Neue Anzeigen für Berliner Radverkehr: Falsche Prioritäten in der Bedürfnispyramide
Viele Berliner Fahrradwege sind nicht ausreichend gesichert. Statt sie auszubauen, konzentriert sich die Verkehrsverwaltung aber lieber auf einen entspannten Flow.
A uf die Frage „Lieber Sicherheit oder Komfort?“ antworten vermutlich viele mit „Sicherheit“. Die meisten Menschen sorgen sich erst um ihren körperlichen und seelischen Schutz, bevor Erträgliches noch etwas annehmlicher werden soll. Der Sozialpsychologe Abraham Maslow entwickelte bereits in den 1940er Jahren eine bis heute bekannte Bedürfnispyramide: Erst braucht es die Erfüllung der Grundbedürfnisse wie Essen und Schlaf, dann Sicherheits- und soziale Bedürfnisse, bis so etwas wie Selbstverwirklichung an der Reihe ist.
Womit die Berliner Verkehrsverwaltung in dieser Woche punkten wollte, lässt sich in Sachen Bedürfnishierarchie eher auf der Ebene der Individualbedürfnisse einordnen, jene nach Erfolg, Unabhängigkeit oder Freiheit. Die Verwaltung will nämlich für Radfahrer:innen die Anfahrt an die Ampel entspannter machen. „Velo Flow“ lautet der vielversprechende Name des Pilotprojekts.
In der Kreuzbergstraße, rund hundert Meter vor der Kreuzung Großbeerenstraße, hängt dafür seit Dienstag eine erste Anzeige an einem Laternenpfahl. Sie sagt voraus, ob die nächste Ampel bei Rot oder Grün erreicht wird – vorausgesetzt man fährt mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 Kilometern pro Stunde.
Rot und grün zieht es langsam über den kleinen Bildschirm, darauf ein Fahrrad. Beim Selbsttest wurde das unscheinbare Ding anfänglich zwar übersehen und beim zweiten Mal musste sich erst auf die Umfahrung der auf dem Fahrradstreifen geparkten Müllabfuhr konzentriert werden, sind diese Hürden aber bewältigt und hat man intuitiv perfekt auf 20 km/h beschleunigt, darf ganz entspannt auf die rote Ampel zugefahren werden. Vor 23 ausgewählten Kreuzungen soll zukünftig eine solche Anzeige geben. 3.000 Euro kostet das Stück, nicht eingerechnet sind die Kosten für die Erschließung und die Digitalisierung der Ampelanlage.
Was ist mit Sicherheit?
Wie es um das viel grundlegendere Bedürfnis nach Sicherheit bestellt ist, veranschaulicht hingegen der aktuelle Haushaltsentwurf von Schwarz-Rot. Statt mehr Geld für sichere Radwege folgen drastische Kürzungen. So soll es für „Maßnahmen zur Verbesserung des Radverkehrs“ in den Jahren 2026 und 2027 nur noch 2,5 Millionen Euro jährlich geben. 2025 waren es noch 6 Millionen.
Die Kürzungen zeigen, dass die Sicherheit der Bürger:innen, die auf dem Rad unterwegs sind, für den Senat keine Rolle spielen. Und so müssen selbst gestandene Stadtfahrradfahrer:innen angesichts der kontinuierlichen Gefährdungen auf Berlins Straßen weiter weiche Knie haben. Digitale Anzeigen fürs entspanntere Fahrradfahren muten da nur als Spott an. Und wenn Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) im Tagesspiegel dann noch zum Schulbeginn empfiehlt, Zehnjährige auf dem Radweg sollen „einfach ganz, ganz vorsichtig sein“, ist das kein Trost.
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