Neue Wohnungen am Mauerpark: Ein Idyll ist bedroht
Die Bauarbeiten am Mauerpark haben begonnen. Einigen Anwohnern gefällt das wenig, trotzdem ist es das vorläufige Ende eines langen Streits.
Auf der Internetseite des Investors Klaus Groth ist der neue Mauerpark schon fertig: Mitten im Grün stehen dort moderne Mehrfamilienhäuser. Ihre hellen Fassaden reichen mehrere Stockwerke in den Abendhimmel. Drinnen brennt warmes Licht, als schiene die untergehende Sonne von hinten durch die schicken Wohnungen hindurch. Nach Groths Plänen soll die Siedlung bis 2019 Wirklichkeit werden. Dann sollen direkt neben der Grünfläche über 700 Wohnungen bezugsfrei sein. Einen Teil davon will das Unternehmen an Privatpersonen verkaufen. Die restlichen 70 Prozent sollen vermietet werden.
Noch ist davon nicht viel zu sehen. Statt des idyllischen Sonnenuntergangs liegt Baulärm über dem Park. Auf dem dreieinhalb Hektar großen Areal nordwestlich des Gleimtunnels bearbeiten Bagger und Lastwagen die nasse Erde. Im Herbst hat Groth dort mit den Bauarbeiten begonnen. Zum Leidwesen vieler Anwohner: Sie sind mit den Plänen nicht einverstanden. Ihnen ist die geplante Bebauung zu massiv.
Auch Valeska Sticher von der Jugendfarm Moritzhof, die direkt neben der Baustelle liegt, glaubt nicht recht an Groths Internetutopie: „Ich mache mir Sorgen, dass wir durch die Bebauung in unserer Arbeit beeinträchtigt werden“, sagt die junge Frau, die seit acht Jahren auf der kleinsten Jugendfarm Deutschlands arbeitet. Wenn sie über die Baustelle spricht, liegt etwas Spöttisches in ihrer Stimme. Als könnte sie immer noch nicht glauben, dass vor ihrer Tür nun doch mehrstöckige Häuser entstehen.
Baurecht gegen Parkerweiterung
Groths Siedlung ist das vorläufige Ende eines Streits, der fast so alt ist wie der Mauerpark selbst: Nach der Wiedervereinigung wurde zunächst nur der Grenzstreifen im Osten als öffentliche Grünfläche angelegt. Schon damals bestand aber der Plan, den Park um das Bahngelände auf der Westseite zu erweitern. Für die Realisierung fehlte jedoch das Geld. Die Stadt handelte deshalb mit den Eigentümern des Grundstücks einen Vertrag aus: Sie überließen Berlin fünf Hektar für die Parkerweiterung. Im Gegenzug erhielten sie auf den anderen Flächen Baurecht.
November 1994: Im Rahmen der Gedenkfeier zum fünften Jahrestag des Mauerfalls wird der Mauerpark eröffnet. Die Allianz Stiftung hatte zuvor 4,5 Millionen Mark (etwa 2,3 Mio. Euro) zur Verfügung gestellt. Daran knüpfte sie aber eine Bedingung: Der Park sollte auf mindestens 10 Hektar erweitert werden. Wäre dies bis Ende 2015 nicht geschehen, hätte die Stiftung das Geld zurückfordern können.
Oktober 2012: Berlin schließt mit den Eigentümern des Bahngeländes westlich des Parks einen städtebaulichen Vertrag. Das Immobilienunternehmen CA Immo überlässt der Stadt 7 Hektar für die Erweiterung der Grünfläche. Dafür erhält es im Norden des Areals Baurecht.
Oktober 2015: Das Berliner Abgeordnetenhaus beschließt den Bebauungsplan: Die Groth-Gruppe darf auf dem 3,5 Hektar großen Gelände nordwestlich des Gleimtunnels bauen. Viele Anwohner sind sauer. Ihnen ist die Bebauung zu intensiv. (laug)
Im Jahr 2012 trat die Groth-Gruppe in den Vertrag ein. Die jetzt geplanten 190 Eigentumswohnungen sollen ab 3.800 Euro pro Quadratmeter verkauft werden. Das ist in etwa der Preis, der zurzeit auch in Prenzlauer Berg für Neubauten verlangt wird. Im Gegensatz zu älteren Gebäuden sind sie aber grundsätzlich teurer. Die Mietwohnungen plant Groth an einen Bestandshalter zu verkaufen, der diese dann weitervermietet. 120 davon sollen auf dem freien Markt angeboten werden. Auf Anfrage teilte eine Sprecherin mit, dass man mit einem Preis ab 9 Euro pro Quadratmeter rechne.
Daneben baut Groth auch 120 Wohnungen für die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Gewobag. Sie werden zu einem Sozialpreis ab 6,50 Euro angeboten. In dem neuen Viertel sind außerdem Studentenapartments, Wohnhäuser für Senioren und eine Kita mit 80 Plätzen geplant.
Bürgerbegehren gegen das Projekt
„Das klingt fair, ist es aber nicht“, sagt Hartmuth Bräunlich, Sprecher der Mauerpark-Allianz. Das Bündnis, dem auch der Moritzhof angehört, hat sich lange gegen die jetzige Bebauung gewehrt.
Im vergangenen Jahr versuchte sie, das Groth-Projekt durch ein Bürgerbegehren zu stoppen. Allerdings ohne Erfolg: Um die geplanten Wohnungen nicht zu gefährden, schaltete sich der Senator für Stadtentwicklung, Andreas Geisel, ein. Er zog das Verfahren an sich und hob es damit von der Bezirks- auf die Senatsebene. Der Protest im Bezirk hatte sich damit erledigt.
Auch von mehr als 39.000 Bürgereinwendungen, die die Mauerpark-Allianz gegen die Neubauten einreichte, ließ sich die Politik nicht beeindrucken. Bei ihrer Zählung kam es stattdessen zum nächsten Streit: Der Senat ließ nicht die Anzahl der Unterschriften, sondern nur die vorgebrachten Argumente gelten. Hatten mehrere Personen also ihren Einwand ähnlich begründet, wurden sie als eine einzige Gegenstimme gewertet. Die Zahl der Einwendungen reduzierte sich so um über 90 Prozent auf 1.399 Stück.
Angst vor steigenden Mieten
Nachdem sie an der Bebauung nichts mehr ändern kann, will die Mauerpark-Allianz die Bauarbeiten nun zumindest kritisch begleiten. Die Aktivisten fürchten nicht nur negative Folgen für den Park, sondern auch für die umliegenden Stadtviertel. „Die Neubauten werden sich im Mietspiegel niederschlagen und die Preise weiter nach oben treiben“, erklärt Bräunlich.
Groths neue Siedlung könnte vor allem für die Bewohner des Brunnenviertels westlich des Parks zwischen den S-Bahn-Stationen Nordbahnhof und Gesundbrunnen zum Problem werden, so die Allianz. Dort leben relativ viele Menschen mit niedrigen Einkommen. Statt sanierter Altbauten wie in Prenzlauer Berg stehen hier vor allem funktionale Wohnsiedlungen aus den 1960er und 1970er Jahren. Die Dichte an Spielcasinos und Wettbüros ist enorm. Laut dem aktuellen Wohnungsmarktreport der Berlin Hyp Bank lagen die Mieten für Neuverträge 2015 zwischen 8 und 9 Euro. Das sind 2 Euro mehr als im Vorjahresbericht.
„Ich hatte letztes Jahr schon eine Mieterhöhung von 10 Prozent. Wenn das so weitergeht, werden viele Menschen von hier wegziehen müssen“, so Bräunlich, der seit über 30 Jahren im Brunnenviertel wohnt. Im Bezirk leben auch viele Menschen mit Migrationshintergrund. An der Graunstraße, in unmittelbarer Nähe zur Groth-Baustelle, hat jemand ein Transparent vom Balkon gehängt: „Kiracilar icin lüks evler yerine, yesillik istiyoruz! – Grün statt Luxushäuser!“ steht auf Türkisch darauf.
Lärmende Kinder und stinkender Mist
Doch die Anwohner fürchten sich nicht nur vor steigenden Mieten. Valeska Sticher vom kleinen Moritzhof, die sich jetzt schon von der Baustelle umzingelt fühlt, sorgt sich auch um mögliche Konflikte mit den neuen Nachbarn: „Sollten einige der Wohnungseigentümer glauben, sie hätten die Wiesen des Parks mitgekauft, dann wird es Probleme geben.“ Die Farm ist wegen ihrer geringen Größe darauf angewiesen, die umliegende Parkfläche zu benutzen.
Besonders im Sommer kommen viele Kinder auf den Hof. Neben Gärtnern, Kochen und Werken gehören auch Aktivitäten mit Tieren zum Freizeitangebot. „Gegen Kinderlärm kann man nicht klagen, gegen krähende Hähne, stinkenden Mist und das Hämmern von Schmiedearbeiten schon“, sagt Sticher – und weckt damit Erinnerungen an die vielen Lärmklagen neuer solventer Mieter in Prenzlauer Berg, die das Clubsterben im Kiez mindestens beschleunigten.
Die Groth-Gruppe glaubt dagegen nicht, dass es zwischen seinen Kunden und den bisherigen Anwohnern zu Konflikten kommen wird. Viele der bisherigen Interessenten kämen aus der unmittelbaren Umgebung des Mauerparks, teilte das Unternehmen mit. „Wir gehen deshalb davon aus, dass sie genau wissen, wo sie hinziehen.“
Vier Millionen Berliner bis 2030
Groth baut in Berlin auch an anderen Orten. Im vergangenen Jahr wurde das Quartier „Flottwell-Living“ am Gleisdreieckpark in Kreuzberg fertig. Wie bei der geplanten Siedlung am Mauerpark bietet das Unternehmen dort teure Eigentumswohnungen in urbaner Parklage an. 2014 erwarb es außerdem das Grundstück der Kleingartenkolonie Oeynhausen in Wilmersdorf. Trotz heftiger Proteste der Laubenbesitzer plant Groth, für seine Wohnungen dort die Hälfte der Parzellen abzureißen.
Die Senatsverwaltung rechtfertigt ihre Zustimmung zu den Bauplänen am Mauerpark mit der akuten Wohnungsnot in der Stadt: „Vor dem Hintergrund der wachsenden Bevölkerung müssen wir alle Flächen für den Wohnungsbau aktivieren“, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit. Anfang des Jahres hatte Geisel die neue Bevölkerungsprognose vorgestellt. Demnach soll Berlin bis zum Jahr 2030 auf vier Millionen Einwohner anwachsen, also um etwa eine halbe Million Menschen. Der Senator hat den Wohnungsbau deshalb zur Chefsache erklärt.
Mit seiner kompromisslosen Haltung hat Berlin den Zorn der Aktivisten auf sich gezogen. Sie glauben, dass sie das Bürgerbegehren für sich entschieden hätten. Heute geht es ihnen längst nicht mehr nur um ein paar Wohnblocks. Sie fühlen sich von der Regierung übertölpelt. „Das Vorgehen des Senats hat mit Demokratie nichts mehr zu tun“, empört sich Sticher.
Viel können sie aber wohl nicht mehr ausrichten. Groths Siedlung wird Wirklichkeit. Allerdings werden daneben einige wütende Nachbarn wohnen.
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