Neue Staffel von „Borgen“: In der Schlangengrube

Zehn Jahre nach der ersten Folge ist die dänische Politserie „Borgen“ zurück. Die vierte Staffel ist aktueller denn je – und nicht minder spannend.

Zwei Frauen aus der Politserie "Borgen" schauen auf ein Smartphone.

Birgitte Nyborg (Sidse Babett Knudsen, rechts) ist wieder da – diesmal als dänische Außenministerin Foto: Mike Kollöffel/Netflix

Kein Spoilern von dem, was die acht Folgen der vierten Staffel „Borgen“ an Plot enthalten, nichts verraten von dem, was im Detail aus der Politikerin Birgitte Nyborg wird. Davon abgesehen, dass ihre Karriere, also ihr Machtstreben andauert, darf so viel erzählt werden: „Borgen“ ist eine dänische Fernsehserie, die vor zehn Jahren mit der ersten Staffel hierzulande auf Arte begann und vom Schicksal einer politischen Laufbahn keineswegs fern stehenden Frau aus Kopenhagen berichtete.

„Borgen“, zu Deutsch: „Die Burg“, ist im dänischen Regierungs- und Parlamentsgehege angesiedelt und macht inszenatorisch das Gleiche wie „House of Cards“ in den USA und dessen Vorläufer, das britische „Ein Kartenhaus“. Nur, dass die skandinavische Variante keine nach Macht strebenden Männer zeigt, sondern Frauen. Und was wir als Publikum in den ersten Staffeln lernten, ist, dass Frauen den Job der Spitzenpolitikerin ebenso virtuos ausüben können wie Männer, erbarmungsarm wie ellenbogenbewusst. Mit ebensolchen Tricks und Finessen eben – nur dass Birgitte Nyborg anfänglich auch noch Mutter und Ehefrau ist.

Am Ende werden diese privatesten Umfelder, die gern an Atmosphären der Mütterlichkeit, der Umsorge und des Mitgefühls geknüpft werden, in die Kulissen abgeschoben sein. Die Ehe kaputt, Tochter und Sohn aus dem Mittelpunkt weiblichen Lebens entsorgt, der Gatte scheidungsbereit.

Die Schauspielerin, die diese Rolle verkörpert, ist Sidse Babett Knudsen – und sie macht das famos. Nicht, dass sie anfänglich so ein eisig kalkulierendes Miststück wie Robin Wright als Claire Underwood in „House of Cards“ wäre – Knudsen entwickelt ihre Professionalisierung, dieses sachte Herantasten an das, was eine politische Megabegabung wie ebendie der Birgitte Nyborg zu leisten hat, behutsam.

Jetzt, in der vierten Staffel, auch dies kein Spoiler zur Handlung, sagt sie auf einen leisen Vorwurf, ob sich das für sie persönlich gelohnt hätte, ob es das wert – das meint den Verzicht auf privates, familiäres Glück – war: Ja.

Nicht empathischer als männliche Politiker

Dass sie nun nicht mehr von Schuldgefühlen geplagt sei, wenn sie morgens nicht noch die Mutter der Kompanie gibt inklusive Müslizubereiten und sorgenvoller Fragen zu den schulischen Dingen der Kinder und abends dauernd Verabredungen mit ihrem Mann cancelt, weil das politische Geschäft alles jenseits dessen zu Variablen macht: Nötigenfalls müssen eben private Umstände zurückstehen. Endlich, so sagt sie, könne sie nach Hause kommen, wann sie wolle.

Borgen“: vierte Staffel, 8 Folgen, Netflix

In Knudsens Mimik spiegeln sich noch Reste von Nyborgs alten Verhältnissen und des damit einhergehenden schlechten Gewissens. Doch im Grunde gefällt ihr, dass sie ihren Job als ehrgeizige Politikerin auf unerhörte Art verrichtet, obsiegt schließlich die unsentimentale Einsicht, dass Macht zu haben und auszuüben, sie immer zu sichern in allen Schlangengruben des parlamentarischen und ministeriellen Gewerbes ihr einfach Spaß macht. Sie schöpft geradezu Lust aus den Rund-um-die-Uhr-Gefechten ihrer politischen Existenz: Und das macht ehrlich größere Freude beim Zusehen als etwa bei Claire Underwood in „House of Cards“.

Der dänische Drehbuchschreiber Adam Price – ach hätt’ doch die deutsche Filmwirtschaft so einen auch im Fundus – verzichtet sympathischerweise auf alle drehbuchhafte Cremigkeit, nichts an der gesamten Geschichte der vierten Staffel ist lustig gehalten, gar nichts lädt dazu ein, versöhnlerisch zu denken: ach Frauen haben es auch schwer.

Birgitte Nyborg ist weder empathischer als männliche Politiker noch hat sie weichere Seiten und kommt trotzdem nicht wie ein Monster daher, was die Wirkung dieser souveränen Performances nur abschwächen würde. Aber auch Frauen lieben Macht und haben sie gern inne, nötigenfalls unter Kaltstellung der Konkurrenz, und sei sie weiblich. Sentimentalisierender Kitsch – davon ist „Borgen“ in den neuen Folgen gänzlich befreit. Und worum geht’s in dieser Staffel konkret? Nyborg ist nicht mehr Premierministerin, sondern Außenministerin. Eine Annalena Baerbock quasi. Sie hat sich unter einer Ministerpräsidentin zu behaupten, ihr Job: politische Auseinandersetzungen mit der einstigen dänischen Kolonie Grönland, das, rohstoffreich wie Norwegen und Russland, gern ganz autonom und reich werden würde.

Die Themen in „Borgen“ sind aktueller denn je: Russland, die EU, Dekolonialisierung, Klimawandelpolitik und so weiter – alles sehr heutig. Es sieht aus, als wären die Folgen erst vor ein paar Minuten aus der Postproduktion gekommen.

Das lohnt sich zu sehen, das ist äußerst spannend und wie immer auch ein Lehrstück in Intriganz und Durchsetzungsfähigkeit. Wie eine Schlangengrube und dabei typisch skandinavisch ist und bleibt „Borgen“. Sidse Babett Knudsen ist als Birgitte Nyborg ein politisches Schwergewicht geworden, und das sieht sehr scheusalig aus – und eben auch sympathisch.

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