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Neue LernformBremen versucht Unterricht mal anders

Die Initiative zur neuen Form des Lernens ging von vier Müttern aus, die nicht mehr zusehen wollten, wie ihre Kinder die Lust an der Schule verloren.

Der Lehrer als Begleiter der Kinder: So sieht das Lernlust-Konzept in Bremen aus Foto: Hannes von der Fecht

„Der Frei Day ist super!“, sagt Lionel*, noch bevor sich die Erwachsenen hinsetzen können. In einem Klassenzimmer im ersten Stock der Oberschule an der Helgolander Straße startet einer von sieben Workshops der Veranstaltung „Tanzende Füße – Wie Lernlust gelingt!“. An einem Mittwochnachmittag Ende September hat hier das Bündnis „LernLust Bremen“ eingeladen, Ideen zu entwickeln, wie eine Schule aussehen kann, in die Kinder gerne gehen und in der sie gut lernen können.

Ein Beispiel ist der „Frei Day“, der an dieser Schule im Bremer Stadtteil Walle im Westen der Stadt bereits seit Anfang 2021 stattfindet. Lionel, ein weiterer Junge, sowie ein Mädchen aus der siebten Klasse erzählen im Workshop, was das bedeutet.

„Der Frei Day findet jeden Freitag statt und beinhaltet nach den ersten zwei Unterrichtsstunden, vier Stunden offenen Unterricht, wo wir uns mit einem Projekt beschäftigen“, erklärt ­Louise. „Aber vergiss nicht, „Logo“ zu erklären!“, unterbricht Lionel sie. „Das sind die Kindernachrichten von Kika, so können wir uns ein Thema für den freien Unterricht aussuchen, wenn uns nicht selbst etwas einfällt.“

Die Frei-Day-Projekte sind Gemeinschaftsarbeiten, bei denen alle Schülerinnen und Schüler klassenübergreifend Projektgruppen bilden. Alter oder Lernstand spielen keine Rolle. So sollen sie sich eigenständig auf die Suche nach Zukunftsfragen machen und Lösungen entwickeln, direkt in der Schule, in der Nachbarschaft und in der Gemeinde.

Ortsbündnis Lernlust will Neues versuchen

Während die drei Kinder reden, hören die Erwachsenen zu, manche machen sich Notizen. Sie kommen aus ganz Bremen, sind Eltern, Leh­re­r:in­nen oder einfach nur interessiert an dem, was hier passiert. Die meisten sind Frauen, eine Handvoll Männer, im Laufe des Nachmittags kommen immer mehr Kinder dazu.

Ver­an­stal­te­r:in­nen des Schulentwicklungstages sind vier Frauen, die vor anderthalb Jahren das Ortsbündnis Lernlust gegründet haben: Marie Weber, Sabine Kröger, Theresa Unger und Hilke Fröning – vier Freundinnen, die in Walle, einem ehemaligen Arbeiterstadtteil leben, wobei ihre Kinder nicht alle hier zur Schule gehen. Es habe sie frustriert zu sehen, wie ihre Kindern in der Schule die Lust am Lernen verloren hätten, erzählt Marie Weber, Mutter von drei schulpflichtigen Kindern zwischen sechs und 14 Jahren. Sie arbeitet als Diplompädagogin an einer Berufsschule.

Eine von ihnen habe die Initiative „Lernlust.jetzt!“ entdeckt, die sich laut ihrer Homepage für die Transformation des Bildungssystems engagiert. Diese soll von unten geschehen. Die Initiative begleitet und vernetzt die Ortsbündnisse. 96 gibt es bereits.

Die Bremer Veranstaltung ist eine der ersten ihrer Art. Aus dem Allgäu angereist ist dafür Corinna Sahl, geschäftsführender Vorstand der Initiative Lernlust.jetzt!, nebenbei internationale Konfliktforscherin und ­Familientherapeutin. Sie erklärt, wie sich ihre Initiative von politischen Vorhaben der Schulentwicklung unterscheidet. „Bei uns gibt es die Freiheit, sich in eine Richtung zu entwickeln die man braucht.“ Das gelte unabhängig von parteipolitischen Linien.

Neue Konzepte im Workshop entwickelt

Im Workshop erklärt Jan ­Vedder, Lehrer und Mitglied des Didaktik-Teams an einer Oberschule in der Region Hannover, zwei an seiner Schule entwickelte Konzepte: Theo und Lea. Theo steht für themenorientiertes Lernen – ein Konzept, das die Fächerstruktur weitgehend auflöst und den Unterricht sowie das Lernen von Themen und Perspektiven her denkt.

Lea ist die Kurzform für Lernentwicklungsaustausch – eine Rückmeldung zur Arbeit der Kinder in der Theo-Zeit. Schulentwicklung sei eine Grauzone, sagt Vedder, wo es gelte, sich zu trauen und Sachen einfach mal zurechtzumauscheln. „Machen ist wie wollen, nur krasser!“

*alle Namen der Kinder geändert

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6 Kommentare

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  • "klassenübergreifend Projektgruppen bilden"

    Guter Ansatz!

  • Was muss noch geschehen, um das Schulsystem als gescheitert zu erkennen ?

    Bei allem Föderalismus muss doch eigendlich der Staat Eingriffsmöglichkeiten und -verpflichtungen haben falls die Länder versagen, oder ?

  • Gem. Bildungsmonitor 2023 hat Bremen unter allen Bundesländern den besten Betreuungsschlüssel und schafft es dennoch in der Gesamtbewertung auf dem letzten Platz zu landen. Ohne grundlegende Fertigkeiten im Lesen und Rechnen, kann man letztlich auch kein selbstständiges Lernen entwickeln. Man bekommt das Gefühl, dass durch die anhaltenden Reformen und Ideen im Bildungsbereich nur zur Verschlechterung führen.

    • @unbedeutend:

      Öhm, die Fähigkeit zu selbständigem Lernen ist Menschen angeboren.

      Oder wie, glauben Sie, wurde das Schreiben und das Rechnen überhaupt erst erfunden?

      • @Ajuga:

        Tja, aber wenn man ein Schulsystem hat, dass Fehler drei- bis viermal so intensiv sanktioniert wie Korrekta dann macht man die natürliche Neugierde sehr effizient zu Nichte und schafft ein Klima der Versangensangst.

        Da aber genau diese Angst die Triebfeder unserer Politik ist, fügt sich das nahtlos ein.

  • Vielleicht sollte sich die Initiative mal in einer Waldorfschule umsehen, dort gibt es



    solche Ansätze schon immer, wie auch andere inzwischen von vielen Schulen übernommene Konzepte : Gesamtschule, keine Noten bis zur 8 Klasse, kein Sitzenbleiben, Themen- u. Projektarbeit (wie zB den Bau eines Lehmhauses), Gartenbau-



    Projekte (Veredelung von Obstbäumen), Praktika in ökologischen land- und forstwirtschaftlichen Betrieben etc.. Ich weiß - Steiner äußerte sich antisemitisch,



    genauso wie Wagner - deshalb hört heute ja auch keiner mehr seine Musik !