte er die Musiker bringen, sich mit der durchreisenden internationalen Konkurrenz messen. Doch es gelang nicht, die Kritik an Orchester und Dirigent wurden nach der Elbphilharmonie-Eröffnung am 11. Januar lauter.
Anfang dieser Woche war es dann so weit: Hengelbrocks Vertrag werde nicht über 2019 hinaus verlängert, ließ der NDR am Montag verlauten, Hengelbrock habe das so gewollt. Letztere mag man schwer glauben, zumal der bis dato verkündet hatte, die Arbeit laufe gut.
Auch das Timing des NDR spricht dagegen. Denn schon vier Tage später, am Freitag, präsentierte man den Neuen: Alan Gilbert, von 2010 bis Juni 2017 Chefdirigent des New York Philharmonic Orchestra und seit 2004 Erster Gastdirigent der NDR-Sinfoniker, wird Hengelbrock beerben – der jetzt noch zwei Jahre im Schatten des Nachfolgers arbeiten muss. Gilbert sei, sagt NDR-Programmdirektor Joachim Knuth, ein „genialer Musiker und akribischer Chefdirigent“, der sich „bei allergrößter Konkurrenz mit seinen künstlerischen und programmatischen Impulsen und Ideen durchsetzen kann“.
Das stimmt nicht ganz: Wohl haben Medien wie das Magazin The New Yorker Gilberts Dirigat frenetisch gelobt und geschrieben, das Orchester spiele unter seiner Ägide „besser als je zuvor“. Trotzdem sind die acht Jahre beim New York Philharmonic Orchestra so ungemütlich gewesen, dass Gilbert 2017 auf eigenen Wunsch geht, des Kämpfens müde.
Denn gerade sein Faible auch für Musik des 20. und 21. Jahrhunderts, das die NDR-Granden und der Elbphilharmonie-Intendant jetzt preisen, war in New York immer weniger honoriert worden. „Jetzt, wo Herr Gilbert geht, wird in Interviews deutlich, dass die Dinge nicht so liefen wie geplant“, schreibt die New York Times. „Konflikte, von denen man hoffte, dass er sie lösen würde, bleiben – der zwischen Neu und Alt, zwischen Konvention und Innovation.“ Zuletzt zweifelte Gilbert, ob seine Neue-Musik-Happenings überhaupt gewollt seien. Sie waren immer stärker zurückgefahren worden – dem Chefdirigenten zufolge „aus finanziellem Druck und, ich würde sagen, philosophischen Differenzen“.
Ob Gilbert die auch in Hamburg bekommt, wird sich zeigen. Scheu vor Neuer Musik haben die Hamburger durchaus: Schon bei den harmlosen „Gurre-Liedern“, einem Frühwerk von Schönberg, das wie Mahler klingt, blieb kürzlich so mancher Platz leer. Und das in der Elbphilharmonie.
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