Neue Ölfelder vor Schottland: Bis zum letzten Tropfen
Klimakrise, war da was? Im Vereinigten Königreich wurde das bisher größte britische Ölfeld zur Erschließung freigegeben – allen Warnungen zum Trotz.
„Ich bin wütend und verzweifelt“, sagt Jean Boucher. „Aber ich werde weiterkämpfen.“ Boucher gehört in Schottland der radikalen Umweltschutzbewegung Extinction Rebellion an.
Es sei der „größte Akt von Umwelt-Vandalismus in meiner Lebenszeit“, sagt Caroline Lucas, die einzige Grünen-Abgeordnete im Londoner Unterhaus. „Das Öl und Gas von Rosebank wird mehr CO2 produzieren als die 28 ärmsten Länder der Welt zusammen. Mit anderen Worten: Dieses eine Ölfeld richtet mehr Umweltschäden an als 700 Millionen Menschen. Wie rechtfertigt die Regierung ein solches Umweltverbrechen?“
Die Welt trifft sich dieser Tage zur globalen Klimakonferenz COP28 in Dubai. Und während sich die meisten Expertinnen und Experten längst einig sind, dass unter keinen Umständen noch neue Öl- und Gasfelder erschlossen werden dürfen, gibt es gleichzeitig weltweit einen Boom bei der Öl- und Gasförderung. Die größten Expansionspläne haben dabei die USA, Kanada und Russland.
Schlupfloch bei der Steuer
Die britische Grüne Caroline Lucas ist nicht nur darüber entsetzt, dass Großbritannien sich diesem Trend anschließt. Vor allem die Art und Weise schockiert sie. Im Grunde finanziere die britische Bevölkerung das Projekt, denn sie komme für Steuererleichterungen im Wert von 3,75 Milliarden Pfund auf, sagt Lucas: „Ein ungeheuerliches Schlupfloch bei der Spekulationssteuer sorgt dafür, dass sich die Unternehmen für 100 Pfund, die sie in umweltzerstörendes Öl und Gas investieren, 91,25 Pfund vom Finanzamt zurückholen können.“ Equinor hat für das Jahr 2022 einen Rekordprofit von 62 Milliarden Pfund gemeldet.
„Für das Vereinigte Königreich ist Rosebank groß, nicht aber im norwegischen Kontext“, sagt dagegen der Pressesprecher von Equinor, Ola Morten Aanestad. „Wir werden in der ersten Phase ab Ende 2026 vielleicht 250 Millionen Barrel fördern. Die Größe von Rosebank wird stark überschätzt.“
Aanestad betont, dass man Jobs schaffe, in der ersten Phase sollen 1.600 Arbeitsplätze entstehen. „Diese Jobversprechen sind eine große Lüge“, hält Jean Boucher von Extinction Rebellion dagegen: „Die Ölfirmen haben kein Interesse an Arbeitern, es ist eine kapitalintensive Industrie.“ Nicht einmal ein Drittel der versprochenen 1.600 Jobs würden durch Rosebank dauerhaft entstehen, der Rest sei lediglich Zeitarbeit in der sehr kurzen Konstruktionsphase. „Man könnte viel mehr Jobs durch Investitionen in erneuerbare Energien schaffen“, sagt Boucher.
Für Extinction Rebellion engagiert sich Boucher in Aberdeen, die lokale Gruppe ist allerdings überschaubar. „Wir sind nur sieben Leute. In Aberdeen stoßen Projekte wie Rosebank nicht auf großen Widerstand.“ Aberdeen ist die Ölhauptstadt des Vereinigten Königreichs. Eine reiche Stadt, prächtige Villen in den Vororten, intakte Häuser in der Innenstadt, Kunstgalerien, Museen, exklusive Restaurants. Seit 1969 vor der Küste Schottlands Öl entdeckt wurde, schossen Büroblöcke aus dem Boden, der Hafen wurde ausgebaut, der größte Hubschrauber-Landeplatz Europas angelegt.
2,8 Millionen Koks
Jean Boucher ist davon überzeugt, dass Aberdeen die besten Zeiten hinter sich habe. „Rishi Sunaks Kehrtwende bei der Klimapolitik könnte ein Vorteil für uns sein“, sagte er. „Es ist nun für alle offensichtlich, was er unter Klimapolitik versteht.“ Im Dezember 2022 genehmigten die Tories von Premierminister Sunak das erste britische Steinkohlebergwerk seit 30 Jahren.
Man will dort 2,8 Millionen Tonnen Kokskohle fördern. Anfang August erklärte Sunak, dass alte und neue Ölfelder in der Nordsee bis zum letzten Tropfen ausgebeutet werden. Und auch den Verbrenner-Ausstieg sowie die Umstellung von Gaskesseln auf Wärmepumpen in Privathaushalten will er verschieben. „Wir brauchen dringend eine hohe CO2-Steuer“, sagt Jean Boucher und seufzt: „Es wird ziemlich schmerzhaft sein, den Planeten zu retten.“
Auch Alex Armitage war früher bei Extinction Rebellion. Seit anderthalb Jahren sitzt er für die Grünen in der Bezirksverwaltung von Shetland, zu der das Ölfeld Rosebank gehört. Der 42-Jährige ist eigentlich Londoner, aber seine Mutter stammt aus Shetland. Vor drei Jahren ist er dort hingezogen.
