Neue Musik aus Berlin: Die Zahlen geh'n protestieren
Die junge Band Die Letzten Ecken hat eine angenehm zeitlose Postpunk-Platte vorgelegt. Noch etwas dreckiger sind Die Schefe Bahn.
E ine Synthesizer-Tonfolge dreht unermüdlich ihre Schleifen, ein minimalistischer Wave-Beat pluckert vor sich hin, dazu singt eine Frauenstimme Verse, die eine fast universelle Bedeutung haben: „Die Zahlen geh’n protestieren/ sie woll’n nicht mehr zähl’n/ (…) Die Zahlen geh'n protestieren/ sie sind zu hoch“, hört man den halligen, monoton-kühlen Gesang, der nun zur Strophe überleitet: „Die Fragen steh’n im Raum/ Sie lehn’n an der Wand/ Die Fragen steh’n im Raum/ Sie träumen vom Strand“.
Dieser Track („Die Zahlen“) findet sich auf der Debüt-Mini-LP der jungen Berliner Band Die Letzten Ecken, die dem Zirkel der Postpunk-Band Aus entstammt (Lisa von Aus ist Sängerin und Texterin). Wer möchte, kann den Songtext auf die aktuelle Coronasituation beziehen, aber passen würde er auch auf eine von Zahlen, Scores und Statistiken besessene postdigitale Gesellschaft.
Die Lyrics sind meist vieldeutig, lassen allerlei Assoziationen zu und sind eine wesentliche Qualität des Trios. Zwischendurch werden sie politisch eindeutiger, etwa in „Zauberworte“, wo es heißt: „Atme alle Luft/ die noch zirkuliert/ was heute wieder Aufwind hat/ ist so antiquiert“.
Musikalisch klingen Die Letzten Ecken angenehm zeitlos, es regieren düstere Synthie-Klanglandschaften, der Sound erinnert manchmal an DAF oder Liaisons Dangereuses („Vakuum“), auch heute vergessene Bands wie Mittageisen oder Die Gesunden kommen einem in den Sinn. Die 80er enden eben nie.
Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.
Daneben gibt es gleich noch ein neues Projekt mit Beteiligung der Aus-Ladys. Es trägt den tollen Namen Die Schiefe Bahn, das Trio hat gerade ein Demo (Kassette und digital) veröffentlicht. Auch hier singt Lisa, auch hier geht es minimalistisch zur Sache, nur werden Synthies und Drum Machines durch akustische Instrumente (Bass, Schlagzeug, Gitarre) ersetzt. Klingt nicht ganz so sphärisch und etwas dreckiger; die Ära, auf die hier referiert wird, ist aber die gleiche. Alles in allem: zwei Must-Haves für alle Postpunk-/Cold-Wave-Lover.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu
Wanted wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen