Neue Platte von Lucrecia Dalt: Ihre Stimme spielt Theater

Sie verwebt versponnene Klänge mit ihrer verfremdeten Stimme. Eine Begegnung mit der Musikerin und Performerin Lucrecia Dalt in Berlin.

Eine Frau mit langen glatten Haaren schaut nach links aus dem Bild, die Ellbogen abgewinkelt, in einer dunkelgrünen Bluse

Hinterfragt ihre Stimme immer: Sängerin Lucrecia Dalt Foto: Camille Blake

Auf dem Cover von Lucrecia Dalts neuer Platte mit dem Titel „No Era Sólida“ blickt ein Frauenkopf, dem die langen Haare ins Gesicht hängen, ins Nichts. Das Foto sieht aus wie die verwackelte Röntgenaufnahme eines Geistes. Die Musik auf dem dazugehörigen Album klingt nicht minder weltabgewandt und gespenstisch.

Da ist es dann doch einigermaßen überraschend, wenn man Lucrecia Dalt in einem Café in Kreuzberg gegenübersitzt und sich mit einer durchweg fröhlich wirkenden, unkomplizierten und freundlichen Gesprächsparternin unterhalten kann.

Lucrecia Dalt: „No Era Sólida“ (RVNG Intl.)

Geboren wurde Lucrecia Dalt in Kolumbien. Sie machte Station in Barcelona, bevor sie vor sechs Jahren nach Berlin gezogen ist. Aktuell lebt sie in Alt-Treptow, wo sie sich in ihrer Wohnung ein Zimmer als Studio eingerichtet hat. Sie erzählt, dass sie in einer sehr musikalischen Familie groß geworden sei. Sie lernte das Spielen auf der Gitarre, ihre Mutter und ihr Onkel waren passionierte Schallplattensammler. Vor allem mit lateinamerikanischer Musik, etwa mit Cumbia, sei sie aufgewachsen. Obwohl ihr Englisch ziemlich geschliffen klingt, singt sie weiter auf Spanisch.

Trotz all der Musik um sie herum und der frühen Begeisterung dafür hat sie erst Bauingenieurwesen studiert und in dieser Branche eine Zeit lang gearbeitet. Doch die Musik ließ sie nicht los. Sie begeisterte sich zunehmend für elektronische Musik und legte eine Zeit lang als DJ auf. Ihr Sound ging damals noch in Richtung Techno. Dann begann sie nebenbei selbst zu produzieren.

Von der Bauingenieurin zur Künstlerin

Vor 15 Jahren veröffentlichte die heute 40-Jährige ihr erstes von inzwischen sieben Alben und kündigte ihren Job als Bauingenieurin. Hat sie diesen Schritt angesichts der gerade ziemlich düsteren Zeiten für Künstlerinnen zuletzt mal bereut? „Nein, niemals. Kreativ zu sein ist das Beste, was man in seinem Leben tun kann“, lautet ihre klare Antwort.

Sie findet, ihr gehe es als Künstlerin in Berlin vergleichsweise gut. Befreundete Musiker in den USA etwa dürften nicht mehr auftreten und bekämen keinerlei Unterstützung vom Staat. Sie dagegen gebe noch vereinzelt Konzerte und bekomme künstlerische Projekte finanziert.

Dabei sei es natürlich auch hilfreich, dass sie sich nicht nur als Musikerin verstehe, sondern als Künstlerin. Auch als Performance-Artist und mit Soundinstallationen hat sie sich inzwischen einen Namen gemacht. „Je breiter man als Künstlerin aufgestellt ist in diesen Coronazeiten, desto besser“, denkt sie.

Seit ihrem letzten Album vor zwei Jahren gilt Lucrecia Dalt als eine der führenden Figuren idiosynkratischer, avantgardistischer Elektronik. Sie verwebt versponnene Klänge auf ziemlich einzigartige Weise mit ihrer immer wieder anders verfremdeten Stimme. Heraus kommt dabei eine ziemlich fordernde Musik.

Jazz zum Runterkommen

„Meine neue Platte ist ein ziemlich intensives Album für diese Coronazeit geworden, das ist mir völlig klar“, sagt sie und gibt an, dass sie selbst in den letzten Monaten am liebsten Jazz, etwa von Alice Coltrane, gehört habe, um runterzufahren. Dabei soll es durchaus Menschen geben, die Alice Coltranes Cosmic-Jazz nicht unbedingt als typischen Sound zum Chillen und Abschalten begreifen.

Besonders markant, auch im Vergleich zu ihrem letzten Album, ist der Gesang auf „No Era Sólida“, der sich permanent verformt und mit allerlei Effekten unterlegt wurde. Die Stimme, das ist die Behauptung von Lucrecia Dalt, stamme aber gar nicht von ihr, sondern von der Kunstfigur Lia, einer Art abgespaltenem Ich der Künstlerin. Lucrecia Dalt und Lia verhalten sich, wenn man so will, zueinander wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde.

„Ich hinterfrage meine Stimme immer. Klingt sie auch gut genug? Durch das Pseudonym Lia befreie ich meine Stimme von mir selbst und sie kann sich besser entfalten“, so erläutert die Musikerin ihren Kunstkniff. Man solle Lia demnach „wie einen Theatercharakter begreifen, wo man als Schauspieler bei der Darstellung einer anderen Person ja auch seine Stimme und seine Bewegungen von sich selbst löst.“ Lucrecia Dalt sagt, sie liebe einfach Konzepte, auch um ihre Alben geschlossener wirken zu lassen. Auch deshalb gebe es auf „No Era Sólida“ diese Konversationen mit Lia.

Die Arbeit und das Experimentieren mit dem Gesang möchte sie im nächsten Jahr weiter intensivieren, sagt sie. Sie habe vor, Duette zu singen. Mit anderen Menschen, nicht nur mit Lia.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.