Neue Erzählungen von Lydia Davis: Erotische Kassenstürze
Die Autorin Lydia Davis muss man einfach verehren. In ihrem nun übersetzten Erzählungsband „Es ist, wie's ist“ klickt es oft.
Meine Bewunderung ist das Problem; wahrscheinlich geht das anderen auch so. Man ist eingeschüchtert von diesen makellosen Geschichten der Lydia Davis, die einen Satz oder ein paar Seiten lang sein können, und das eigene Reden darüber kommt einem plump und aufdringlich vor.
Geholfen habe ich mir, abgesehen von der wiederholten Lektüre, mit Videos auf Youtube. Mit Lesungen, Preisverleihungen und einem sehr schönen Gespräch, das der dänische Kurator Christian Lund mit Lydia Davis im August 2014 auf dem Louisiana Literature Festival führte.
Außerdem, und das war vielleicht das Hilfreichste, habe ich auf dem Blog ihres Sohnes, Theo Cote, ein knapp einminütiges Video gefunden, das Lydia Davis, die für viele zu den bedeutendsten Erzähler:innen gehört, aus respektvoller Entfernung zeigt. Im Wald auf einem kleinen Erdvorsprung sitzend. Sofort dachte ich, dass das der richtige Abstand ist. Dass man näher nicht herangehen darf.
Sie trägt eine dunkle Hose, Daunenjacke und ein Barett, beides in Violett, einer Farbe, die sie offensichtlich mag. Es muss ein kalter Frühlingstag gewesen sein; man hört den Wind in den jung ausschlagenden Bäumen. Die Dichterin sitzt sehr gerade, die Hände seitlich abgestützt.
Lydia Davis: „Es ist, wie’s ist“. Aus dem Amerikanischen von Klaus Hoffer. Droschl, Graz, Wien 2020. 167 Seiten, 22 Euro
Dann schaut sie nach oben und lehnt sich etwas zurück. Nicht weit, aber doch so, dass man merkt, etwas geht in ihr vor. Es ist, als würde Lydia Davis in einer Geschichte von Lydia Davis auftreten. Was sie, ohne Namen zu nennen, immer wieder tut.
Wie teuer ist eine Affäre?
Eine Frau freut sich darauf, im Alter komische Kleider zu tragen. Sie ist in ihren „früheren mittleren Jahren“ und nimmt, während sie neben einem Freund auf der Parkbank sitzt, Jahrzehnte vorweg und wieder zurück. Eine andere (oder dieselbe) Frau denkt darüber nach, ob sie ihr Mann, während sie auf ihn gewartet und er angerufen hat, um ihr zu sagen, dass er noch zu tun habe, betrogen hat.
Sie denkt darüber nach, ob sie es jemals wissen kann, ob er sie betrogen hat oder nicht. Ob er in der Lage ist, sie zu betrügen, „nach der Tat im Darüber-Reden“. Ein Mann berechnet die Kosten für zehn Tage Affäre und kommt zunächst auf 100 Dollar pro Fick. Der Mann findet, dass sei teuer, doch mit jedem Satz löst sich die Rechnung weiter auf.
„Es ist, wie’s ist.“ So heißt dieser erotische Kassensturz; es ist zugleich der Titel des Buchs. Im Literaturverlag Droschl und in der Übersetzung von Klaus Hoffer ist es gerade erschienen. Die Originalfassung ist bereits 1986, und zwar unter dem Titel „Break it Down“ publiziert. Sie brachte Lydia Davis auf die Shortlist des „PEN Hemingway Award“. 1976 hatte sie mit „The Thirteenth Woman, and Other Stories“ als Erzählerin debütiert. Aber das zu wissen ist vielleicht gar nicht wichtig.
Wege eines Gefühls erforschen
Die Geschichten sind unempfindlich gegen die Chronologie und gegen das Altern. Das hat mit ihrer Geschlossenheit zu tun, mit der Zeit, die diese Erzählerin braucht, um den Weg eines Gedankens oder eines Gefühls, einer Beobachtung zu erforschen. „Die Leute wussten nicht, was sie wusste: dass sie in Wahrheit keine Frau war, sondern ein Mann, oft ein dicker, aber wahrscheinlich öfter noch ein alter Mann.“
Mit jeder Lydia-Davis-Zeile ist man in einem Jetzt, gleichgültig ob das Verb in die Vergangenheit weist oder auf die Zukunft spekuliert; und diese Gegenwart ist aufregend und interessant wie ein echtes Geheimnis. „It clicks“, sagte Lydia Davis im Gespräch mit Christian Lund. Wenn eine Geschichte richtig zusammengesetzt sei, passiert es, paradoxerweise ohne dass jemand sagen könnte, wie.
Sie selbst hat das Geheimnis an Kafka und Beckett studiert, an den Dichtern, in deren Texten sie, so Davis, niemals auch nur einen einzigen Satz gefunden habe, der nicht gut ist. Sie empfiehlt ihren Studenten, sich Kafka-Sätze aufzuschreiben und alles an ihnen ganz genau zu untersuchen. Die Adjektive. Die Verben. Wie ist der Satz gebaut? Wie ist der Klang der Wörter?
Lust an der Form und am Denken
Bevor sie angefangen hat zu schreiben, studierte sie Geige und Klavier. Sie hat eine Zeit lang in Frankreich gelebt, zusammen mit ihrem ersten Mann, Paul Auster. Sie hat Proust und maßgeblich „Madame Bovary“ von Flaubert übersetzt und dafür den französischen Orden „Chevalier des Arts et des Lettres“ erhalten. Sie glaube nicht daran, sagte sie auf einer Lesung an der University of California, dass man durch das Schreiben Gefühle loswerden könne. Man könne sie nur in eine Form bringen, die einem gefällt.
Dieses Vergnügen, diese Lust an der Form und am Denken könnten einem zuerst einfallen. Dazu kommt wahrscheinlich so eine Art absolutes Gehör. Jedenfalls kann man der Autorität dieser Erzählerin – und jetzt würde ich fast sagen – „blind“ vertrauen.
Mit Männern auf der Bühne
Sie selbst spielt ihren Ruhm herunter und mag, wie sie in einem Interview sagte, keine Hierarchien. Ihre Geschichten verdanken sich in den meisten Fällen alltäglicher Anschauung; ein Satz wie „Ich kann nicht allein leben“, unüberhörbar ausgesprochen von einer Frau am Nachbartisch eines Restaurants, ist unwiderstehlich. Wenn sie mit Männern auf der Bühne sitzt, erröten diese manchmal und strengen sich an, ihr zu gefallen.
Nach dem öffentlich zugänglichen Bildmaterial zu urteilen, besitzt sie kein Kleid. Als sie 2013 die Dankesrede für die Verleihung des Man Booker International Prize hielt, hatte sie eine graue Strickjacke an und ein einmal um den Hals gewickeltes Seidentuch in sehr dunkel changierendem Rosa. Schon das Finale erreicht zu haben sei eigentlich genug gewesen, sagte sie, und dass sie wirklich überrascht sei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!