Neuauflage „Die schwarzen Jakobiner“: Die erste Republik in der Karibik
Ein Klassiker über den Widerstand gegen die Sklaverei ist endlich auf Deutsch neu aufgelegt: C. L. R. James' „Die schwarzen Jakobiner“.
Man … legt es wie einen Keim des Fluches … in den Boden; dann nährt es sich, breitet sich unbehindert aus und wächst auf natürliche Weise mit der Gesellschaft selbst, die es empfangen hat: dieses Übel ist die Sklaverei.“ Was Alexis de Tocqueville in seiner Analyse „Über die Demokratie in Amerika“ (1835) zu den Wurzeln der Schreckensherrschaft formuliert hatte, reichte weit über die USA hinaus und beweist, wie kritisch sie im 19. Jahrhundert gesehen wurde.
Empfohlener externer Inhalt
Nur seltsam, dass der französische Gesandte kein Wort über die Situation in den französischen Kolonien verloren hat – auch dorthin wurden Schwarze Menschen massenhaft verschleppt und versklavt.
Unter den Aufrührern der Französischen Revolution in Paris 1789 gab es Stimmen, die die grausame Praxis der Sklaverei aus humanitären Gründen abschaffen wollten. Nur wurde in der Debatte keine Einigkeit erzielt, zu viel Profit durch die grausame Praxis erwirtschaftet. Die brutale Ausbeutung wurde rassistisch begründet: Schwarze, so stand in einer in jenem Revolutionsjahr 1789 in Paris publizierten Denkschrift, seien „ungerechte, grausame, barbarische Halbmenschen, verräterische, heimtückische Diebe … faule, unsaubere Furien und Feiglinge“.
Hoher Profit
500.000 Sklav:innen lebten auf Haiti. Allein zwei Drittel des französischen Überseehandels des Profits erwirtschaftete diese Überseekolonie. Auch dort galt der bereits 1685 in Kraft getretene „Code Noir“, ein Dekret des französischen Königs, das Sklaverei faktisch begründete und die Unterdrückung Schwarzer Menschen qua göttlicher Ordnung rechtfertigte: „Alle Eigentumsgesetze sind nur gerecht, wenn sie von der Meinung derer getragen werden, die als Eigentümer an ihnen interessiert sind“, hieß es in einem Text eines haitianischen Plantagenbesitzers, der damals zirkulierte.
C. L. R. James: „Die schwarzen Jakobiner. Toussaint Louverture und die Haitianische Revolution“. Aus dem Englischen von Günter Löffler/Jen Theodor, b_books/Dietz Verlag, Berlin 2021, 363 Seiten, 20 Euro
Widerstand gegen die Sklaverei war immer Teil dieser Geschichte der Ungerechtigkeit. Nur in der französischsprachigen Karibik überwanden Sklav:innen das Joch ihrer Unterdrückung von selbst und zwar auf Haiti. Bereits um 1720 flohen Tausende Sklav:innen, sogenannte Maroons, von den Plantagen in die Berge der Insel und stifteten in der Folge immer wieder andere dazu an, es ihnen gleichzutun.
Sie überfielen regelmäßig Plantagen, ein Funke, der wenige Jahrzehnte später zur Haitianischen Revolution führte. Deren kriegerische Auseinandersetzungen zwischen 1791 und 1804 sollten als kollektiver Befreiungsakt gelesen werden, hervorgegangen „aus den Eingeweiden der Situation“, um mit Proudhon zu sprechen.
Erstauflage 1938
Als Klassiker und erstes wichtiges Buch zur Haitianischen Revolution gilt „The Black Jacobins“ des trinidadischen Marxisten C. L. R. James (1901–1989). Im Original bereits 1938 erschienen, entwickelte es sich nach Ende des Stalinismus zum einflussreichen Buch. Vorher war James, der sich mit Trotzki solidarisiert hatte, von Moskau aus mundtot gemacht worden. In Deutschland ist sein Werk so gut wie unbekannt geblieben. Obwohl es 1964 erneut veröffentlicht wurde, mit einem neuen Nachwort von James.
Umso verdienstvoller, dass der Berliner Verlag b_books nun eine obskure Übersetzung aus der DDR von 1984 aufgetan hat und diese, sprachlich aktualisiert und mit mehreren Essays versehen, wieder veröffentlicht. Sie zeigt, an dem emanzipativen Impetus von Cyril Lionel Robert James ist nur wenig veraltet. Er betreibe, so konstatiert Philipp Dorestal im Nachwort, „Historiografie nie nur um ihrer selbst willen, sondern war der festen Überzeugung, dass sich aus der Geschichte politische Lehren ziehen lassen, die in der Gegenwart Bestand haben“.
Sowohl Vertreter:innen von afrikanischen Staaten haben sich seit den 1950ern auf James’ Thesen vom resilienten Widerstand gegen Kolonialmächte bezogen als auch die US-Bürgerrechtsbewegung, der „The Black Jacobins“ bei ihrem Kampf gegen die Segregation als Blaupause diente. Noch heute wird „Die schwarzen Jakobiner“ – übrigens war James auch Verfasser eines Buches über die Sportart Cricket und ihre subversiven Bedeutungen in den ehemaligen britischen Kolonien – im postkolonialen Kontext als „aktiver Text“ (Stuart Hall) verstanden.
Jahrelange Recherche in Paris
James, der dafür Anfang der 1930er über mehrere Jahre im Pariser Nationalarchiv recherchiert hatte, bringt Zahlen, Daten und Fakten der Wirtschaftsgeschichte mit Ereignis- und Personengeschichte in Einklang. So wird das Drama der Haitianischen Revolution nicht nur in den Kämpfen auf der Karibikinsel entschlüsselt, sondern auch in den Geheimverhandlungen und Intrigen in Frankreich und im Europa der napoleonischen Kriege.
Es beginnt im Prolog mit Kolumbus’ Eroberungsfeldzügen in der Neuen Welt, zeigt anschaulich, wie in den französischen Hafenstädten Bordeaux und Marseille der transnationale Handel florierte: Hier wurden Zucker und Kaffee aus Haiti mit Gewinn weiterverkauft, im Gegenzug französische Waren in die ganze Welt importiert. Immer wieder schaltet James zwischen Haiti, Frankreich und den USA hin und her, man verliert trotzdem nie den Faden, weil er die Geschehnisse packend schildert.
Viele der haitianischen Aufrührer, allen voran der ehemalige Kellner Toussaint Louverture, waren Analphabeten, selbst noch Versklavte oder direkte Nachkommen von Sklaven. Militärische Erfahrungen sammelten einige von ihnen als Söldner aufseiten der USA während des Unabhängigkeitskrieges gegen England. Sie eigneten sich auch den revolutionären Duktus von 1789 zügig an.
Schluss mit dem Unrecht
Forderungen im Kampf gegen die Korruption und Bereicherung von Adel und Klerus wurden in der Karibik radikal interpretiert und konsequent umgesetzt: Enteignung der Plantagen und der durch die Sklaverei entstandenen Besitztümer waren wichtige Maxime. Gleichheit, Freiheit, „Brüderlichkeit“ bedeutete in Haiti aber nicht nur Menschenrechte für alle anzuerkennen und Schluss mit dem Unrecht der Sklaverei zu machen.
Der korrupten Kolonialregierung wurde etwa mit der Schaffung einer Küstenwache begegnet, um dem Schmuggel Einhalt zu gebieten. Man vereinheitlichte die Steuergesetzgebung, um den Handel mit Europa und Amerika anzukurbeln, teilte die Inselverwaltung in Departements ein, die bis heute bestehen, baute Schulen und legte Straßen an. Als 1804 schließlich die Unabhängigkeit des Landes und eine Republik in der Karibik proklamiert wurde, war dies nur möglich geworden, weil sich die schwarze Bevölkerung in den Jahren zuvor hartnäckig gegen militärisch überlegene Franzosen gewehrt hatte, aber auch britischen, US-amerikanischen und spanischen Interventionsversuchen unter großen Opfern widerstand.
Zudem kam den Schwarzen eine Gelbfieberepidemie zuhilfe, der vor allem die Weißen zum Opfer fielen. In der westlichen Geschichtsschreibung blieb lediglich die Brutalität der Aufständischen gegen französische Soldaten, Kolonialherrn und ihre Familien im Gedächtnis, dabei wurde verschwiegen, dass sich auch Weiße der haitianischen Revolution angeschlossen haben.
Haiti ist nie über seinen Status als Schrottplatz des Weltgeschehens hinausgekommen. Daran ändert auch nichts die Revolution auf der Insel. Michael Hardt und Antonio Negri haben sie als „Wasserscheide der modernen Sklavenaufstände“ bezeichnet. „Die schwarzen Jakobiner“ von C. L. R. James beweist nachdrücklich, dass es sich dabei nicht nur um ein Gemetzel ohne „Weltgeist“ gehandelt hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld