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Neue Hamburger SchulstudieTurbo-Abiturienten lernen mehr

Die Schulzeitverkürzung an Gymnasien führte nicht zu schlechteren Leistungen. Iin Englisch sind die Schüler sogar besser geworden.

Noch müssen Hamburger Schüler nicht in Turnhallen ausweichen: schriftliche Abiturklausur. Bild: dpa

HAMBURG taz | Die ersten Schüler, die 2011 das auf acht Jahre verkürzte Gymnasium (G 8) abschlossen, haben nicht weniger gelernt als frühere Schülergenerationen. In Englisch sind sie sogar fast ein Lernjahr voraus. Das ergibt die neueste Studie der Kess-Reihe, die der frühere Hamburger Schulbehördenstaatsrat Ulrich Vieluf am Dienstag vorstellte. Höhere Anforderungen führten keineswegs zu schlechteren Leistungen, folgerte SPD-Schulsenator Ties Rabe.

Und die sind gestiegen. Vergleichsgruppe für die bei „Kess 12“ getesteten Schüler sind Abiturienten des Jahres 2005, die für die damalige Studie „Lau 13“ die gleichen Tests abgelegt haben. Seither wurde die Wochenstundenzahl ab der 7. Klasse von 30 auf 34 erhöht, dafür fiel die 13. Klasse weg. Und 2009 wurde die „Profiloberstufe“ eingeführt, die das freiere Kurssystem ablöste. Oberstufenschüler müssen nun zwei der drei Hauptfächer Mathe, Deutsch und Fremdsprache auf „erhöhtem Niveau“ belegen.

42 Prozent wählten Mathe auf erhöhtem Niveau, während sich früher nur zwölf Prozent in einen Mathe-Leistungskurs wagten. Beim Fach Englisch stieg diese Zahl von 33 auf 77 Prozent. Beim direkten Vergleich schneiden die alten Leistungskurse besser ab. Aber der Vergleich ist schief, repräsentierten die damaligen Leistungskurse doch deutlich weniger Schüler als heute. Doch vergleicht man den durchschnittlichen Lernerfolg, zeigt sich in Mathematik kein großer Unterschied. Die 2005er Abiturienten waren bei der Grundbildung etwas besser, die 2011er dagegen besser bei der „voruniversitären Mathematik“.

Anders bei Englisch. Hier haben die heutigen Abiturienten fast ein Lernjahr Vorsprung. Kein direkter Vergleich lässt sich bei den Naturwissenschaften anstellen, wegen fehlender Daten aus 2005. Aber dies sei der Bereich, in dem die auch zu Beginn der 11. Klasse getesteten Schüler „am meisten dazugelernt haben“, sagte Vieluf. Er verglich auch die jeweils 500 Testbesten aus 2005 und 2011, also jene, die auch einen Leistungskurs gewählt hätten. Hier ergibt sich ein klarer Vorsprung des Kess-Jahrgangs in allen drei Fächern.

Die Sensation ist aber eine andere. Die Zahl der Abiturienten hat sich seit 2005 um ein Drittel auf 4.675 erhöht. Der Anteil der Kinder, deren Eltern weniger als hundert Bücher besitzen, hat sich von 13 auf 27 Prozent verdoppelt. „Die Studie räumt mit Vorurteilen auf“, sagte Rabe. „Es gibt deutlich mehr Abiturienten, obwohl das Niveau nicht gesunken ist.“ Die höhere Bildungsbeteiligung werde nicht durch leichtere Abschlüsse „erkauft“.

Nicht gefragt wurde nach weichen Kriterien, etwa der Frage, wie es den Schülern geht. Man habe bei Kess 12 die Frage weggelassen, weil sich bei Lau 13 die Abiturienten dadurch „nicht ernst genommen fühlten“, sagt Vieluf. Bei vorangegangenen Kess-Tests in den Jahrgängen 8 und 10 hätten Schüler aber schon gesagt, dass sie „G 8 auch als Stress erleben“.

Der Vorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft Klaus Bullan sprach von einer „reinen Leistungsstudie“, die nichts über den Stress der Familien aussage. Und Dora Heyenn von der Linken sagt, Rabe setze bei seinen Jubelmeldungen auf „Druckpädagogik“ und blende aus, dass die Jugendlichen kaum noch Freizeit haben. Die Grüne Stefanie von Berg sorgt sich um die noch nicht ausgewerteten Ergebnisse der Stadtteilschulen. Sollte sich der Positiv-Trend dort nicht abbilden, müsse der Senat dies „früh sagen und gegensteuern“.

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5 Kommentare

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  • A
    alex

    Der Vorsprung im Fach Englisch könnte natürlich auch etwas damit zu tun haben,dass die G8 Schüler bereits in der Grundachule Englisch gelernt haben wohingegen die Abiturienten von 2005 dieses in der Regel erst ab der 5. Klasse belegen konnten. De

    Sweiteren spielt die seit 2005 und den vorigen Jahren in denen die Schüler Englisch gelernt haben deutlich erhöte Bedeutung des Internets und der bessere Zugang zu diesem bestimmt auch eine wichtige Rolle.

    Ob die Verbesserung wirklich etwas mit dem neuen Schulsystem zu tun hat ist also zumindest fraglich.

  • VB
    Volker Birk

    Die Studie ist aussagelos, das Fazit hätten die Autoren so nicht ziehen dürfen.

     

    Einleitend stellt die Studie dar, dass das Teilnehmerprofil sich massgeblich gewandelt hat; Gerade über die Fächer, in denen eine wesentliche Verbesserung des G8-Jahrganges ("KESS") im Vergleich mit dem G9-Kurst ("LAU") konstatiert wird, nämlich in Englisch und Mathematik, wird einleitend berichtet:

     

    »Infolge der veränderten Belegauflagen, die u.a. mit der Einführung der Profiloberstufe einhergingen, haben sich die Kursbelegungen im Vergleich mit dem LAU-Jahrgang erheblich verändert. Belegten im LAU-Jahrgang 33 Prozent der Oberstufenschülerinnen und -schüler im Fach Englisch einen Leistungskurs, so waren es im KESS-Jahrgang 77 Prozent, die sich für einen Kurs auf erhöhtem Anforderungsniveau entschieden haben. In Mathematik waren es 12 Prozent der Oberstufenschülerinnen und -schüler des LAU-Jahrgangs, die einen Leistungskurs belegt hatten, während im KESS-Jahrgang 42 Prozent einen Kurs auf erhöhtem Anforderungsniveau wählten.«

     

    Im Fazit retten sich die Autoren dann auch mit:

     

    »Infolge der veränderten Belegauflagen, die sowohl in Englisch als auch in Mathematik zu einem erheblichen Anstieg der Kursbelegungen auf dem erhöhten Anforderungsniveau geführt haben, lassen sich die mittleren Lernstände und Leistungsverteilungen beider Kursniveaus nur bedingt miteinander vergleichen.«

     

    Das kann man wohl laut sagen, dass man Grundkurs Englisch oder Mathematik besser nicht mit Leistungskurs vergleicht. Trotzdem haben die Autoren genau das getan.

     

    Und auch die TAZ bringt die Ente.

     

    Wie singt Marc-Uwe Kling doch so treffend?

     

    "Und es ist auch schon passiert – dass jeder abgeschrieben hat und keiner hat recherchiert."

  • 2
    2F-Spieler

    Einerseits ist doch ein grundwissen viel wichtiger als ein universitäre vorwissen, aber viel interessanter finde ich die Frage ob bei der so gewaltigen Englisch verbesserung auch beachtet wurde, wann zum ersten mal Englisch unterichtet wurde. Bei meinem Abitur 2010 habe ich von der 5. bis zur 13. Klasse Englisch Unterricht gehabt und ein Jahr Englisch als Wahlpflichtfach in der Grundschule. Heute ist Englisch in der Grundschule selbstverständlich. Ich frage mich also ob nicht vielleicht sogar die Schüler_innen von 2005 ein Jahr weniger Englisch hatten als die Turboabiturienten…

  • H
    Humboldt

    "Der Vorsitzende der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft Klaus Bullan sprach von einer „reinen Leistungsstudie“, die nichts über den Stress der Familien aussage. Und Dora Heyenn von der Linken sagt, Rabe setze bei seinen Jubelmeldungen auf „Druckpädagogik“ und blende aus, dass die Jugendlichen kaum noch Freizeit haben."

     

    Der Artikel verbreitet endlich mal wieder gute Nachrichten. Und was das Zitat angeht: Das Leben ist kein Ponyhof, und Stress sollte zum Erreichen des hoechsten deutschen Schulabschlusses eigentlich selbstverstaendlich mit dazugehoeren. Viel schlimmer, dass vormals gute Abiturnoten ohne jeden Stress machbar waren; spreche da aus eigener Erfahrung.

  • T
    Teermaschine

    Wen wundert`s?

     

    Die 13te erinnern viele doch nur als diffuses Schaulaufen, aus dem man am Dienstag verkatert ernüchterte und spätestens am Donnerstag wieder versank.