Neue Regierung in Österreich: Hintertürchen im Koalitionsvertrag

ÖVP und Grüne dürfen bei asylpolitischen Fragen auch außerhalb der Koalition Mehrheiten suchen. Allerdings nur bei „besonderen Herausforderungen“.

Zwei Männer in Anzügen schütteln sich die Hand, der Linke zeigt auf etwas außerhalb des Bildausschnittes.

Sebastian Kurz (ÖVP, links) und Werner Kogler (Grüne) bei einer Pressekonferenz am Donnerstag Foto: ap/Ronald Zak

WIEN taz | Nicht auf den kleinsten gemeinsamen Nenner habe man sich geeinigt, sondern auf große Projekte aus beiden Parteien. „Das Beste aus beiden Welten“, verkündete Sebastian Kurz (ÖVP) am Donnerstag bei der Präsentation des Koalitionsabkommens mit den Grünen. Beim Thema Asyl und Flüchtlinge will man sich auf die vermeintliche Harmonie allerdings nicht verlassen müssen.

So findet sich auf Seite 200 des Koalitionspaktes unter der Überschrift „Modus zur Lösung von Krisen im Bereich Migration und Asyl“ die Möglichkeit eines koalitionsfreien Raums, sollten „besondere Herausforderungen im Bereich Migration und Asyl entstehen“.

Für den Fall, dass es der Bundesregierung nicht gelingt, „diesen Herausforderungen gemeinsam und zeitgerecht zu begegnen und proaktiv die erforderlichen Maßnahmen (inkl. gesetzgeberische Maßnahmen) zu setzen“ und weder der Koordinierungsausschuss noch ein Gespräch zwischen Kanzler und Vizekanzler das nötige Einvernehmen herstellen kann, dann ist jeder der Partner berechtigt, einen eigenen Antrag ins Parlament zu bringen. Und sich dafür – außerhalb der Koalition – eine Mehrheit zu suchen.

Das heißt aber auch, dass ÖVP und FPÖ gemeinsam Gesetze durchbringen könnten, die sich an Viktor Orbáns Flüchtlingspolitik in Ungarn orientieren. „Echtes Novum im Koalitionsabkommen“, twitterte ORF-Anchorman Armin Wolf.

August Wöginger, ÖVP-Hauptverhandler

„Das ist sozusagen vorgesehen für absolute Notsituationen, vergleichbar mit der Flüchtlingssituation 2015“

Für die Grünen bietet dieses Hintertürchen die Möglichkeit, aus ihrer Sicht bedenkliche Maßnahmen nicht mittragen zu müssen, ohne die Koalition platzen zu lassen. Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz will für ein etwaiges Scheitern der neuen Regierung gewiss nicht verantwortlich sein. Es wäre (nach SPÖ und FPÖ) seine dritte Koalition, die vorzeitig beendet würde.

ÖVP-Hauptverhandler August Wöginger antwortete im Ö1 Morgenjournal am Freitag ausweichend: „Das ist sozusagen vorgesehen für absolute Notsituationen, vergleichbar mit der Flüchtlingssituation 2015.“ Er hoffe aber nicht, dass so ein Fall eintrete.

Für die Bekämpfung der Klimakrise oder andere Hauptanliegen der Grünen ist eine solche Lösung übrigens nicht vorgesehen. Dass dieser Passus beim Grünen Bundeskongress, der den Koalitionspakt am Samstag absegnen soll, für Diskussionen sorgen wird, ist wahrscheinlich.

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