Neue Zahlen zu Obdachlosigkeit: Trotz Job kein Mietvertrag
Wohnungslosigkeit trifft mehr Familien und auch Leute in Arbeit. Notunterkünfte müssen wegen des Coronavirus ihre Bettenzahl verkleinern.
Die Ankommenden waschen sich die Hände, kriegen dann Desinfektionsmittel draufgesprüht. 62 Betten hat die Einrichtung, 11 weniger als vor der Pandemie. Aus den Vierbettzimmern wurden Dreibettzimmer, 20 Stühle weniger stehen im Aufenthaltsraum. Alles nur, um Abstand zu schaffen.
„Aufgrund der Coronaprävention und des Abstandsgebotes muss man damit rechnen, dass es weniger Kapazitäten in den Notunterkünften gibt“, sagt Werena Rosenke, Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W). Die BAG W legte am Donnerstag ihren Jahresbericht vor.
In dem Bericht zeigte sich, dass auch zunehmend Familien von Wohnungslosigkeit bedroht sind und ohne eigenen Mietvertrag in beengten Mitwohnverhältnissen oder Unterkünften der Kommunen oder freier Träger leben müssen.
Mehr Kinder, mehr Frauen
Der Bericht bezieht sich auf die Statistik von 2018 und hat sowohl die Daten Wohnungsloser als auch von Wohnungslosigkeit bedrohter Personen erfasst, die in Beratungsstellen und Unterkünften vorstellig werden.
Danach hat sich der Anteil von Alleinerziehenden und Paaren mit Kindern an den KlientInnen erhöht und lag im Jahre 2018 bei 8,7 Prozent. Auch der Anteil der Frauen an den Hilfesuchenden ist stetig gestiegen und beträgt jetzt 27 Prozent. Die Zahl der Hilfesuchenden ohne deutsche Staatsbürgerschaft hat auf 30 Prozent zugenommen.
Fast die Hälfte der akut Wohnungslosen lebten erst mal bei Bekannten und Familienangehörigen in prekären Wohnverhältnissen, bevor das nicht mehr geht und sie sich an Hilfseinrichtungen wenden. Es sei zu beobachten, dass immer mehr KlientInnen ihren Lebensunterhalt mit einer Erwerbstätigkeit bestreiten und dennoch in einen Wohnungsnotfall geraten, heißt es in dem Bericht. Dies betreffe etwa 10 Prozent der akut Wohnungslosen.
Überschuldung ist ein Problem
61 Prozent der KlientInnen sind überschuldet, während das in der Bevölkerung nur 10 Prozent sind, so der Bericht. Die Überschuldung kann ein Riesenproblem sein bei der Wohnungssuche, falls ein Schufa-Eintrag besteht, so hört man oft in Beratungsstellen. Oft bedeutet dies das Aus, weil viele Vermieter nicht an Leute mit Schufa-Eintrag vermieten.
Die BAG W geht von 650.000 Wohnungslosen in Deutschland aus, wovon aber nur 40.000 Menschen tatsächlich „auf der Straße“ leben, also obdachlos sind. Unter den Wohnungslosen, die in Unterkünften leben, sind 440.000 anerkannte Geflüchtete, die keine reguläre Wohnung finden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles