Neue Erzählungen von Lauren Groff: Wenn die Situation kippt

Hurrikans und Mutterschaft, Sex, Angst und Wut: US-Autorin Lauren Groff hat den Erzählungsband „Florida“ veröffentlicht.

Eine Frau steht auf den Trümmern ihres vom Hurrikan zerstörten Hauses

Nicht immer halten die Häuser stand: Florida, im August 20014 Foto: reuters

Wut, das ist eine Eigenschaft, die die 1978 geborene US-amerikanische Autorin Lauren Groff in ihrem zuletzt erschienenen, auch hierzulande erfolgreichen Roman „Licht und Zorn“ über eine langjährige Ehe ihrer weiblichen Figur zuschrieb, der Ehefrau Mathilde. Auch in ihrem neuen Erzählband, „Florida“, ist Wut eine treibende Kraft – allerdings vermischt mit vielen anderen Facetten einer angespannten Beunruhigung, die ihre meist weiblichen Figuren erfasst.

Und wie ein vielgestaltiger, vibrierender Resonanzraum dieser Getriebenheit erscheint hier die Natur Floridas, Schauplatz der meisten Geschichten des für den National Book Award 2018 nominierten Bandes.

In „Auge in Auge“ offenbart die Natur ihre Unbändigkeit, aber auch ihre Schönheit. Alle Warnungen ignorierend, bleibt die Icherzählerin in ihrem Haus, verbarrikadiert sich, so gut es geht, gegen den kommenden Hurrikan. Den Nachbarn verabschiedet sie mit einem Papstsegen, der Sturm wird ihn kurz darauf „wie ein riesiger Lappen von der Straße wischen“.

Bleibt sie aus Trotz? Will sie es drauf ankommen lassen? „Na los, rief ich, versuch’s doch! Oder vielleicht, nur vielleicht, war auch das etwas in meinem absurden Leben, das ich nur flüsterte.“

Ein Motiv, das Lauren Groff mehrfach aufgreift, mal wie en passant streift oder aber schmerzlich konkret auserzählt, ist die Latenz männlicher Gewalt gegen Frauen

Unterdrückte Empfindungen schaffen sich Raum, Lebenslügen werden offenbar angesichts der existenziellen Bedrohung. Geliebte Tote tauchen auf: ihr viel älterer Mann, der die Beziehung beendete; ein früherer Geliebter, und dann setzt sich ihr Vater zu ihr auf den Badewannenrand. Mal kon­trastiert Groff das rasende Draußen mit zerbrechlichen Momenten von Nähe und Trauer im Inneren des Hauses. Dann erscheint Ersteres wie eine Verkörperung der lange unterdrückten Wut der Erzählerin.

Ein paar erschöpfte Gürteltiere

Am Ende hat ihr Haus, stark beschädigt, standgehalten. Sie hat einen Moment absoluten Alleinseins erlebt und überstanden – eine Erfahrung, die die Autorin in fast jeder der Erzählungen ganz explizit formuliert. Vögel haben im Wintergarten Platz genommen, dazu „ein paar erschöpfte Gürteltiere“, die Grenzen zwischen vermeintlicher Zivilisation und Natur sind bei Groff oft durchlässig. Vor der Tür herrscht Verwüstung, und doch: „Draußen, wo die Vortreppe gewesen war, knapp vor dem Abhang: ein Ei, stumm und unversehrt, in seiner Schale das ganze Licht des frühen Morgens.“

Lauren Groff: „Florida“. Erzählungen. Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs. Hanser Berlin, München 2019. 288 Seiten, 22 Euro

Solch zarte und zugleich eindrückliche Bilder sind eingebettet in einen oft lakonischen, lässigen Ton. Etwa wenn die Icherzählerin, Mutter zweier Söhne, in „Geister und Leerstände“ ihr Verhältnis zu anderen Müttern treffsicher so auf den Punkt bringt: „Aber meistens bekam ich die Mütter aus meinem Bekanntenkreis nur flüchtig zu Gesicht, wenn sie krumm wie Schäferhaken den Boden nach winzigen Legosteinen, halb zerkauten Weintrauben oder den Menschen, die sie einmal waren, absuchen, zusammengesackt in einer Ecke.“

Mutterschaft ist ein wiederkehrendes Thema der Autorin, die selbst zwei Söhne hat. Ihre Icherzählerin, Protagonistin mehrerer Geschichten, verweigert sich den automatisch an ihr Geschlecht geknüpften Erwartungen, die sie als „Beleidigungen“ empfindet; so auch der klassischen Mutterrolle.

Daraus resultieren neben Wut auch Zweifel und Angst. Feinfühlig beschreibt Groff das Netz ambivalenter Empfindungen. Sie erschafft berührende und dichte Szenen von Nähe, vor allem zwischen der Mutter und ihren Söhnen.

So in der „Mitternachtszone“, wo die Erzählerin in einem einsamen Ferienhaus schwer stürzt; draußen streicht ein Puma umher, ihr Mann ist unterwegs. Nun müssen sich die beiden Jungen um die Mutter kümmern. Unverbrüchlich scheint hier die Sorge umeinander, die Liebe zueinander wie ein Gegenpol zu Angst und Verunsicherung. Letztere Empfindungen, so legt Groff nahe, zeigen sich in derlei Extremsituationen zugespitzt, sie sind im Leben ihrer Figuren aber immer präsent.

Er legt die Hand auf ihr Bein

Wut und Angst verbinden sich in einem weiteren Motiv, das Groff mehrfach aufgreift, es mal wie en passant streift oder aber schmerzlich konkret auserzählt: die Latenz männlicher Gewalt gegen Frauen.

In „Salvador“ macht eine Frau allein Urlaub. Ein Ladenbesitzer beobachtet sie auf ihrem Balkon: „Er hatte die Lippen leicht geöffnet, und seine Zunge stieß immer wieder schnell in den Spalt zwischen den beiden vorderen Schneidezähnen, rosa, feucht und lüstern. […] Sie fühlte sich mies.“ Sie meidet ihn, doch als sie in ein gefährliches Unwetter gerät, hilft er ihr – um dann seine Macht gegenüber der Verletzten auszuspielen.

„Als er zurückkam, legte er die Hand wieder auf ihr Bein und wanderte mit jedem Mal ein Stück weiter hoch. […] Als er ihr Knie erreichte, ertastete er die frische, feuchte Wunde dort, und ohne es zu wollen, sog sie zischend Luft ein, und das stieß etwas in ihm an.“ Groff geht es um die Möglichkeit des Umschlagens einer Situation; Situationen, die sie an anderen Stellen als noch alltäglicher zeichnet.

„Florida“ ist ein an gegenwärtigen Themen reicher Erzählband, dessen vielschichtige (Frauen-)Figuren und facettenreiche Sprache Lauren Groff als eine tolle Geschichtenerzählerin ausweisen.

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