Neue EU-Richtlinie zu Asylsuchenden: Flüchtlinge landen hinter Gittern
Eine geplante Aufnahmerichtlinie der EU erleichtert es, Asylbewerber zu inhaftieren. Auch Deutschland will sie in Brüssel jetzt durchwinken.
BRÜSSEL/BERLIN taz | Mit einer E-Mail-Aktion wendet sich die deutsche Menschenrechtsorganisation Pro Asyl seit einem Monat an die 99 deutschen Abgeordneten im EU-Parlament. „Stellen Sie sich vor, Sie müssen fliehen“, heißt es in dem Anschreiben. „Doch an der Grenze werden Sie sofort festgenommen.“
Mehr als 8.000 Unterstützer haben bereits eine solche Mail an einen EU-Parlamentarier geschickt. Pro Asyl will die deutschen EU-Parlamentarier davon überzeugen, gegen die geplante neue Aufnahmerichtlinie zu stimmen. Diese würde es europaweit erleichtern, Asylsuchende über Monate hinweg in Gefängnissen wegzusperren.
Griechenland hat erst im Oktober 2012 verfügt, dass Flüchtlinge, die an seiner Grenze aufgegriffen werden, dort bis zu zwölf Monate lang inhaftiert werden können. Auch auf Malta und in Ungarn werden Flüchtlinge systematisch weggesperrt. Selbst Schweden kennt viele Gründe, Flüchtlinge ins Gefängnis zu stecken.
In 12 der 27 EU-Staaten ist es derzeit erlaubt, Asylbewerber während ihres Verfahrens zu inhaftieren. Das steht in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei, die der taz vorliegt. Diese Staaten haben – mit Unterstützung Deutschlands – nun durchgesetzt, dass europaweit rechtlich abgesichert wird, was bei ihnen schlechte Praxis ist.
Karl Kopp, Europareferent bei Pro Asyl, spricht deshalb von einem „Dammbruch“ und einem „Kompendium der Schäbigkeiten“. Das komme „einem Freibrief zur willkürlichen Inhaftierung Schutzsuchender gleich“, findet Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Links-Fraktion im Bundestag. „Statt deutlich höhere Standards zu setzen, wird der niedrigste Standard zum Gemeingut erklärt.“ Beide fordern ein „Verschlechterungsverbot“, um zu verhindern, dass bislang relativ liberale EU-Staaten den neuen, harten EU-Regeln folgen müssen. Bisher gibt es auf EU-Ebene keine Vorschriften für die Haft von Asylsuchenden. Einige Mitgliedsländer haben das als Einladung betrachtet, ihre Flüchtlinge über Monate ins Gefängnis zu werfen.
Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland ist im vergangenen Jahr gestiegen. 64.539 Erstanträge auf Asyl wurden 2012 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellt - 41 Prozent mehr als im Vorjahr, teilte das Bundesinnenministerium am Dienstag mit. Rund ein Drittel der Asylsuchenden kamen demnach aus Serbien, gefolgt von Afghanistan, Syrien und dem Irak.
Bundespräsident Joachim Gauck forderte dazu auf, dies als Chance zu begreifen. „Wir brauchen offene Türen für Verfolgte“, sagte der Bundespräsident. „Nicht nur wegen unserer Verfassung und unserer Geschichte, sondern auch aus ökonomischen Gründen“. (dapd)
Großzügige Ausnahmen
Vor acht Jahren beschloss die EU, ihre Asylverfahren zu vereinheitlichen. Doch die Inhaftierung gehört damit nicht der Vergangenheit an, im Gegenteil: Tritt die neue Aufnahmerichtlinie in Kraft, würden damit europaweit sechs Haftgründe für Asylsuchende festgelegt.
