Neue Justizministerin in Thüringen: Von der Polizistin zur Ministerin
Am Mittwoch wird die Polizeihauptkommissarin Denstädt als Justizministerin vereidigt. Damit ist sie die erste schwarze Ministerin Ostdeutschlands.
Das sind Inseln, die sich entlang der Gera erstrecken, im Frühling kann es hier sehr romantisch wirken. Jetzt aber ist von dem Schnee am Morgen vor allem Matsch übrig, es ist kalt und feucht, selbst die Enten ziehen die Köpfe ein. Schnell wird klar, dass für Denstädt der Ort auch nicht wichtig ist, es geht um Eddi, den Hund. Oder besser: um Eddi und die beiden belgischen Schäferhunde, die im Auto warten. Denstädt musste die drei nach dem letzten Termin noch abholen, deshalb ist sie etwas spät dran.
Seitdem die Thüringer Grünen vor zweieinhalb Wochen verkündet haben, dass sie ihre beiden Ministerposten in der rot-rot-grünen Landesregierung von Bodo Ramelow neu besetzen werden, häufen sich bei Denstädt die Termine. Die 45-jährige Polizeihauptkommissarin wird in Erfurt neue Ministerin für Migration, Justiz und Verbraucherschutz – und damit die erste schwarze Ministerin in Ostdeutschland. In einem Land, in dem die AfD vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft wird und nach Umfragen größte politische Kraft ist, ist das ein starkes Signal.
Um die Personalrochade nach dem angekündigten Rücktritt von Umweltministerin Anja Siegesmund möglich zu machen, haben die Grünen Denstädts etwas blassen Vorgänger rausgeschmissen: Dirk Adams, der drei Jahre lang Minister und davor grüner Fraktionschef im Landtag war, musste gegen seinen erklärten Willen gehen. Auf einen „kraftvollen Neuanfang“ hofft die Spitze der Grünen nun – und der ist durchaus notwendig.
Die Grünen schrappen an der Fünfprozenthürde entlang
Turnusgemäß wird in anderthalb Jahren in Thüringen der Landtag neu gewählt, es dürfte ein polarisierter Zweikampf zwischen Ramelows Linken und der AfD von Björn Höcke um Platz eins werden, was es für die anderen Parteien besonders schwer macht. Laut Umfragen schrappt der kleine und zerstrittene grüne Landesverband an der Fünfprozenthürde entlang. Auf die neue Ministerin wartet also in mehrerer Hinsicht eine riesige Aufgabe.
Die Anfrage der Grünen sei auch für sie völlig überraschend gekommen, sagt Denstädt, die inzwischen an einem Ecktisch in einem kleinen Cafe sitzt. Vor ihr steht ein Milchkaffee, unter dem Tisch schnüffelt der Hund. Eine Nacht habe sie drüber geschlafen, dann zugesagt. Am kommenden Mittwoch wird sie vereidigt.
Dann muss sie unter anderem mit den Kommunen über die Unterbringung von Geflüchteten verhandeln, ein Landesamt für Migration aufbauen, den Justizapparat des Landes führen. Zu ihren Vorhaben will Denstädt noch nicht viel sagen: „Ich muss mir natürlich erst einmal die Situation im Haus anschauen.“ Aber sie habe auch eine klare Vorstellung davon, was sie diskutieren und angehen will.
Die Frage nach der Qualifikation
Die Zukunftshoffnung der Thüringer Grünen ist weder Juristin noch eine Expertin für Migrationsfragen, was die Frage aufwirft: Was qualifiziert sie für diesen Job? Die Frage sei durchaus berechtigt, sagt Denstädt und lacht, sie wird ihr nicht zum ersten Mal gestellt. Eine Juristin sei sie nicht, aber ganz fremd sei der Bereich für sie als Polizistin auch nicht.
Sie wisse, wie eine Behörde funktioniere, sei als Polizistin im Erfurter Norden Streife gefahren, habe ein Studium abgeschlossen, in der Polizeivertrauensstelle gearbeitet, einer Stabsstelle im Thüringer Innenministerium für Bürger*innen, die sich von der Polizei schlecht behandelt fühlen. Und: „Ich rede mit den Menschen auf Augenhöhe und kenne viele der Herausforderungen im Land.“
Dass sie ein kommunikativer Mensch ist, glaubt man ihr nach einer halben Stunde im Café sofort. Denstädt strahlt Präsenz und Selbstbewusstsein aus, 15 Jahre lang hat sie im Frauenteam des SSV Erfurt Oaks Rugby gespielt, bis die Schulter hinüber war. Sie wirkt offen und direkt, kann lustig sein und lacht auch mal laut. „Eine große Klappe“ bescheinigt sie sich selbst. Einmal hält sie inne und sagt: „Ich muss jetzt etwas mehr abwägen, ich spreche ja nicht mehr als Polizeihauptkommissarin des Innenministeriums, sondern als designierte Ministerin.“ Aber dann redet sie schnell weiter.
Nicht das „geborene Opfer“
Offener noch hat Denstädt im vergangenen Oktober in dem Podcast „Tupodcast“ über sich selbst gesprochen. „Ich bin nicht so das geborene Opfer“, sagt sie da und erzählt, dass sie auf dem Schulhof mal einen Jungen verprügelt habe, um ihm und anderen das auch ganz klar zu machen. Und weil sie es als schwarze Frau eh nicht allen recht machen könne, agiere sie so: „Ich mache es, wie ich denke.“
Außerdem, sagt Denstädt im Café und nimmt einen Schluck von ihrem Milchkaffee, gebe es ja nicht nur die Ministerin, sondern den gesamten Leitungsstab. Offiziell will sie sich zu Personalien noch nicht äußern, aber in Erfurt ist bekannt, dass mit ihr ihre bisherige Chefin in der Polizeivertrauensstelle als Staatssekretärin ins Ministerium wechseln soll. Die ist zwar Volljuristin, hat aber auch keine Erfahrung mit der Leitung eines Ministeriums. Das Ganze scheint durchaus ein risikoreiches Unterfangen zu sein.
Dass dabei eine Rolle spielt, dass sie eine schwarze Frau ist, ist Denstädt natürlich klar. Stört Sie, dass dieser Faktor so betont wird? „Nein, tatsächlich nicht“, antwortet sie. Aus der Mehrheitsgesellschaft hätten zwar manche darauf hingewiesen, dass man das nicht thematisieren müsse. „Aber so ist das ja nicht. Viele Leute, gerade auch die schwarze Community, kommen auf mich zu. Sie sind stolz und finden wichtig, dass es benannt wird.“ Aber es gibt, wie zu erwarten, war, Reaktionen voller Hass. Die Erfurter Polizei spricht von „einer Vielzahl von rassistischen und beleidigenden Kommentaren in den sozialen Netzwerken“ und hat Ermittlungen eingeleitet. Überrascht hat Denstädt das nicht.
Links oder rechts, eine Mitte gab es nicht
Denstädt ist Thüringerin durch und durch, sie ist in Saalfeld geboren und in Erfurt aufgewachsen, als schwarzes Mädchen in einer rein weißen Umgebung. „Das war in vielen Momenten überhaupt nicht einfach“, sagt sie. „Mich hat das gestört, aber damals wusste ich nicht, warum.“ Ihr Vater war zum Studium aus Tansania in die DDR gekommen, als er damit fertig war, musste er zurück. Mutter und Tochter aber blieben in Thüringen. Lieber als im Kindergarten war sie damals bei ihren Großeltern: „Angeln, Bootfahren und Pilze suchen und durch den Wald rennen, das war eher mein Ding.“
Bei der Wende war Denstädt zwölf Jahre alt, die von rechter Gewalt geprägten „Baseballschlägerjahre“ in den 90ern erlebte sie als Teenager. „Damals musste man sich entscheiden. Man war links oder rechts, etwas in der Mitte gab es nicht.“ Weil die Rechten was gegen Ausländer hatten, war klar, wo sie landete: „Mein Freundeskreis war links geprägt“, erzählt Denstädt.
Einige von ihnen seien Punks gewesen, sie selbst habe sich auch die Haare abrasiert, „sah aber eher nach Undercut als nach Iro aus“. Der Weg von Schule in die Sporthalle oder vom Jugendclub nach Hause, das sei „eine Zeit lang wirklich, wirklich nicht lustig“ gewesen. Manche Orte habe sie gemieden, immer habe sie jemand abends nach Hause gebracht. Tatsächlich sei ihr nie etwas passiert.
Warum als schwarze Frau bei der Polizei?
Ist das heute noch so, dass sie bestimmte Orte meidet? Denstädt zögert kurz. „Es gibt leider immer noch Orte, an denen ich mich nicht wohl fühle, obwohl ich in Thüringen geboren und aufgewachsen bin.“
In ihrer Clique sei klar gewesen, dass die Polizei böse ist, sie selbst aber habe keine schlechte Erfahrungen gemacht. Aber warum ging sie als schwarze Frau ausgerechnet zur Polizei, die immer wieder mit Rassismus und Rechtsextremismus von sich reden macht? Denstädt erzählt, wie sie nach der Schule nach Dresden ging, Bauingenieurwesen studierte, mit Anfang zwanzig zwei Kinder bekam und dann merkte, dass ein Job als Bauingenieurin mit ihrer Rolle als Alleinerziehende kaum zu machen sei. Mit Ende zwanzig habe sie sich bei der Polizei beworben, auch weil sie hoffte, dass dort viel Sport gemacht wird. „Und da hat man wenigstens feste Arbeitszeiten.“
Es folgen Ausbildung, Streifendienst als einzige schwarze Polizistin in Thüringen, 2021 die Abordnung in die frisch gegründete Polizeiberatungsstelle im Innenministerium. Sie begleitet Leute, die sich über die Polizei beschwert haben, führt Seminare zu „Polizei und Rassismus“ durch, arbeitet mit Jugendämtern und Verbänden zusammen. „Die haben uns als vertrauensvollen Partner anerkannt, zum Teil kann man sich da schon was drauf einbilden.“
Die AfD als Motivation, sich politisch zu engagieren
Politisch aktiv ist Denstädt erst spät geworden. Sie sei „eine große Verteidigerin des Grundgesetzes“, sagt sie. Als in Thüringen zwei Polizeibeamte für die AfD in den Landtag einzogen, habe sie das wirklich bewegt. Sie wird kommunalpolitisch bei den Grünen aktiv, 2021 tritt sie in die Partei ein, wird Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Innenpolitik und Vorsitzende des Erfurter Kreisverbands. Der Sprung ins Ministerinnenamt ist auch von hier aus groß.
Im Café zerrt Eddi längst an der Leine, „er hat Hunger“, sagt Denstädt, was wohl als klarer Hinweis zu verstehen ist, dass das Gespräch jetzt ein Ende finden muss. Dann will sie aber doch noch erzählen, dass sie auch Hundesport macht. „Unterordnung“ nennt man das. Bei der Landesmeisterschaft sei es nicht optimal gelaufen, was sich aber ändern soll. Denn für Denstädt ist klar: „Für die Hunde werde ich mir tatsächlich Zeit einplanen, auch als Ministerin.“
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