Neue Ausstellung zur Stadtgeschichte: So war, das ist Berlin
Das Märkische Museum hat eine neue Dauerausstellung. Die führt in nur einer Stunde durch die Geschichte der Stadt. Das klappt sogar recht gut.
Berlin taz | Endlich ist die Rumpelkammer ausgemistet. Luftig wirkt nun die Geschichte Berlins, sie bleibt nicht irgendwo im Mittelalter stecken, sondern nimmt Fahrt auf – und schafft sogar den Sprung ins Hier und Jetzt. Paul Spies, der Direktor der Stiftung Stadtmuseum, ist jedenfalls begeistert von der neuen Schau „BerlinZEIT“ im Märkischen Museum. „Das ist viel besser als ich es mir vorgestellt hatte.“
Dass es bei der Darstellung der Berliner Stadtgeschichte Handlungsbedarf gibt, war Spies schon bewusst, als er vor zweieinhalb Jahren vom Amsterdam-Museum nach Berlin kam. „Damals hatte ich das Gefühl, als ob die Zeit stillstünde“, verriet er der taz einmal, „als ob es gar keine Gedanken darüber gab, wie man die Geschichte Berlins museologisch ausstellt“.
Bei der Pressebesichtigung der neuen Ausstellung am Donnerstag konkretisierte Spies seine Kritik noch einmal. „Als ich kam, gab es zu wenig Nazizeit, Zerstörung, geteilte Stadt“. Also haben Spies und sein Kuratorenteam um Projektleiter Peter Lümmel die Ausstellung von der Gegenwart und nicht von den Anfängen her gedacht. „Normalerweise fängt man mit der Eiszeit an, und wenn man im Mittelalter angekommen ist, sind die Räume alle“, so Spies. „Wir haben es genau umgekehrt gemacht, damit genug Platz ist für die letzten hundert Jahre.“
Die letzten hundert Jahre, die haben in BerlinZEIT nun Überschriften wie „1900. Gegensätze“, „1920. Gestaltung“, „1933. Unterordnen“, „1945. Zerstörung“, „1948. Überlebenswille“, „1961. Teilung“, „1989. Überwältigung“, gefolgt von „Zusammenwachsen“ und „Stadtveränderung“. Insgesamt 18 solcher historischer Räume gibt es, erklärt Kurator Lummel. „Aber es gibt auch drei thematische Leitgedanken: Das sind die Stadtentwicklung durch Zerstörung, die Konflikte zwischen Herrschern und Bürgern und die Vielfalt und Offenheit, die zu Berlin gehört.“
Sie bleibt nicht im Mittelalter stecken, sondern schafft den Sprung ins Hier und Jetzt
Spies will, das hat er schon mit seiner viel gelobten Ausstellung „1937. Im Schatten von morgen“ deutlich gemacht, Geschichte nicht erklären, sondern erzählen. Dazu braucht es vor allem Objekte, die für sich sprechen. Das wohl spektakulärste ist das Modell eines Pestarztes aus der frühen Neuzeit, eine Art Ganzkörperverhüllung mit einem auffälligen Schnabel. Dieser enthält, so erklärt es der Audioguide, verschiedene Kräuter und einen mit Essig getränkten Schwamm. So sollte der Pestarzt vor der Ansteckung durch Giftdünste geschützt werden. Erst später hat man herausgefunden, dass die Pest durch Flöhe und nicht durch Ausdünstungen übertragen wird. Die Geschichte Berlins ist also auch die von Irrtümern.
Insgesamt kann die Stiftung Stadtmuseum auf einen Fundus von 4,5 Millionen Objekten zurückgreifen, die meisten von ihnen lagern im Depot in Spandau. Doch warum neben einem geomorphologischen Modell, das das Urstromtal an der Spree zur Zeit der letzten Eiszeit abbildet und einem Schweineskelett, das verdeutlicht, dass Berlin lange vor der offiziellen Stadtgründung 1237 besiedelt war, ausgerechnet drei Stadtmodelle zum Einsatz kommen, bleibt das Geheimnis der Kuratoren.
Stadtmodelle sind was für eingefleischte Hobbyhistoriker und Stadtentwicklungsfreaks. Wer aber, wie es Spies und seine Ausstellungsmacher wollen, in einer Stunde durch die Berliner Geschichte geschickt werden soll, sollte auch auf andere Exponate treffen. Solche wie eine Rauminszenierung mit der Sitzgruppe aus dem Amtszimmer von Ernst Reuter. Diese wurde während der Berlin-Blockade als Raucherecke genutzt.
Ein bisschen Rumpelkammeratmosphäre
Immerhin gibt es noch den Audioguide, der weitere zahlreiche Geschichten erzählt und Schlüsselmomente der Berliner Geschichte wie die preußischen Reformen spielerisch vermitteln kann, etwa wenn sich zwei Kontrahenten darüber unterhalten, ob die Reformen nun eine unmittelbare oder mittelbare Reaktion auf die französische Besatzung durch Napoleon 1806 gewesen waren.
Wer nach einer Stunde immer noch Lust auf Geschichte hat, kann von der Beletage des Märkischen Museums hoch ins zweite Obergeschoss gehen – und noch ein bisschen Rumpelkammeratmosphäre der Vor-Spies-Zeit schnuppern. „Hier gibt es die Möglichkeit, einzelne Aspekte zu vertiefen“, betont Kurator Peter Lummel. Ritterrüstungen finden sich da, sakrale Bilder und auch das albewährte Kaiserpanorama, eine kleine Rotunde, die Einblick auf historische Fotografien aus der Geschichte Berlins gibt. Neu sind das Berliner Zimmer, in dem Berlinerinnen und Berliner ihre Geschichte zur Geschichte Berlins in Videofilmen erzählen, und auch das Foto-Grafische Kabinett, in dem abwechselnd die fotografischen und grafischen Sammlungen der Stiftung gezeigt werden. Den Anfang macht Heinrich Zille.
1848 fehlt
Die neue Dauerausstellung wird freilich gar nicht so sehr von Dauer sein. Denn schon Ende 2020 wird das Märkische Museum schließen, um dann drei Jahre lang von Grund auf saniert zu werden. Ob die Ausstellung zur Geschichte Berlins, die danach gezeigt werden wird, dieselbe ist, die am Sonntag ihre Türen öffnet, hänge auch vom Publikum ab, sagt Paul Spies. „Wir sind interessiert an Kommentaren, das ist alles ein Lernprozess.“
Zu diesem Lernprozess gehört auch, dass es ein wichtiges Ereignis der Berliner Geschichte nicht in BerlinZEIT geschafft hat. Die Berliner Revolution von 1848, in deren Folge Preußens König Friedrich Wilhelm IV. gezwungen war, vor den Märzgefallenen die Mütze zu ziehen, fehlt zwischen den Ereignissen „1806. Ideen“ und „1871. Verantwortung“. „Es war schlicht und ergreifend kein Platz mehr da“, erklärte ein Museumsmitarbeiter. So schreibt also auch Ludwig Hofmann, der Architekt des Gebäudes, 110 Jahre nach seinem Bau an der Berliner Geschichte mit.
Ganz auf dem Gerümpelkeller lande die Revolution aber nicht, versichert Stiftungsdirektor Paul Spies. „Bei unserer Ausstellung im Humboldt-Forum wird die Revolution von 1848 ebenso thematisiert wie die Revolutionen 1918/1919 und 1989.“