Neue Elektroalben vom Rhein: Drei Farben Cologne

Was wurde aus Kölsche Techno? Die neuen Werke von Labelbetreiber und Musiker Michael Mayer, GAS und Superpitcher geben Aufschluss.

Der Kölner Fernsehturm

Schöne Farben in Köln – nicht nur im Club Foto: dpa

Es halten sich ja bis heute Zuschreibungen an Städte, was die Charakteristika elektronischer Tanzmusik und deren Ausdrucksformen an den jeweiligen Orten betrifft. Während in Berlin härtere und dubbigere Gangarten von Techno zu Hause sind, in Hamburg durch die Nähe zum Pudelclub das Dandyeske beheimatet ist und in Frankfurt die Rampensäue unterwegs sind, steht Köln seit jeher für poppigere, gar romantische Entwürfe. Dafür zeichnet vor allem das Label Kompakt verantwortlich. Die Protagonisten hinter Kompakt würden diese Zuschreibung allerdings in Zweifel ziehen.

Es ist allerdings schwer von der Hand zu weisen, dass Kölner Partys wie „Total Confusion“ – ein Abend, der von Kompakt-Co-Chef Michael Mayer zusammen mit seinen Kollegen Tobias Thomas und Aksel Schaufler alias Superpitcher 1998 ins Leben gerufen wurde – stilprägend waren und dies auch sein wollten. Nach dem Sell- und Burn-out von Techno Ende der 90er, als der Riesenhype um die Love Parade und ihre sogenannte Raving Nation verglüht war und dann allerorten Katerstimmung einsetzte, standen die drei und ihre Kompakt-Kollegen für einen Rückzug vom Mainstream. Gemeinsam war man dem Pop zugetan, aber auch zum Beispiel der Ära der Romantik in der E-Musik.

Auf „Immer“, einem 2002 erschienen Mix von Michael Mayer, der bis heute gewürdigt wird, fand sich in dem Stück „Phantom/Ghost – Perfect Lovers (Unperfect Love Mix)“ von Tobias Thomas und Superpitcher neben den Originalspuren auch ein Sample von Gustav Mahler. Ein Sound, der nicht auf Effekthascherei und permanente Ekstase aus war, sondern alle Ecken der Emotionspalette ausfüllen sollte.

Auf „Immer“, genauso wie auf den beiden Nachfolgern der „Immer“-Trilogie („Immer 2“ erschien 2006, Nummer 3 im Jahr 2010), schaffte es Mayer hierbei nicht nur, die Stimme einer Generation von Tänzern zu sein, sondern gleichzeitig einen Überblick über eine deutsche (und Kölner) Subkultur zu schaffen.

Als die „Raving Nation“ passé war und Katerstimmung einsetzte, standen die drei für einen Rückzug vom Mainstream

Nun, 15 Jahre später, erscheint beim Berliner Label !K7 ein neuer Mix von Michael Mayer. Für die weltweit geachtete Reihe „DJ Kicks“, die schon von allen Großen der Szene bespielt wurde, ließ sich Mayer ganz kokett mit Schwarz­wälder Trachtenhut ablichten. Der sogenannte Sound of Cologne wurde maßgeblich geprägt von zwei Schwarzwäldern und einem Ulmer. Auch heute noch gibt es bei Kompakt diesen Bezug. „Wobei bei uns der Anteil der Schwaben schon immer höher war als der der Badener“, juxt Michael Mayer im Kölner Stadtgarten beim Interview. „Ich habe aber seit der Kindheit einen Fimmel für Bollenhüte. Wie sagt man so schön: ‚You can take a man out of the Black Forest, but you can’t take the Black Forest out of a man.‘“ Diese Stimmung spiele eine wichtige Rolle in seinem Seelenleben.

Als Vorbereitung auf den Mix habe er sich mit seiner eigenen mystischen Seite auseinandergesetzt. Für Mayer steckt der Schwarzwald voller „Twin Peaks-artigem“ und „Psychedelischem“. Dies will er in seinem Mix ergründen. Dafür hat er eine ganze Reihe an Künstlern zusammengetrommelt, die jedoch eher nicht dem Techno-Spektrum zuzuordnen sind, sei es der norwegische Nu-Disco-Produzent Prins Thomas und die britische Industrial-Music-Band Throbbing Gristle (hier in einem Ratcliffe-Remix). Auch der Beat ist kaum technoid „Four to the Floor“ (4/4-Takt), stattdessen wird lasziver Disco in verschiedenen Ausformungen gefrönt. „Als DJ spiele ich zwischen den Stühlen. Ich bin kein klassischer Techno-DJ.“

Ob es da nicht auch Probleme geben könne in der meist doch wichtigen Zuordnung zu einem Genre? Mayers lapidare Antwort: „Ich pfeife auf Genregrenzen. Lieber erzähle ich eine interessante Geschichte – mit allen verfügbaren Mitteln!“ Das könnte glatt das Motto seines Labels sein, das sich seit jeher breiter aufgestellt hat als vergleichbare Labels im Bereich der elektronischen Tanzmusik.

Ein Blick zurück

Um schnelle Trends ging es in der Kölner Zentrale selten. Meist sah man sich als „Ideengeber von außen“; was auch in kritischen Phasen, wie der Rezession 2008/09, als viele andere Labels ihren Betrieb einstellten, das Boot auf Kurs hielt. Fast hat es den Eindruck, als behandle Michael Mayer seine Arbeit für Kompakt gleichermaßen, wie er einen DJ-Mix montiert; als würde er einen Geheimplan verfolgen. Und dieser Plan hat unter Umständen nur noch begrenzt mit Deutschland im Allgemeinen oder Köln im Speziellen zu tun.

Dafür lohnt noch mal ein Blick zurück: „Als ich mit ‚Immer‘ angefangen habe – und einen DJ-Mix für das Label des Londoner Clubs Fabric zusammengestellt habe –, gab es in Köln eine enorme kreative Explosion.“ Diese war in England noch gar nicht rezipiert worden. Doch was hat sich geändert? „Nach dem Love-Parade-Hype hat sich die hiesige Techno-Szene eigene Nischen geschaffen. Das war wichtig. Diese Pfade sind jedoch breit ausgetreten. Wenn ich den Fokus noch mal darauf gesetzt hätte, dann wäre kaum etwas Überraschendes dabei herausgekommen. Mir war wichtiger, in mich reinzuhören.“ Auf gleiche Weise agiert Mayer, wenn er eine Krauttechno-Boygroup wie die beiden Niederländer Weval unter Vertrag nimmt. „Vieles klingt mir momentan zu perfekt und zu brav. Zu hart. Als Reaktion krame ich das Spielerische der Achtziger hervor. Unsere Musik soll organischer klingen als der Rest.“ Wenn Mayer in die Vergangenheit blickt, meint er damit interessanterweise vor allem die zukünftige Ausrichtung.

Aus dem Hause Kompakt kam dabei zuletzt noch mehr: Auch Wolfgang Voigt, der andere Labelchef, widmete sich, unter seinem Ambient-Alias GAS der Vergangenheit. 17 Jahre sind seit dem letzten Album „Pop“ vergangen; nun meldet er sich mit „Narkopop“ zurück. Wie schon bei den Vorgänger-Alben ist das große Thema für Voigt der deutsche Wald. Mit all den eingeschriebenen Konnotationen – von der Romantik bis hin zur Naturrhetorik. Auf „Narkopop“ stellt Voigt seinen eigenen Wald vor, den er als Kind begeistert bewandert hat. Die Parallelen zu Mayers Arbeit sind offensichtlich, auch wenn die Wahl der Mittel (hier düstere Ambient-Ästhetik, da Disco-und-Clubsounds) kaum unterschiedlicher sein könnte. Man zieht an einem Strang, sucht die Mystik, die Sinneserweiterung, das Erzählenswerte. Voigt baut dafür eine neblige Wand aus Sounds und Samples, die er gekonnt zu mächtigen neuromantischen Kompositionen verfremdet und montiert.

Ganz anders – und vielleicht aber doch ähnlich – sieht es der alte Kompakt-Weggefährte Superpitcher in Paris. Die französische Hauptstadt ist mittlerweile Wohnsitz von Aksel Schaufler. 2015 hat sich der gebürtige Ulmer nach fast 20 Jahren aus seiner Wahlheimat Köln verabschiedet, in der Folge entstand ein neues Album. Es galt die neuen Lebensumstände und Einflüsse zu verarbeiten. Superpitcher, der durch seine Kooperationen mit Mayer (als SuperMayer), aber auch mit Hippie-Dance-Label-Co-Chef Rebolledo (als Pachanga Boys), bekannt wurde, setzte für sein neuestes Werk auf künstlerische Isolation.

Zwölf Monate, zwölf Maxisingles

Superpitcher selbst bezeichnet das als Experiment und Meditation. „Ich habe mir einen leeren Raum und eine weiße Leinwand vorgestellt. Und plante einen Zeitraum von vier Wochen für die Aufnahmen. Mein Ziel: jeden Tag ein neues Stück aufnehmen und nicht weiter darüber nachdenken. Dadurch hat sich eine Art Rauschzustand entwickelt und mein Sound wurde von Tag zu Tag abenteuerlicher.“

Michael Mayer: „DJ Kicks“ (!K7/Indigo); GAS: „Narkopop“ (Kompakt/Rough Trade); Superpitcher: „The Golden Rave Days“ (Kompakt/Rough Trade)

Man könnte das auch einen positiven Studiokoller nennen. Dabei ist ein Werk besonderen Ausmaßes entstanden. Verteilt auf zwölf Maxisingles mit je zwei Stücken (jeden Monat kommt eine neue; wir befinden uns gerade bei Nummer 6) entsteht im Sammelprozess etwas Neues. „The Golden Ravedays“ steht dabei auch als Gegenentwurf zur Verwertungskette, die Album an EP an Album reiht und nur im Hype ihren Bestand sichert. Hier bleiben nun zwölf Monate Zeit, um sich mit dem Werk auseinanderzusetzen. Zeit ist auch in den Stücken selbst ein Thema; 10 bis 17 Minuten dauern die Tracks.

Wo bleibt da die Dance-Kompatibilität? „Ich habe versucht, die Dancefloors dieser Welt auszublenden. Es geht gegen meine Überzeugung, über Publikum oder einen bestimmten Markt nachzudenken, wenn ich Musik kreiere. Diese neuen, noch längeren Stücke sehe und höre ich als Kompositionen. Oder Soundgeschichten.“

Die Geschichte des „Sound of Cologne“, dieses Begriffs, den keiner der drei Produzenten annehmen will, muss also umgeschrieben werden. Anscheinend ging es in der Stadt nie um spezifischen Sound, sondern um Geschichten, die Allgemeingültigkeit auf und neben dem Dancefloor besitzen. Und diese Geschichten sind sowohl in durchgehender Mix-Form, als Album oder verteilt auf zwölf Platten verteilt, mehr als hörenswert.

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