Neue rot-grüne Koalition in Hamburg: Senatsbank – und auch Anklagebank?
Die Grünen präsentieren zwei neue Gesichter im Hamburger Senat. Pikant: Gegen die neue Justizsenatorin Anna Gallina ermittelt die Staatsanwaltschaft.
Anjes Tjarks, der sich immer mehr zum Gesicht der Hamburger Grünen neben Katharina Fegebank entwickelt, soll die Mobilitätswende, das wohl wichtigste politische Projekt der Partei, vorantreiben. Da die SPD sich weigerte, Tjarks auch die Zuständigkeit für die Wirtschaft zu überlassen, wurden Wirtschafts- und Verkehrsbehörde voneinander getrennt. Damit bleiben auch der Hafen und der Airport Fuhlsbüttel außerhalb des grünen Direktzugriffs.
Umstrittener und überraschender als die Benennung von Tjarks ist die Inthronisierung von Anna Gallina als Justizsenatorin. Die 36-Jährige, die sich bislang vor allem als Sozialpolitikerin profilierte, galt aufgrund der Frauenquote der Grünen zwar als gesetzt für das neue Senatsteam, wurde aber eher als mögliche Gesundheits- oder Stadtentwicklungssenatorin gehandelt.
Im Gegensatz zu ihren VorgängerInnen ist sie keine ausgebildete Juristin, was bislang stets als unverzichtbare Voraussetzung galt, um für diesen Posten infrage zu kommen. Nicht nur innerhalb der SPD, sondern auch innerhalb Gallinas eigener Partei gibt es hinter vorgehaltener Hand massive Zweifel an ihrer Eignung für das Amt.
Strafverfahren nach Islamismus-Vorwürfen
Denn Anna Gallina verfügt über ein weiteres Alleinstellungsmerkmal: Sie ist die erste Hamburger Justizsenatorin, die gleichzeitig Beschuldigte in einem Strafverfahren ist. Pikant: Die ihr in Zukunft direkt unterstellte Staatsanwaltschaft ermittelt seit über einem halben Jahr wegen verschiedener Straftatbestände gegen die Politologin.
Nachdem Gallina 2019 als Landesvorsitzende der Grünen Islamismus-Vorwürfe gegen zwei grüne Bezirksabgeordnete geäußert hatte, die die Grünen zwar teilweise intern, nie aber öffentlich zurückgenommen haben, stellten die beiden betroffenen Politiker im vergangenen November Strafanzeige gegen Gallina.
Die Vorwürfe gegen Gallina lauten üble Nachrede und Verleumdung. Während offensichtlich unbegründete Strafermittlungen in der Regel nach wenigen Wochen eingestellt werden, bestätigte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nana Frombach, der taz noch am gestrigen Dienstag, dass die Ermittlungen gegen Gallina nach wie vor laufen. Frombach mochte nicht ausschließen, dass am Ende der langwierigen Ermittlungen eine Anklageerhebung gegen die dann amtierende Justizsenatorin steht.
Neben dem juristischen Nachspiel werfen ihr auch viele Grüne hinter vorgehaltener Hand „ein miserables Krisenmanagment“ in der Islamismus-Posse vor, die dazu führte, dass die Grünen-Fraktion im Bezirk Mitte zerbrach, sechs Abgeordnete von den Grünen zur SPD wechselten und sich die grünen Wahlsieger am Ende in der Opposition wiederfanden.
Die Ex-Grüne Mereyem Celikkol, eine der „ÜberläuferInnen“ und heute SPD-Bezirksabgeordnete, wird deutlich: „Es ist unverantwortlich, eine Person, die im internen Krisenmanagement so versagt hat, an die Spitze der Justizbehörde zu setzen.“
Bei den Grünen aber wurde die Personalie Gallina intern zwar heiß diskutiert, öffentlich aber unter den Teppich gekehrt. Beim Nominierungsparteitag der Grünen, bei dem Gallina mit mäßigem Ergebnis auf Platz drei der Landesliste gewählt wurde, traute sich kein einziges Parteimitglied, der Kandidatin Fragen zur grünen Islamismus-Affäre zu stellen.
Während mit der Wissenschaftssenatorin und Zweiten Bürgermeisterin Katharina Fegebank sowie Gallina nun zwei der vier grünen SenatorInnen Frauen sind, verzichtete die SPD darauf, die Quotierung auch nur annähernd einzuhalten. Unter den – inklusive Bürgermeister Peter Tschentscher – acht SPD-Senatsmitgliedern befinden sich mit Melanie Leonhard (Soziales) und Dorothee Stapelfeld (Stadtentwicklung) nur zwei Frauen.
Weil Tschentscher keine Personalwechsel in der SPD-Riege wollte, kamen die hoch gehandelte Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit und Kulturstaatsrätin Jana Schiedek zum Ärger der SPD-Frauenorganisationen nicht zum Zuge.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch