Neue Regierung in Österreich: Aus Blau wird Grün
Die ÖVP regiert künftig nicht mehr mit der rechtsextremen FPÖ, sondern mit den Grünen. Wie erfolgreich hat der neue Koalitionspartner verhandelt?
Auf den ersten Blick haben die Grünen tatsächlich ein sensationelles Programm ausgehandelt. Für Alexander Egit von Greenpeace Österreich ist es „bahnbrechend“, wenn Österreich, wie angestrebt, bis 2040 die Klimaneutralität schaffen sollte. „Österreich wird Klimaschutzvorreiter in Europa“, heißt es da optimistisch. In den vergangenen Jahren hatte sich das Land von den Klimazielen schrittweise entfernt. Leonore Gewessler, die sich die Grünen als Quereinsteigerin von der Umweltorganisation Global 2000 geholt haben, hat ganze Arbeit geleistet. Das Klimakapitel ist mit 62 Seiten das umfangreichste im 326 Seiten starken Koalitionspapier.
Teilweise geht es tief in die Details. So wird Bahnfahren billiger, Fliegen durch eine Ticketsteuer von 12 Euro dagegen etwas teurer. Der öffentliche Nahverkehr soll durch günstigere Tickets und kürzere Intervalle auch in abgelegenen Gebieten attraktiver werden. Der ökologische Gedanke durchzieht sämtliche Themenbereiche. Ein Klimakabinett soll sicherstellen, dass die gesamte Bundesregierung Verantwortung übernimmt.
Alle Gesetzesvorhaben müssen auf ihre Umweltverträglichkeit abgeklopft werden. Die 42-jährige Gewessler, die ein um Umwelt- und Energiethemen erweitertes Infrastrukturministerium leiten wird, zeigte sich auch zuversichtlich, dass der Plan, eine Million Dächer mit Solarpaneelen auszurüsten, nicht utopisch ist: „Die Photovoltaik-Förderung ist zu Jahresbeginn nach drei Minuten ausgeschöpft. Das zeigt: Die Leute wollen, aber wir lassen sie oft nicht.“
Gläserner Staat statt gläsener Bürger
Von einem „Meilenstein“ spricht auch Margit Kraker, die Präsidentin des Rechnungshofes. Was die einst von der ÖVP nominierte Funktionärin seit Jahren vergeblich fordert, haben die Grünen jetzt in einem Transparenzpaket durchgesetzt. Der Rechnungshof soll künftig Einsicht in die Finanzen der Parteien haben und diese kontrollieren können.
Bisher durfte etwa nicht überprüft werden, ob deren Angaben – etwa, was die Wahlkampfausgaben betrifft – richtig sind. Mögliche Sanktionen sollen deutlich schmerzhafter werden. Das könnte künftig verhindern, dass etwa die ÖVP, wie im Wahlkampf 2017, dank generöser Privatspenden fast doppelt so viel in den Wahlkampf stecken kann wie gesetzlich erlaubt.
Das Paket beinhaltet auch die Abschaffung des Amtsgeheimnisses. Werner Kogler versprach „einen gläsernen Staat statt einem gläsernen Bürger“. Ausnahmen für die Auskunftspflicht der Behörden sollen nur für militärische Angelegenheiten und Fragen der staatlichen Sicherheit gelten.
Nie zuvor hat es in Österreich zudem ein jüngeres und weiblicheres Kabinett gegeben als das jetzt geplante. 8 der 15 Ministerposten werden mit Frauen besetzt. Mit der in Bosnien geborenen Alma Zadić, die für die Grünen das Justizministerium übernimmt, wird erstmals eine Frau mit Migrationshintergrund Ministerin.
Insgesamt besetzen die Grünen ihre Kabinettsposten mit starken Persönlichkeiten. Zadić ist eine Spitzenjuristin mit internationalen Diplomen und Erfahrung am Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien, Leonore Gewessler hat sechs Jahre lang als Direktorin der Green European Foundation in Brüssel internationale Erfahrung gesammelt. Das ist eine vom Europaparlament finanzierte politische Stiftung mit enger Verbindung zu den europäischen Grünen.
Der oberösterreichische Landesrat Rudi Anschober, demnächst Gesundheits- und Sozialminister, hat in den vergangenen Jahren namhafte ÖVP-Politiker hinter seiner Initiative gegen die Abschiebung von Lehrlingen mit negativem Asylbescheid versammeln können. Noch bevor die neue Regierung antritt, hat das Parlament seine Initiative aufgegriffen und Abschiebungen vor Beendigung der Lehre verboten. Die von Anschober und den Betrieben gewünschte Lösung, die wie in Deutschland anschließend zwei Jahre Praxis erlauben würde, ist an ÖVP und FPÖ gescheitert.
Ulrike Lunacek, die als Staatssekretärin im Vizekanzleramt für Kunst und Kultur zuständig sein wird, war zuvor Abgeordnete im Europäischen Parlament und zuletzt eine dessen Vizepräsidentinnen.
Kanzler Sebastian Kurz dagegen hat wieder eine Schar von Groupies um sich gesammelt, die teils aus der Seilschaft der Jungen ÖVP stammen, teils aus dem Bauernbund, dem Wirtschaftsbund oder dem Arbeiter- und Angestelltenbund, den Säulen der Partei. Das Innenministerium besetzt er mit dem Hardliner Karl Nehammer, der die von Kurz verfolgte scharfe Anti-Ausländer-Politik vollziehen soll, Finanzminister wird der Kurz-Vertraute Gernot Blümel, der als für Kultur und Medien zuständiger Kanzleramtsminister keine gute Figur machte.
Die seit 33 Jahren in allen Regierungen vertretene ÖVP sicherte sich alle Ressorts, in denen es um reale Macht geht. Aus dem Sozialministerin etwa wurde das Thema Arbeit herausgelöst und dem ÖVP-geleiteten Wirtschaftsressort zugeschlagen. Nicht einmal die Bereiche Integration, Frauen und Entwicklungspolitik, in denen die Kompetenz der Grünen unbestritten ist, wollte man dem Koalitionspartner überlassen. Auch einen Stufenplan für das Erreichen des international verankerten Ziels von 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für Entwicklungshilfe, den die Grünen seit Jahren fordern, sucht man vergeblich.
Hintertürchen für die ÖVP
Über das Finanzministerium hat die ÖVP zudem die Möglichkeit, alle grünen Initiativen, die Geld erfordern, verhungern zu lassen. Die öko-soziale Steuerreform, ohne die das Klimaziel kaum zu erreichen sein wird, scheint dem großen Koalitionspartner kein dringendes Anliegen zu sein. Fraktionschef August Wöginger sah am Freitag im Radiointerview keine Eile geboten: „Ich halte mich an das, was im Regierungsprogramm vereinbart wurde, nämlich dass wir diese Task Force einrichten und gemeinsam mit den Grünen nach Lösungen suchen.“ Die interministerielle Arbeitsgruppe soll bis 2022 Vorschläge erarbeiten.
Die Agenda in Sicherheits- und Migrationsfragen liest sich so, als sei sie aus dem Programm der gescheiterten ÖVP-FPÖ-Regierung übernommen. Da ist von „Ausreisezentren“, die Rede, wo Flüchtlinge mit negativem Asylbescheid zur „freiwilligen“ Ausreise überredet werden sollen. Für potenzielle Gefährder soll es präventive „Sicherheitsverwahrung“ geben. Noch vor einem Jahr hatte Werner Kogler ein solches Ansinnen kategorisch abgelehnt. FPÖ und ÖVP sollten ihr „verfassungswidriges und menschenrechtsfeindliches Treiben sofort einstellen“, sagte er damals.
Unser Autor stand schon als Kind auf Skiern, heute verspürt er wegen des Klimawandels vor allem eines: Skischam. Für die taz am wochenende vom 15. Februar nimmt er Abschied von der Piste und fährt ein letztes Mal. Außerdem: Wer gewinnt die Bürgerschaftswahlen in Hamburg? Auf Wahlkampftour mit den Kandidaten der Grünen und der SPD. Und: Waffel kann auch Döner sein, Obstdöner. Über das heilendste Gericht der Welt. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Und für den Fall, dass eine Flüchtlingskrise wie 2015 Maßnahmen erfordert, die die Grünen nicht mittragen wollen, gibt es unter der Überschrift „Modus zur Lösung von Krisen im Bereich Migration und Asyl“ ein Hintertürchen, das es der ÖVP erlauben würde, im Parlament andere Mehrheiten zu suchen, ohne damit automatisch die Koalition in die Luft zu sprengen.
Ob das Übereinkommen, wie SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner sarkastisch anmerkte, nur „ein ÖVP-Programm mit grüner Tarnfarbe“ ist oder den Grünen die Umsetzung ihrer wichtigsten Anliegen erlaubt, muss die Praxis zeigen. Für Skeptiker im Bundeskongress der Grünen, der den Pakt annehmen muss, hat der ehemalige Bildungssprecher der Grünen, Harald Walser, der sich „von einigen Punkten auch etwas verschreckt“ zeigte, als Trost den Hinweis auf die Alternativen parat: „Wollen wir wirklich den rot-schwarzen Stillstand oder die schwarz-blaue Schreckensregierung fortsetzen?“
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