Netzwerk von religiösen Extremisten: „Wir müssen wachsam sein“

Agenda Europe ist ein europaweites Netzwerk gegen Homoehe, Abtreibung und Verhütung. Neil Datta hat es aufgedeckt und erklärt die Absichten.

Ein Kreuz und ein Rosenkranz im Feuerschein

Agenda Europe würde gerne zurück in die Vergangenheit Foto: dpa

taz: Herr Datta, Sie beschreiben Agenda Europe als Netzwerk religiöser ExtremistInnen, das Verbindungen bis in die EU-Kommission und den Vatikan hat. Wieso wussten wir bisher nichts davon?

Neil Datta: Die AkteurInnen waren sehr vorsichtig und diskret, um im Verborgenen zu bleiben. An den Treffen durfte offenbar nur teilnehmen, wer eine persönliche Einladung hatte, und die TeilnehmerInnen hatten klare Anweisung, nicht über die Treffen zu sprechen.

Wie haben Sie selbst davon erfahren?

Ich wusste, dass es eine breite Bewegung ultrakonservativer AkteurInnen gibt, dass es den Blog gibt und kannte ihre Themen. Ich wusste auch, dass es eine ganze Reihe politischer Initiativen gegen Abtreibung oder gleichgeschlechtliche Ehe gibt. Aber mir fehlte der Link zwischen beidem. Dann gelangten die Produzenten einer Doku des Senders Arte über Abtreibungsgegner an Kopien von Dokumenten, die sie mir gaben.

Was waren das für Dokumente?

Es waren Programme mehrerer Treffen von Agenda Europe. Ich konnte die Puzzleteile zusammensetzen: Dass die Treffen Jahrestreffen sind, und dass es ein gemeinsames, inhaltlich explizites Manifest namens „Die natürliche Ordnung wieder herstellen“ gibt. Damit hat das große Ganze Sinn ergeben.

Haben Sie die AkteurInnen konfrontiert?

Wir nicht, aber die JournalistInnen von Arte. Da sieht man sehr deutlich, wie sie reagieren, wenn sie zu Agenda Europe gefragt werden. Sophia Kuby zum Beispiel, die Leiterin des EU-Büros der christlichen Organisation „Alliance Defending Freedom“, gibt erst auf Nachfrage zu, dass die geheimen Jahrestreffen existieren. Sie ist deshalb sichtlich verlegen.

ist Geschäftsführer des Europäischen Parlamentarischen Forums für Bevölkerung und Entwicklung in Brüssel. Im EPF arbeiten ParlamentarierInnen zum Schutz der sexuellen und reproduktiven Gesundheit.

Haben Sie sich ausführlicher mit den Strukturen von Agenda Europe in den einzelnen Ländern beschäftigt?

Bisher haben wir versucht zu verstehen, wie das gesamte Netzwerk funktioniert. Die deutschen HauptakteurInnen sind Sophia Kuby und ihre Mutter Gabriele Kuby, eine katholische Autorin mehrerer Bücher gegen Gender, zum Beispiel „Die globale sexuelle Revolution – Zerstörung der Freiheit im Namen der Freiheit“ oder „Gender – Eine neue Ideologie zerstört die Familie“.

Sagen Ihnen die Namen Beatrix von Storch oder Hedwig von Beverfoerde etwas?

Ich bin mir darüber im Klaren, wer diese beiden sind und dass sie einen sehr ähnlichen konservativen Ansatz verfolgen. Auch sie arbeiten gegen Abtreibung und gleichgeschlechtliche Ehe. In den Dokumenten zu Agenda Europe tauchen ihre Namen aber nicht auf.

Wie gefährlich ist Agenda Europe?

Ich möchte nicht überbetonen, wie gefährlich sie sind. Aber sie stehen für ein strategisch sehr gut organisiertes politisches Netzwerk, das Rückendeckung von verschiedenen hochrangigen Institutionen und Geldgebern bekommt. Wir als Gesellschaft haben in Sachen Frauen- und LGBTI-Rechten bisher viele Fortschritte gemacht und gehen davon aus, dass das so weitergeht. Jetzt, wo wir die Ziele von Agenda Europe zum ersten Mal offen vor uns sehen, ist klar, dass wir das Gefühl des Automatismus dieses Fortschritts in Frage stellen müssen.

Wie hängt das Erstarken der extremen Rechten in Europa mit Agenda Europe zusammen?

Agenda Europe profitiert vom Aufstieg sowohl der extremen Rechten als auch von populistischen Bewegungen. Jedes dieser drei Phänomene stellt etwas bereit, das die anderen beiden brauchen. Die extreme Rechte hat die Infrastruktur und profitiert gleichzeitig davon, dass die Religiösen die Agenda der extremen Rechten moralisch akzeptierbar machen. Beide wiederum surfen auf der Welle des wachsenden Populismus und der Unzufriedenheit mit den Altparteien in vielen europäischen Ländern. Sie bieten ein Narrativ an, das den Status quo in Frage stellt – und das nutzt den Populisten. So kann sich die ultrakonservative Agenda entwickeln.

Was sind Ihre nächsten Schritte?

Es gibt ein großes Interesse unserer Partnern in den europäischen Institutionen und Ländern, mehr über Agenda Europe zu erfahren. Dem kommen wir nach. Zudem publizieren wir weitere Berichte – nicht unbedingt zu Agenda Europe, aber ebenfalls im Bereich der Anti-Choice-AkteurInnen. Momentan sind wir dabei, uns ein paar Länder konkreter anzusehen. Eines kann ich schon sagen: Es gibt noch mehr Netzwerke.

Was können wir gegen Netzwerke wie Agenda Europe tun?

Es ist vor allem wichtig, dass wir die Öffentlichkeit über deren Existenz informieren. Wir müssen wachsam sein, denn 2019 ist Europawahl. Wir müssen also beobachten, wie das Netzwerk versucht, in die europäischen Institutionen zu gelangen und sie zu beeinflussen. Nur indem wir uns austauschen, können wir sicher stellen, dass die europäischen Institutionen auch weiterhin für die Rechte von Frauen und LGBTI eintreten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.