Die neue Richtlinie schreibt zwar vor, dass niemand nur deshalb im Gefängnis landen darf, weil er internationalen Schutz beantragt. Bei den Ausnahmen ist sie aber sehr großzügig: Flüchtlinge sollen fortan inhaftiert werden dürfen, um ihre Identität und ihr Recht auf Einreise zu überprüfen oder um Beweise zu sichern. Aber auch wer seinen Asylantrag zu spät stellt, nach Ansicht der Behörden die „nationale Sicherheit und Ordnung“ gefährdet oder untertauchen will, kann in Haft landen.
„Was sollte denn da noch als weiterer Grund angeführt werden?“, fragt Karl Kopp von Pro Asyl sarkastisch. „Das reicht doch schon aus, um jeden asylsuchenden Menschen in der EU jederzeit und an jedem Ort zu inhaftieren.“ Kopp fürchtet, dass es in einigen Staaten zu einer Verschlechterung der Rechtslage kommen könnte – und mehr Flüchtlinge im Gefängnis landen.
Denn ob Kinder, Jugendliche oder schwangere Frauen – eine Ausnahme wird nicht gemacht. Die christliche Menschenrechtsorganisation Pax Christi spricht schon von einer „Inhaftierungsrichtlinie“.
Auch der UN-Sonderbeauftragte für Menschenrechte, François Crepeau, spricht sich gegen die Inhaftierung von Flüchtlingen aus – vor allem von minderjährigen. Auf einer Informationsreise durch Griechenland sprach er kürzlich von „schockierenden Zuständen“ in den Haftanstalten. „Es darf nicht sein, dass man in einem Land der Europäischen Union Kinder hinter Gitterstäben einsperrt.“
Einigung im Vorfeld
Dass die neue Aufnahmerichtlinie kommt, gilt trotzdem als wahrscheinlich: Bereits im Vorfeld der Abstimmung im Europäischen Parlament haben sich nämlich die EU-Regierungen und die Abgeordneten auf einen Richtlinientext geeinigt. Die Abstimmung im Plenum gilt eigentlich nur noch als Formsache. Pro Asyl hofft, mit seiner Postkartenaktion die Parlamentarier dennoch umzustimmen. „Für uns ist die Messe noch nicht gelesen“, gibt sich Kopp zuversichtlich. „Für uns entscheidet das EU-Parlament.“
Ob das sich sperrt, ist aber fraglich. Von den konservativen deutschen EU-Abgeordneten im zuständigen Ausschuss wollte aktuell zwar keiner mehr zu der Aufnahmerichtlinie Stellung nehmen, aber die für Asylpolitik zuständige CSU-Abgeordnete Monika Hohlmeier schrieb schon vor einigen Monaten, man dürfe es Asylbewerben nicht gestatten, vorsätzlich unterzutauchen, und brauche für diesen Fall greifende Sanktionsmittel.
Eigentlich sollte es bereits seit Ende 2012 ein gemeinsames europäisches Asylrecht geben. Doch die Abstimmungen darüber ziehen sich in die Länge. Ursprünglich sollte zumindest die Aufnahmerichtlinie bereits an diesem Mittwoch im EU-Parlament verabschiedet werden. Wegen juristischer Unklarheiten ist dies aber kurzfristig wieder verschoben worden.
Auf Druck Deutschlands und sieben anderer Staaten soll die Richtlinie nun gemeinsam mit allen anderen Asylrichtlinien im Paket beschlossen werden. Deutschland will sich auf diesem Wege offenbar zwei Regeln sichern: sein umstrittenes Asylprüfungsverfahren auf Flughäfen und das Recht, für die Verfolgung von Straftaten auf die Fingerabdrücke von Flüchtlingen in der Eurodac-Datei zugreifen zu dürfen. Die Schikanen gegen Flüchtlinge würden damit lediglich addiert.
„Tausende Flüchtlinge sitzen schon jetzt europaweit in Haft“, sagt Karl Kopp von Pro Asyl. „Einem Friedensnobelpreisträger steht das nicht gut zu Gesicht.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen