Neue Perspektiven für das Bauen: Handbuch für das Haus der Erde
Aktuelle Standards westlicher Architektur tragen wesentlich zur Klimaerwärmung bei. Eine Berliner Ausstellung sucht nach Alternativen.
Er steckt nicht nur in Kosmetik und Smartphones – er ist auch der wichtigste Bau-Rohstoff unserer Epoche. Eine Studie der ETH Zürich kam auf einen Verbrauch von etwa 50 Milliarden Tonnen jährlich. Sand ist damit nach Wasser die zweitmeist konsumierte Ressource – und wird ausgerechnet auf einem Planeten knapp, der durch den Klimawandel in weiten Teilen verwüstet. Doch Wüstensand ist, von Wind und Wetter rundgeschliffen, nicht zur Herstellung von Beton geeignet – dem Baustoff der Moderne. So wie auch Glas.
Und es wird immer mehr gebaut. Das führt nicht zu günstigem Wohnraum. Dafür stellen die als natürlicher Lebensraum kaum infrage gestellten Megastädte steigende Anforderungen an Agrarwirtschaft und Industrie. Die Digitalisierung hat keine „globalen Dörfer“ geschaffen. Stattdessen ermöglicht sie perfekte Logistikketten, die auf einem alten Energieregime basieren und weiterhin auf Wachstum setzen.
„Houston, we have a problem“ heißt eine Ausstellung im Deutschen Architekturzentrum (DAZ) in Kooperation mit dem Bund Deutscher Architekten (BDA) in Berlin. Ihr war ein Call for Projects vorausgegangen, der die Möglichkeiten klimagerechten Bauens jenseits bekannter Lösungen auslotet. Eingegangen sind 150 Projekte, gebaute und gedachte Visionen aus den Bereichen Architektur und Städtebau, Gesellschaft, Energieversorgung, Verkehr und Ökonomie.
Drei von ihnen exemplarisch ausgestellt. Wie etwa das Berliner Wohnhaus „einfach gebaut“ (orange architekten) mit seinen gesteckten und gehängten Fassadadenelementen. Student*innen der TU-Darmstadt realisierten mit „CUBITY“ ein modulares Wohnsystem im „Plus-Energie-Standard“. Die gesamte Projektsammlung ist als Register verankert, einige online in der sehr lesenswerten Begleit-Ausgabe von „der architekt“ dokumentiert.
„Houston, we have a problem“: DAZ - Deutsches Architektur Zentrum, Wilhelmine-Gemberg-Weg 6, bis 20. 10., Mi-So, 15 – 20 Uhr, Nächster Y-Table Talk Anfang November, Informationen: www.daz.de
Der Ausstellungstitel ist ein nicht ganz korrekt zitierter Teil der Funkkommunikation zwischen Astronauten und dem NASA Mission Control Center („Houston“) während des Apollo 13-Raumfluges im April 1970, als eine Explosion den Zusammenbruch der Sauerstoff-, Strom- und Wasserversorgung zur Folge hatte. Eine Reihe von technischen Improvisationen führte zur Rettung der Besatzung.
Er markiert auch zwei paradoxe Entwicklungen, die in ein Jahrzehnt fielen: der Beginn des hoch technisierten Raumfahrtzeitalters und der modernen Umweltbewegungen. Das von dem Ökonomen Henry George 1879 erstmals eingeführte Diktum vom „Schiff, auf dem wir durch das All fahren“ wird damals häufig zitiert. Der Konstrukteur Richard Buckminster Fuller veröffentlichte 1968 seine „Bedienanleitung für das Raumschiff Erde“.
Im vergangenen Mai hatte man sich daran anlehnend auf dem 15. BDA-Tag in Halle an der Saale mit „Das Haus der Erde“ bereits auf ein Manifest für eine klimagerechte Architektur der Zukunft festgelegt. Kernbestandteil neben der Partizipation an politischen Prozessen und Ressourcen-schonendem Bauen: die vollständige Entkarbonisierung – also der Verzicht auf Materialien, deren Herstellung viel CO2 emittiert.
Denn es sind die aktuellen Standards westlicher Architektur mit ihrem hohen Aufwand an Baumaterialien, die wesentlich zum globalen Ressourcenverbrauch beitragen. Darüber hinaus fallen bei der Extraktion und Verarbeitung etwa die Hälfte aller Treibhausgasemissionen an. Der Physiker Hans Joachim Schnellhuber bezeichnet Beton als einen der schlimmsten Baustoffe überhaupt, wenn es um Klimafolgen geht. Ähnlich problematisch: Stahl, Aluminium und Kupfer.
Für eine Kehrtwende setzten viele Beiträge auch auf Partizipation. In loser Reihenfolge lädt das DAZ deshalb zu „Y-Table Talks“ ein. Denn: „Es gibt keine Passagiere im Raumschiff Erde – nur Besatzung“ (Buckminster Fuller).
Für eine Kehrtwende setzen viele der eingesandten Projekte auch auf mehr Partizipation und Einmischung. Denn: „Es gibt keine Passagiere im Raumschiff Erde – nur Besatzung“ (Buckminster Fuller).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an