Neue Rollen auf dem UN-Klimagipfel: Große Erwartungen an China
Mit dem Ausstieg der USA forderten viele von China, endlich zum Vorreiter auf dem UN-Klimagipfel zu werden. Peking sagt: Sind wir doch längst.
Als Zeng Qin ein Frühwarnsystem für Extremwetter-Ereignisse vorstellt, sind fast alle Stühle im chinesischen Pavillon auf der UN-Klimakonferenz in Belém besetzt. Delegierte und Beobachter*innen stehen an den zwei Ausgängen, wo auf Tischen Panda-Anstecker und Xi-Jinping-Biografien angeboten werden, und lauschen Zeng, der für den chinesischen Wetterdienst arbeitet.
Mazu – so heißt das Frühwarnsystem, benannt nach einer chinesischen Schutzpatronin für Seefahrer*innen – „steht auf vier Säulen: dem Teilen von Werkzeugen und Expertise sowie dem Aufbau von Kapazitäten in den Partnerländern und Stipendien“, sagt er. „Unser Ziel ist, dass jeder auf der Welt von Mazu beschützt wird.“
Vom Teilen, von Stipendien und chinesischer Expertise ist oft die Rede in der dreistündigen Nebenveranstaltung zu Chinas Beitrag zur Klima-Anpassung. Wie Staaten sich gegen Wetterextreme wappnen können, ist eines der zentralen Themen der diesjährigen Klimakonferenz.
Die ärmsten Staaten setzen die EU unter Druck, mehr Geld zur Verfügung stellen zu wollen – als Industrieländer sind sie dazu völkerrechtlich verpflichtet. An China richten sie diese Forderung nicht. Es gilt in den Statuten der Klimakonferenz, die noch aus den 1990ern stammen, als Entwicklungsland.
China legt ein irrwitizges Tempo hin
China tritt auf Klimagipfeln üblicherweise bedächtig auf, schreitet vor allem dann ein, wenn Entscheidungen über die Köpfe der Entwicklungs- und Schwellenländer hinweg getroffen werden sollen. Aber mit der wirtschaftlichen Stärke des Landes wächst auch die Zahl derjenigen, die China in eine Vorreiter-Rolle drängen wollen – vom UN-Generalsekretär über den Finanznachrichtendienst Bloomberg bis zum Wissenschaftsmagazin New Scientist.
„Wir halten unsere Versprechen und erfüllen unsere Verpflichtungen“, sagte der chinesische Vize-Premierminister Ding Xuexiang zu Beginn der Konferenz. In den ersten neun Monaten des Jahres hat China Wind- und Solaranlagen mit einer Spitzenleistung von 300 Gigawatt gebaut, fast die Hälfte der insgesamt in Europa installierten Kapazität in weniger als einem Jahr.
Behält die Volksrepublik dieses Tempo bei, wird es sein selbstgestecktes Klimaziel problemlos erreichen, bis 2035 sieben bis zehn Prozent weniger CO2 auszustoßen als zum Emissionsgipfel. Wann der ist, lässt Peking offen – aber wahrscheinlich stagnieren oder fallen die chinesischen Emissionen seit anderthalb Jahren. Um das 1,5-Grad-Ziel noch einzuhalten, müsste China bis 2035 30 Prozent weniger CO2 ausstoßen, wie eine Analyse des Centre for Research on Energy and Clean Air zeigt.
„Sie wollen den heimischen Klimaschutz fortführen, da sehen sie ihren Beitrag“, sagt Yao Zhe, China-Expertin von Greenpeace. „Eine Vorreiter-Rolle kommt aus ihrer Sicht aus ihrer wirtschaftlichen und industriellen Stärke, und indem sie den Preis von Klima-Lösungen senken.“ Chinas Klimaschutz-Anstrengungen seien vom wirtschaftlichen Potenzial getrieben, keiner moralischen Überzeugung.
Peking sieht sich als Hüter des Multilateralismus
Mit Klimaschutz zu Hause ist es jedenfalls nicht getan, findet zumindest Brasiliens Präsident Lula. Vor der Konferenz forderte er den chinesischen Vize Ding dazu auf, mehr Geld für Klimaschutz und -Anpassung im Globalen Süden zur Verfügung zu stellen.
Auch Kira Vinke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sagt: „China müsste allein deswegen in die Klimatöpfe einzahlen, weil sie es können, und weil sie mit ihren Emissionen extremen Schaden anrichten.“ Zwar finanziere China schon Klimaschutzprojekte in anderen Ländern, „aber sie beharren darauf, dass das ohne Überprüfung und bilateral geschieht.“
Gleichzeitig sieht Peking sich als Hüter des Multilateralismus. „China hat das Pariser Abkommen maßgeblich vorangetrieben“, sagt Kate Logan, China-Expertin bei der US-amerikanischen Asia Society. „Sie haben ein starkes Interesse daran, die multilaterale Architektur aufrechtzuerhalten.“ Aber eine Vorreiter-Rolle sei für China „tricky“. Die Volksrepublik bezeichne sich als „Entwicklungsland und Großmacht“, Ehrgeiz beim Klimaschutz müsse aus der Sicht Pekings von den traditionellen Industriestaaten kommen.
Dazu kommt: China sei weiterhin ein „fossiler Staat“, sagt Logan. Die Volksrepublik stößt jährlich mehr CO₂ aus als jedes andere Land. Nur die USA und die EU-Länder haben mit ihrem Treibhausgas-Ausstoß seit der Industrialisierung mehr zur Erderhitzung beigetragen. Rekorde stellt das Land nicht nur bei Erneuerbaren, sondern auch beim Bau neuer Kohlekraftwerke auf. China – ein Land ohne nennenswerte Öl- und Gas-Vorkommen, aber mit reichlich Kohle – müsse „noch herausfinden, wie es mit seinen Kohleressourcen umgeht.“
Grüne Exporte nehmen gigantische Ausmaße an
Trotzdem habe sich die chinesische Haltung etwas verschoben, sagt Logan. Während vor zwei Jahren die grünen Unternehmen des Landes vor allem die heimischen Emissionen in den Griff bekommen sollten, „werden sie inzwischen dargestellt als Unterstützung für die ganze Welt“.
Das Frühwarnsystem Mazu übernimmt diese Rolle bei den Diskussionen um Anpassung: China teilt seine Technologie mit dem Globalen Süden, um Stürme und Überschwemmungen vorherzusagen. Warum soll es da noch Milliarden in Klimatöpfe einzahlen?
Tatsächlich nehmen chinesische Exporte grüner Technologien gigantische Ausmaße an: Investitionsversprechen grüner chinesischer Unternehmen im Ausland belaufen sich auf 227 Milliarden US-Dollar.
2024 haben die Ausfuhren von Solarpaneelen, Batterien und E-Autos einer Analyse zufolge weltweit zu CO₂-Einsparungen von 220 Millionen Tonnen CO₂ geführt, über die gesamte Lebensdauer der Produkte könnten es vier Milliarden Tonnen sein. Zum Vergleich: Deutschland stieß 2024 knapp 650 Millionen Tonnen aus.
Beim Handel kommt es zum Konflikt mit der EU
„Chinas Hauptziel ist es, den Handel mit grünen Produkten zu liberalisieren“, sagt Logan. Peking wolle sicherstellen, dass Chinas Wirtschaft sich auf die grünen Unternehmen verlassen kann. „Der Wettbewerb auf dem chinesischen Markt ist hart. Die Unternehmen sind abhängig davon, exportieren zu können.“
An dieser Stelle kommt China immer wieder in Konflikt mit der EU, eigentlich einem natürlichen Verbündeten im Kampf gegen den Klimawandel. Gerade die Einfuhrbeschränkungen für chinesische E-Autos haben in Peking für Frustration gesorgt.
„Chinesische E-Autos, ein Zeichen von Chinas Fortschritt in grünen Industrien, stellen eine positive Kraft in der Energiewende dar“, schrieb zu Beginn des Klimagipfels ein anonymer Kommentator im Staatsmedium Global Times. „So lang einige im Westen dieser Kraft mit Skepsis begegnen, ist der Weg zu weit verbreiteten und billigen grünen Technologien versperrt.“
Auf dem Gipfel in Belém kritisieren China und andere Entwicklungsländer die EU für den sogenannten CO₂-Grenzausgleichsmechanismus CBAM, der ab 2026 einige CO₂-intensive Einfuhren wie Aluminium und Stahl verteuern soll. Nur geschicktes diplomatisches Vorgehen der brasilianischen Konferenzleitung konnte einen Streit um die Tagesordnung verhindern, der bereits Vorverhandlungen im Sommer um zwei Tage verzögert hatte.
„Handel ist kompliziert“, sagt Yao Zhe von Greenpeace. „Aus chinesischer Perspektive ist es drängend, weil sie Exporte als ihren Beitrag zum Klimaschutz ansehen.“ Europa dagegen fürchtet, billige chinesische E-Autos würden die heimische Auto-Industrie zerstören.
Die EU und China sind aufeinander angewiesen
Das Problem für beide Seiten ist: Sie wollen angesichts einer aggressiv fossilen US-Politik beweisen, dass die globale Klimaschutz-Architektur noch funktioniert. Das bedeutet, dass sie auch beim Handel zu einem Kompromiss finden müssen.
Die EU hat bisher alle Versuche abgeblockt, CBAM im Abschlusstext zu kritisieren. Gleichzeitig treibt sie als Teil einer wachsenden Koalition von Ländern einen Beschluss zu einem Ausstiegsfahrplan für Öl, Gas und Kohle voran. Dafür braucht sie auch Chinas Unterstützung. Die Volksrepublik aber bleibt ihrem Gipfel-Mantra treu: Sie hält sich bedeckt.
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