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Neue SPD-Vorsitzende Andrea NahlesNichts Neues, aber schwungvoll

Beim SPD-Parteitag in Wiesbaden wird Andrea Nahles mit nur 66 Prozent gewählt. Wie sie die SPD aus ihrem Tief führen will, bleibt offen.

Zeigt Andrea Nahles jetzt, wo es lang geht? Foto: reuters

Wiesbaden taz | „Mädchen, Land, Arbeiterkind“, sagt Andrea Nahles. „Es war nicht logisch, dass ich in der SPD Karriere mache“. Sie grüßt ihre Mutter („Hallo Mama“) und erwähnt Tochter Ella. Es menschelt. Die SPD-Fraktionschefin zieht gleich am Anfang ihrer Rede im neuen Wiesbadener Congresszentrum alle Register.

Nahles ist in Form. Sie ballt die Fäuste, reckt beide Zeigefinger in die Höhe und ruft, dass es „die gläserne Decke für Frauen in der SPD“ mit ihrer Wahl zur Parteichefin nicht mehr gibt. Sie rudert mit den Armen. Die neue SPD-Chefin begibt sich in ihrer Rede auf eine politische Rundreise: von der rechtspopulistischen Gefahr bis zur Erwerbsminderungsrente, von Heimat als sozialdemokratischem Wert bis zur Russlandpolitik. Hier redet eine Generalistin, sehr laut, wie Nahles eben ist, aber ohne zu überdrehen.

Nahles gibt erst die verantwortungsvolle, pragmatische Regierungspolitikerin, wettert dann gegen die „neoliberale, turbokapitalistsiche Welt“ und poltert gegen die FDP, was immer gut ankommt. Sie wechselt die Rollen im fliegenden Wechsel, gibt auch die Basissozialdemokratin, die zehn Jahre Kreisvorsitzende war. Damit will sie der Kritik entgegentreten, dass sie die Etablierte sei, dass sie unfähig ist, mit der Erneuerung ernstzumachen.

Sie sagt nichts Neues, das aber sehr schwungvoll. Klar ist, dass die Agenda-Politik mit Nahles als SPD-Chefin bleiben wird. „Wenn wir Hartz IV abwickeln, haben wir noch keine Frage beantwortet“, sagt sie. Recht blass bleibt in der Rede der 47-Jährigen, wie die SPD denn aus ihrer Krise kommen soll. Auch die Wahlanalyse kommt nur schattenhaft vor: Man habe die Wahl verloren, weil die SPD nicht sagen konnte, wie sie mehr Gerechtigkeit erreichen will. Wie Nahles als Parteichefin die SPD profilieren will, bleibt ebenfalls vage.

Lange will mehr Staat wagen

Eine halbe Stunde zuvor trat die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange ans Pult und sagte: „Ich möchte mich bei den Menschen für Hartz IV entschuldigen“. Die Agenda sei „keine Vergangenheitsdebatte“. Der Kern ihrer Rede lautet: Die SPD muss wieder mehr Staat wagen. „Für viele sind Vater und Mutter Staat zu Rabeneltern geworden“, so Lange. Die SPD müsse klar für soziale Gerechtigkeit stehen. „Kein Kind soll in Deutschland in Armut groß werden müssen.“ Für den Satz bekommt Simone Lange viel Applaus.

Nahles agitiert kämpferisch, dringlich, auch aufdringlich. Lange klingt besonnen, fast betulich. Als dampfende, vitale Volkstribunin tritt Nahles, die Etablierte, auf. Lange, die linke Kritikerin, wirkt zurückgenommen, fast etwas schüchtern.

Dass Nahles SPD-Chefin würde, war von Anfang an klar. Nicht nur Juso-Chef Kevin Kühnert, auch SPD-Linke wie Nils Annen und Ralf Stegner hatten vor dem Parteitag zur Wahl von Nahles aufgerufen. Der Parteivorstand, moderate Linke, der rechte Seeheimer Kreis – alle votierten für die Fraktionschefin. Das Ergebnis von 66 Prozent zeigt jedoch, dass die Partei nach dem Zickzackkurs in Sachen Groko reserviert auf ihre neue Chefin schaut. Dass sie nach Schulz' Rücktritt sofort als kommissarische Chefin antreten wollte, kam bei vielen nicht gut an. Nahles wirkt bei der Bekanntgabe des Resultats enttäuscht.

Für Simone Lange ist das Ergebnis von rund 28 Prozent mehr, als erwartet worden war. Denn sie war nicht nur krasse Außenseiterin. Die SPD ist derzeit skeptisch gegenüber relativ Unbekannten, die mit dem Versprechen antreten, alles besser und neu zu machen. Vor einem Jahr hatten die Delegieren Martin Schulz mit 100 Prozent zum Vorsitzenden gewählt. Auf die Begeisterung folgte Depression. Diesmal hat die Partei, ohne viel Leidenschaft, das Bekannte, Vertraute gewählt.

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7 Kommentare

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  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    "Für viele sind Vater und Mutter Staat zu Rabeneltern geworden."Wer solche Sätze sagt, degradiert erwachsene Menschen zu unmündigen Kindern. Soll dieser Parternalismus das neue Gesicht der SPD sein? Ist das die Augenhöhe, auf denen man in Zukunft ja angeblich den Menschen begegnen will? Runterbeugen und Kopf tätscheln? Mir gruselt...

  • Für Frau Nahles sind 66% zu Beginn ihres Parteivorsitzes eigentlich eine gute Ausgangslage. Sie muss sich nicht ständig anhören, dass ihre Zustimmungswerte ständig fallen. Was hätte Sie davon wenn sie mit großer Euphorie und 98% ins Amt gewählt wird und sie sich dann wie Schulz beim eigenen Untergang zuschauen kann. Jede Woche eine Meldung sie sei schon wieder 10% abgerutscht werden ihr erst mal erspart bleiben.

  • Ist schon lustig wenn Nahles neoliberale Politik geißelt. Das allein zeigt die Verlogenheit der SPD und das spüren auch viele Bürger, auch wenn sie es teilweise nicht klar benennen können.

  • „Sie (Nahles) sagt nichts Neues, das aber sehr schwungvoll. Klar ist, dass die Agenda-Politik mit Nahles als SPD-Chefin bleiben wird. „Wenn wir Hartz IV abwickeln, haben wir noch keine Frage beantwortet.“

     

    Erst müsste man sich ja mal die Frage gestellt haben, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass die SPD mit Hartz IV so eklatant gegen die Interessen der Mehrheit ihrer damaligen Wähler handeln konnte und dabei noch alle feuchten neoliberalen Träume ihrer Mitbewerber um Längen überzogen hat. Als ob diese SPD Hartz IV gegen diese Union jetzt noch jemals rückabwickeln könnte, selbst wenn sie es mehrheitlich wollte.

     

    „ Man habe die Wahl verloren, weil die SPD nicht sagen konnte, wie sie mehr Gerechtigkeit erreichen will.“

     

    Martin Schulz hätte das schon gekonnt, wenn man ihn nur dabei unterstützt hätte und Simone Lange kann es doch auch. Was man gewiss nicht machen kann, ist an Hartz IV im Grundsatz festhalten und gleichzeitig von sozialer Gerechtigkeit faseln.

     

    Immerhin hat die SPD jetzt auch mal eine Totengräberin. Davon müssen die Frauen in Deutschland ja durchgängig einfach begeistert sein - oder?

  • 9G
    95823 (Profil gelöscht)

    Das Problem ist nicht die FDP, das Problem ist Nahles selbst, und da diese Frau an die Spitze der Partei gewählt wurde, wird es auch keine parteiliche Erneuerung, Nahles steht innerparteilich für genau dieselbe Stagnation wie Merkel das bundesweit tut.

    Um sich glaubhaft zu erneuern müsste sich die SPD als erstes von der Agenda 2010 distanzieren, solange das nicht passiert gewinnt sie die Glaubwürdigkeit als vorgeblich "soziale" Partei nicht zurück.

  • "„Wenn wir Hartz IV abwickeln, haben wir noch keine Frage beantwortet“, sagt sie."

     

    Zumindest haben sie die falsche Antwort zurückgenommen. Der Zustand vor dem 01.01.2005 wäre nicht schlecht - für den Anfang.

  • Die SPD will sich "erneuern" - mit einer Vorsitzenden, die seit 30 Jahren ihr gesamtes Berufsleben als Politikerin in eben dieser Partei verbacht hat?!

     

    Daraus wird nichts.