Neue Mozart-Inszenierung in Berlin: Das Orchester ist eine Wucht
Kirill Serebrennikow inszeniert, James Gaffigan dirigiert Mozarts „Le Nozze di Figaro“ an der Komischen Oper in Berlin. Musikalisch ist das großartig.
Vermutlich hat eine KI diese silbernen Plastiken entworfen, der Aufforderung gehorchend: „Entwirf Skulpturen im Stil von Henry Moore, die vage erotisch wirken und dabei entfernt an lustige Tierfiguren erinnern!“
Das Bühnenbild stammt vom Regisseur selbst, der auf den oberen Teil seiner doppelbödigen Spielfläche für das Eingangsbild eine Plastik gesetzt hat, die zwar eindeutig einen weiblichen Torso darstellt, gleichzeitig aber aussieht wie ein auf der Seite liegender Seehund.
„Kirill ist back“, hatte die Komische Oper die Premiere von „Le Nozze di Figaro“ in einem nicht minder ulkigen Sprachgemisch stolz angekündigt. Es ist Kirill Serebrennikows zweite Mozart-Inszenierung am Haus (die erste im Ausweichquartier Schillertheater), nach „Così fan tutte“ in der letzten Saison. „Don Giovanni“ wird folgen.
Mozarts drei Da-Ponte-Opern werden oft als „Trilogie“ bezeichnet, was eigentlich Quatsch ist. Aber eine Trilogie kann daraus werden, wenn ihre Inszenierung wie hier in einer Hand liegt. Sereberennikow stellt die Verbindung zum einen über das Bühnenbild her.
Auch in „Così“ hatte die Spielfläche zwei Ebenen; für den „Figaro“ ist sie sozusagen um eine Ebene nach unten verschoben worden: Während auf der Oberbühne das Leben von Graf und Gräfin Almaviva spielt, beherbergt die Unterbühne den Wirtschafts- und Dienstbotenkeller, in dem Waschmaschinen stehen und Figaro und Susanna eine Doppelmatratze ausbreiten dürfen – Geschenk des Grafen zu ihrer bevorstehenden Hochzeit. Es ist eine vergiftete Gabe, hat der Graf doch vor, an der attraktiven Susanna das ius primae noctis auszuüben…
Cherubino endlich erlöst
Die Handlung, bereits in Da Pontes Libretto wirr genug, wird bei Serebrennikow auf sinnstiftende Weise noch komplexer, indem er die symbolhafteste der Figuren verdoppelt – man könnte auch sagen: indem er Cherubino endlich erlöst. Cherubino, Sinnbild der reinsten, unschuldigsten Erotik, ist bei Da Ponte ein Knabe, der sich in jede nette Frau verliebt, und wird traditionell als Hosenrolle mit einer Mezzosopranistin besetzt. Bei Serebrennikow wird diese Amorfigur zu zwei Personen: Cherubino-Cherubina.
Während Cherubino (Georgy Kudrenko) nicht sprechen kann und sich allein durch expressive Körperlichkeit ausdrückt, übernimmt Cherubina (Susan Zarrabi) es, ihn singend zu dolmetschen. Das ist sehr berührend, weil Cherubinas Spiel anzusehen ist, wie sehr sie selbst Cherubino liebt, gleichzeitig aber seine Liebeslieder an andere Frauen für ihn vortragen muss.
Auch die Doppelung von Figuren hatte es in Serebrennikows „Così“ schon gegeben, dort aber als Erscheinungsformen von Fantasie und Wirklichkeit. Ein weiteres Element, das sich durch seine Operninszenierungen zieht, ist der Einsatz von auf die Bühne projizierten Chat-Protokollen der in ihre Smartphones tippenden Figuren. Das wirkt nun nicht mehr so originell wie noch im „Barbier von Sevilla“ vor ein paar Jahren.
Dass das inszenatorische Modernisieren von inhaltlich überholten Opernstoffen seine Grenzen hat, merkt man diesem „Figaro“ deutlich an. Bei allem Einfallsreichtum des Regisseurs, und auch wenn schon Mozarts und Da Pontes Sympathien auf der Unterbühne lagen, ist nicht dagegen anzukommen, dass der Komponist die tollste Musik für die Oberbühne geschrieben hat. Dem Eifersuchts- und Verlassenheitsmelodram der Almavivas wird mehr Gewicht verliehen als dem Drama des Machtgefälles zwischen den Klassen, das eine angedrohte Vergewaltigung rechtens macht.
Einfältiger Macho, smarte Susanna
Dabei ist der Inszenierung deutlich eingeschrieben, dass die Sympathiegrenze hier nicht zwischen Oben und Unten, sondern zwischen Frauen und Männern gezogen wird. Tommaso Bareas fast parodistisch angelegter Figaro kommt als so einfältiger Macho daher, dass es ein Rätsel ist, was Penny Sofroniadous smarte Susanna an ihm findet. Aber mit seinem dröhnenden Bass und ihrem klar und bestimmt geführten Sopran sind sie ein klangphysisch schönes Paar.
Klanglich ist der Abend überhaupt ein Fest. Das Ensemble ist nicht auf auf „mozartesk“ schlanke Stimmen gecastet worden, sondern auf kräftigere Organe, was nicht hundertprozentig zu jeder Rolle passt, aber insgesamt als Klangbild aufgeht. Vor allem müssen die Stimmen bestehen neben dem Orchester der Komischen Oper, das eine absolute Wucht ist, unter der Leitung von James Gaffigan auf einer eigenen Rolle im Drama besteht und einen Mozart musiziert, wie man ihn (heutzutage) sonst nicht hört.
Gaffigan hat jeden eingeübten klassischen Duktus aus der Musik vertrieben und lässt sich ganz von ihrem dramatischen, komödiantischen Potenzial leiten. Oft dramatisch aufschäumend, gern schwungvoll überpointierend, dann wieder zärtlich begleitend, fühlt dieses Orchester das Liebessuchen der Menschen auf der Bühne mit und treibt die verquere Handlung nach Kräften mit voran. Das ist musikantisch im allerbesten Sinne.
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