„Wir müssen Druck auf Labour-Chef Keir Starmer ausüben, damit er die Lizenz für Rosebank zurücknimmt, wenn er nächstes Jahr Premierminister wird“, sagt Armitage. „Aber er ist ein Zyniker. Er will an die Macht, koste es, was es wolle. Man kann ihm nicht trauen.“ Labour hat bereits angekündigt, die Erlaubnis für Rosebank nicht zurückzuziehen, aber man will zumindest die Steuererleichterungen streichen.
Wie ein Relikt aus dem Kalten Krieg
„Shetland war früher der rückständigste Ort im Vereinigten Königreich“, sagt Armitage. „Die Inseln wurden als letzte elektrifiziert, sie bekamen als letzte Telefone und Farbfernseher.“ Dann kam das Öl. Als 1969 im Meer zwischen Norwegen und Schottland die ersten Ölvorkommen entdeckt wurden, entstand in Sullom Voe auf Shetland eines der größten Öl-Terminals Europas. Man nutzte die Betonpisten der Royal Air Force aus dem Zweiten Weltkrieg als Basis für Versorgungsflüge zu den Ölplattformen. Ende der neunziger Jahre wickelte Sullom Voe mehr als ein Viertel der Erdölproduktion des Vereinigten Königreichs ab.
„Der Ort sieht aus wie ein Relikt aus dem Kalten Krieg“, sagte Armitage. „Aber Öl und Gas haben massive Veränderungen auf Shetland bewirkt. Binnen einer Generation zog der Wohlstand ein – und mit ihm die Angst vor einem Unglück, das den Wohlstand gefährden könnte.“
Dieses Unglück geschah in der Nacht vom 4. auf den 5. Januar 1993. An der Südspitze der Hauptinsel lief die „Braer“, ein liberianischer Öltanker mit 84.500 Tonnen Rohöl an Bord, bei Sturm nach einem Maschinenschaden auf einen Felsen auf und zerbrach. Tausende von Vögeln verendeten, und mehr als ein Dutzend Lachsfarmen mussten dichtmachen, nachdem die Fische vom Öl verseucht worden waren. Die Säuberungsaktionen kosteten 2,5 Millionen Pfund. Dazu kam der Schaden, den die Tourismusindustrie erlitt.
Der Untergang der „Braer“ ist in Shetland nicht vergessen. „Aber zehn Prozent der Wirtschaft werden noch immer durch Öl und Gas generiert“, sagt Armitage. Es sei zwar eine sterbende Industrie, aber viele unterstützten sie. Am 16. Oktober veröffentlichte das Institut Savanta das Ergebnis einer Umfrage, wonach 51 Prozent der befragten Schotten die Erschließung von Rosebank begrüßen. Nur 22 Prozent sind dagegen.
Klage noch vor Jahresende
Kann die Ausbeutung von Rosebank noch verhindert werden? „Die besten Chancen hat wohl der juristische Weg“, sagt Armitage. „Die NGO Uplift will gegen Rosebank klagen. Schließlich verstößt Rosebank gegen die Klimaverpflichtung der britischen Regierung.“
Uplift wurde 2020 von der Umweltanwältin Tessa Khan gegründet. „Es war die Antwort darauf, dass die britische Regierung sich viel zu langsam bewegt“, sagt die 40-Jährige. „Ich habe sehr direkte persönliche Verbindungen zu zwei Ländern, die am meisten vom Klimawandel betroffen sind: Australien, wo ich aufgewachsen bin, und Bangladesch, wo meine Eltern herkommen und wo viele meiner Verwandten noch immer leben.“
Noch vor Jahresende soll die Klage gegen Rosebank eingereicht werden. Khan ist zuversichtlich. „Regierungen haben wissentlich von steigenden Kohlendioxidwerten profitiert und die Umwelt geschädigt“, sagt sie und verweist auf den Präzedenzfall Irland. Dort hat der höchste Gerichtshof in Dublin im Jahr 2020 die Regierung auf Uplifts Antrag dazu verurteilt, bei den Klimazielen nachzubessern: Nun will man eine Reduktion der CO2-Werte um 51 Prozent bis 2030 erreichen. Zuvor gab es gar keine konkrete Zielvorgabe. Irland liegt in der EU an dritter Stelle bei den Umweltsündern, wenn man es pro Kopf rechnet.
„Wir respektieren andere Meinungen natürlich“, sagt Equinor-Sprecher Aanestad zur bevorstehenden Klage von Uplift. „Wir haben dasselbe Ziel, nämlich,net zero' bis 2050. Und das verfolgen wir aktiv.“ Equinor investiere deshalb im Vereinigten Königreich in erneuerbare Energien. „Wir bauen die größte Windfarm der Welt. Aber die Welt braucht nach wie vor Öl und Gas. Wir erschließen Rosebank mit den geringsten Auswirkungen auf die Umwelt, die überhaupt möglich sind.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Rishi Sunak argumentiert, Öl und Gas seien für Energiesicherheit und niedrige Stromrechnungen für Großbritannien notwendig. Das zieht bei der Grünen-Abgeordneten Caroline Lucas nicht. „Nichts könnte der Wahrheit ferner sein“, sagt sie. „Neunzig Prozent des Rosebank-Öls werden an den Höchstbietenden verkauft. Das werden laut Equinor Länder auf dem europäischen Festland sein. Für die Energiepreise in Großbritannien wird Rosebank nicht den geringsten Unterschied machen.“
Anm. d. Red.: In einer früheren Version des Textes wurde das Steuer-Schlupfloch irrtümlich als „Schlumpfloch“ bezeichnet. Wir bitten dafür um Entschuldigung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch