Neue Elends-Bekämpfung in Hamburg: Sanfter Druck auf störende Obdachlose
In Hamburg planen SPD und Grüne Streifen mit Sozialarbeitern und Ordnungskräften, die Obdachlose in Einrichtungen „begleiten“. Die Linke warnt davor.

Besonders an „sensiblen Orten“ wie etwa dem Spielplatz St. Georgs Kirchhof oder weiteren Plätzen vor Kitas und Schulen, aber auch auf dem öffentlichen Hansa-Platz sollen diese Teams erscheinen. So eine Zusammenarbeit von Sozialarbeit und Ordnungskräften kann das Vertrauen erschweren und ist fachpolitisch umstritten.
Der Antrag für die „Sozialstreifen“, wie der NDR sie titulierte, wurde mit Stimmen von SPD, Grünen und FDP verabschiedet. Sie taten dies vor dem Hintergrund, dass in diesen Tagen in der Repsoldstraße 27 in der Nähe des Hauptbahnhofs eine große Hilfeeinrichtung ihre Pforten öffnet, mit der die Stadt das Elend im Quartier in den Griff bekommen möchte.
In dem ehemaligen Bürohaus mit 6.500 Quadratmetern Fläche direkt neben der Drogenhilfeeinrichtung Drob Inn stehen seit September 30 Notschlafplätze für Obdachlose bereit; weitere Angebote wie Beratung, medizinische Versorgung. und tagesstrukturierende Angebote sollen folgen.
Kontrolldienst kann mehr Druck machen
Der Vorsitzende des SPD-Fraktion in Mitte, Oliver Sträter, sieht hier neuen Handlungsbedarf: „Wir haben seit langer Zeit in den Quartieren St. Georgs ein starkes Aufkommen von Menschen, die offen Drogen konsumieren“, sagt er zur taz. Gleichzeitig habe man mit dem Drob Inn und der Repsoldstraße gute Angebote. Doch es gebe eine kleine Regelungslücke bei der Frage, wie die Menschen dorthin kommen. „Insbesondere, wenn es um offenen Drogenkonsum vor einer Kita geht, finden wir es angemessen, mit sanftem Druck dafür zu sorgen, dass der Drogenkonsum nicht dort stattfindet“, sagt Sträter.
Die neuen Streifen sollen dem Antrag zufolge „durch sichtbare direkte Ansprache zur Entlastung der Wohnquartiere“ beitragen. Bereits vor zwei Jahren wurden am Hauptbahnhof spezielle „Sozialraumläufer“ eingeführt, das sind Security-Kräfte in roten Jacken. Doch diese arbeiteten nur in einem sehr engen Radius um den ZOB und den Hauptbahnhof, sagt Sträter. Zudem weiche die Zielgruppe aus, wenn am Bahnhof der Kontrolldruck erhöht werde.
Die Sozialraumläufer hätten nur Jedermannrechte und könnten sagen: „Geh da mal weg“. Der bezirkliche Kontrolldienst, der 2021 im Bezirk wieder eingeführt wurde und etwa für Kontrollen auf Veranstaltungen und in der Gastronomie zuständig ist, habe mehr Kompetenzen, sagt Sträter. Entscheidend sei, dass die Menschen erreicht würden, ergänzt die Grünen-Fraktionschefin Julia Brinkmann. Gleichzeitig entlaste man Kitas und Spielplätze und stärke das Wohlbefinden von Eltern und Kindern in St. Georg.
Fachverbände warnen vor Vertrauensverlust
Hamburgs Sozialbehörde wird nun gebeten, mit dem Bezirksamt Mitte die nötigen Ressourcen bereitzustellen und ein Konzept vorzulegen. Sträter geht davon aus, dass der bezirkliche Kontrolldienst aufgestockt werden müsste.
Fachpolitisch ist dieser Vorstoß umstritten. Der Antrag passt gut in das 35-seitige Konzept der Sozialbehörde für Straßensozialarbeit vom Mai, das von den Straßensozialarbeitern eine „verbindliche Zusammenarbeit mit den Ordnungs- und Sicherheitsbehörden“ fordert und mehr beharrliche Ansprache und schnelle Lebenslagenveränderung verlangt.
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Streetworker warnte daraufhin vor dem Verlust fachlicher Standrads. Denn in der Straßensozialarbeit seien Prinzipien wie Freiwilligkeit, Parteilichkeit und Vertraulichkeit „keine optionale Haltung, sondern professionelle Notwendigkeit“. Auch die Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (AGFW) warnte, dass Vertrauensverhältnis zu den Betroffenen nehme Schaden.
Die Linke befürchtet weitere Verelendung
Gegen den Antrag in Mitte stimmte die Linksfraktion. „Es ist der falsche Weg, wenn man mit Druck arbeitet und die Straßensozialarbeit mit Ordnungskräften zusammen auftritt“, sagt die Linken-Fraktionsvorsitzende in Mitte, Nora Stärz. Ihr sei auch nicht klar, welche Kompetenzen genau der Kontrolldienst habe. „Ich befürchte eine noch stärkere Verelendung rund um die Wohnviertel direkt an Drob Inn und Repsoldstraße und eine Verdrängung in andere Stadtteile.“
„Gemischte Präsenzstreifen sind kein soziales Konzept“, sagt auch die Linken-Bürgerschaftsabgeordnete Olga Fritzsche. „Die Idee, Leute in Bewegung zu halten, die keinen Ort haben, wo sie hin können, löst kein Problem. Sie schafft welche“, sagt Fritzsche. Nötig seien mehr Stellen in der Straßensozialarbeit und zusätzliche Wohnangebote.
Brinkmann dagegen versichert: „Uns Grünen geht es gerade nicht um Verdrängung, sondern um echte Entlastung im Quartier, für Konsument*innen genauso wie für Anwohnende.“
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